Volker Schult

Manila oder Revolution und Liebe


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auf das Schiff zu richten. Doch der weiß gestrichene, ungepanzerte und hölzerne Kreuzer Castilla bot zunächst ein noch verlockenderes Ziel. Granate auf Granate schlug in seinen Schiffsrumpf ein. Die schwarzen Rauchsäulen, die folgten, erzählten davon, dass todbringendes Feuer ausgebrochen war.

      Nachdem die beiden großen spanischen Schiffe außer Gefecht gesetzt worden waren, zog sich der Rest der Flotte hinter die Mole des Arsenals von Cavite zurück, von wo es jedoch kein Entkommen mehr gab.

      Völlig unvermittelt schoss ein spanisches Torpedoboot heran. Ziel Deweys Flaggschiff. Sofort richtete man dort die Schnellfeuergeschütze und die Sechspfünder aus. Sogar die Matrosen begannen mit ihren Gewehren auf das kleine wendige Schiff zu schießen. Schnell war das Torpedoboot außer Gefecht gesetzt und trieb auf die Küste zu. Im Nachhinein entpuppte sich das vermeintlich gefährliche Torpedoboot als ein harmloses, unbewaffnetes philippinisches Marktboot, das sich zur falschen Zeit am falschen Ort befand. Ein Zeichen, wie angespannt die Nerven aller waren.

      Gerade in diesem Moment erreichte die dramatische Nachricht, die Munition werde knapp Commodore Dewey. Das Flaggschiff Olympia signalisierte, dass es sich aus dem Gefecht zurückziehen müsse. Dies ging einher mit der lakonischen Nachricht: „Also gut. Lasst die Leute ihr Frühstück einnehmen.“

      Kurz darauf befand sich das gesamte amerikanische Geschwader außerhalb der Reichweite der spanischen Geschütze und legte eine Ruhepause ein. Die Gefechtsabsperrgitter wurden weggeräumt, verschmutzte Matrosen versammelten sich an Deck und begrüßten sich mit lautstarken Rufen wie Dämonen, die aus dem Hades freigelassen worden waren. Mit gutem Appetit wurden Sardinen, Corned Beef und Schiffszwieback verspeist.

      Nachdem sich die kommandierenden Offiziere an Bord des Flaggschiffes Olympia versammelt hatten und sich die Nachricht eines knappen Munitionsstands als falsch erwiesen hatte, beschloss man, dem Feind den Gnadenstoß zu versetzen.

      Den Anfang machte der Kreuzer Baltimore, der sich für zehn Minuten ein intensives Duell mit den Festungsgeschützen von Cavite lieferte. Der Kreuzer, der sich im Schneckentempo bewegte, geriet schnell in einen Strudel von unaufhörlichen Salven sowohl der eigenen als auch der feindlichen Artillerie. Manchmal war er vollkommen von Rauchschwaden umgeben und schien Feuer gefangen zu haben, während jede Granate, die er abschoss, sich in die Erdwälle bohrte, als ob man sich auf einer Schießübung befände.

      Schließlich erwischte es die Cañacao Batterie der Festung. Volltreffer. Ihre Erdbefestigungen wurden emporgeschleudert, zerrissen in der Luft und fielen auf die Mannschaften, die in Panik, sofern sie es überhaupt noch konnten, auseinanderstoben. Schließlich konzentrierte sich das Feuer der amerikanischen Kriegsschiffe auf diese Befestigungsanlage.

      Dann wurde die spanische Flagge eingeholt – und stattdessen die weiße Flagge gehisst.

      Die Spanier in diesem Fort hatten kapituliert.

      Nachdem das Kanonenboot Isla de Cuba schwere Treffer abbekommen hatte, versenkte die Besatzung das Schiff, um die Inbesitznahme durch die Amerikaner zu verhindern. Dasselbe Schicksal erlitt ihr Schwesterschiff. Nun blieb nur noch als einziger halbwegs ernstzunehmender Gegner der ungeschützte Kreuzer Don Antonio de Ulloa. Das Feuer konzentrierte sich auf das unglückliche Schiff, das buchstäblich von Geschossen durchsiebt wurde. Nahezu jedes Geschütz wurde getroffen und unschädlich gemacht. Ihre Besatzung floh auf die geschützte Seite des Schiffes, sprang über Bord und schwamm in den seichten Gewässern an Land. Das Schiff selbst schien sich vor ihren Peinigern noch kurz zu verbeugen, bis es schließlich in den Wellen versank. Damit befand sich fast die gesamte spanische Flotte auf dem seichten Meeresboden, umspült vom warmen Wasser des Südchinesischen Meeres.

      Das war das Schlusszeichen. Gegen Mittag hissten die Spanier die weiße Flagge der Kapitulation über der Festung von Cavite.

      Das amerikanische Asiengeschwader hatte seinen Gegner vernichtet. Die stolze spanische Flotte ging so eindrucksvoll unter wie die Mauern von Jericho fielen. Fast vierhundert Spanier wurden dabei entweder getötet oder verwundet, während es auf amerikanischer Seite neben einigen Verwundeten lediglich einen Toten durch Hitzschlag gab. Kein US-Schiff hatte auch nur ernsthafte Beschädigungen erlitten.

      Erst als die Sonne über der Bucht von Manila langsam im Meer versank, wurde es den Teilnehmern bewusst, dass sie an einer der vollkommensten Siege zur See in der Gegenwartsgeschichte teilgenommen hatten.

      Als wie von Zauberhand unvermittelt die tropische Nacht hereingebrochen war, leuchtete die Küste um Cavite herum hell von den Flammen der brennenden spanischen Kriegsschiffe. Reina Cristina und Castilla sahen wie Skelette aus. Die Feuer, die die Schiffe verbrannten, ließen ihre Knochen vor dem Hintergrund der weißen, heißen Hitze geradezu schwarz aussehen. Im flimmernden Licht nahmen die Zerstörungen in Cavite ein surreales Aussehen an, dem Tor in den Hades gleich. Zwischendurch explodierte ein Munitionsarsenal wie ein Vulkan und schleuderte seine brennenden Trümmer hoch in die Luft: ein grauenhaftes Bild von den Schrecken der modernen Kriegsführung.

      Langsam wurde Commodore Dewey klar: Ich bin der glänzende Sieger dieser Seeschlacht. Doch was fange ich mit diesem Sieg nur an? Manila liegt mir zu Füßen, doch ich habe keine weitergehenden Befehle. In Washington war niemand auf diesen Ausgang vorbereitet. Und vor allem: Die Kabelverbindung nach Hongkong, die einzige schnelle Kommunikationsmöglichkeit von Manila mit der Außenwelt, war gekappt worden. Und noch etwas wurde Dewey bewusst: Nun war sein Munitionsvorrat tatsächlich zur Neige gegangen.

      Was also sollte er tun?

      2. KAPITEL: IM SÜDCHINESISCHEN MEER

      1899. Einige Zeit später. Hunderte von Seemeilen entfernt.

      Mit acht Knoten pflügt das Kanonenboot Iltis mit seinen beiden qualmenden Schornsteinen unter einer erbarmungslos brennenden tropischen Sonne durch die sanften, tiefblauen Wellen des Südchinesischen Meeres. Auf der Brücke schaut der Erste Offizier Hans Thomsen immer wieder besorgt an den Horizont. Mittlerweile kennt er die tropische Idylle. Sie trügt. Schon innerhalb kürzester Zeit kann das Wetter völlig unvermittelt umschlagen. Ehe man sich versieht, befindet man sich inmitten eines gefährlichen Taifuns mit meterhohen Wellen. Wenn man darauf nicht vorbereitet ist, kann es für Mannschaft und Schiff tödlich ausgehen.

      Auf der anderen Seite kann Thomsen sich nicht nur auf seine Mannschaft, sondern auch auf sein Schiff verlassen. Iltis ist ein nagelneues Kanonenboot, das sich auf der mittlerweile monatelangen Reise, die hinter ihnen liegt, bewährt hat. Neben Schießübungen vor der malaiischen Insel Langkawi hat Iltis auch schon in der Straße von Malakka mit scharfer Munition erfolgreich auf Piratenschiffe gefeuert. Zwar gehört es mit seinen neunhundert Tonnen Wasserverdrängung nicht zu den großen Kampfschiffen, aber mit seinen 8,8 cm Schnellfeuerkanonen und 3,7 cm Revolverkanonen ist es ein durchaus ernst zu nehmender Gegner. Außerdem ist die knapp einhundertdreißig Offiziere und Mannschaften umfassende Besatzung bestens ausgebildet und hoch motiviert, so wie es sich für ein Schiff Seiner Majestät Kaiser Wilhelms II. eben gehört.

      Trotzdem wäre Thomsen wohler, wenn sein Kapitän Wilhelm Kurz auf der Brücke wäre. Noch nie in seiner Seemannskarriere ist Thomsen, auch wenn sie noch nicht allzu lange währt, unter einem seemännisch und persönlich so anerkannten Kapitän auf hoher See gewesen. Umso ehrlicher ist Hans Thomsens Wunsch, seinen Kapitän wieder bei voller Gesundheit zu sehen.

      Zwischendurch lässt Thomsen sich immer wieder vom Schiffsarzt Dr. Brandt Bericht über den Zustand seines Kapitäns erstatten. Jedes Mal völlig angespannt lauscht er den Worten des Arztes.

      Dabei ging alles so plötzlich. Gerade als sie aus dem Hafen von Singapur ausliefen, passierte es. Zusammen standen sie noch auf der Kommandobrücke, als urplötzlich Kapitän Kurz an allen Gliedern zu zittern anfing. Schweiß stand ihm auf der Stirn und er begann zu wanken. Dann gelang es Thomsen nur noch geistesgegenwärtig den Sturz seines Käpt´ns zu verhindern. Sofort ließ Hans Thomsen den Schiffsarzt rufen, der veranlasste, dass Wilhelm Kurz in die Krankenstation gebracht wurde. Seitdem liegt der Kapitän dort und Dr. Brandt kümmert sich mit den recht bescheidenen Mitteln eines Bordarztes rührend um seinen Kapitän, den der Arzt auch persönlich sehr schätzt. Kapitän Wilhelm Kurz ist kein sturer Kommisskopf, sondern jemand, dem seine ihm anvertrauten Leute wirklich am Herzen