den hereinbrechenden Völkermassen in abgelegene Täler.
Die Stadt selbst wurde in den kommenden Jahrhunderten als riesiger Steinbruch genutzt, die Steine der Häuser fanden in neu errichteten Bauten Verwendung. So wurden für die Vorläuferkirche des Stephansdomes einzelne Steinplatten wieder verwendet, etwa die Grabinschrift eines Soldaten der 10. Legion, wie jüngste Ausgrabungen unter dem Dom bewiesen.
Anlässlich von Bauarbeiten auf dem Michaelerplatz wurden 1990/91 neben den Fundamenten des alten Burgtheaters und barocken Kellern Reste der canabae legionis (= Vorstadt des Legionslagers) entdeckt. Man fand Werkstätten, aber auch mit Wandmalereien ausgestattete Wohnhäuser. Um Wienbesuchern einen Begriff von der römischen Vorzeit der Stadt zu geben, wurde am Michaelerplatz ein Schlitz offen gelassen (Gestaltung Hans Hollein). In diesem „Schnitt durch die Zeit“ kann man auch römische Reste sehen. In römischer Zeit war der heutige Michaelerplatz der Schnittpunkt zweier wichtiger Fernstraßen: Die eine führte von Klosterneuburg entlang des Limes (= Grenzbefestigung entlang der Donau, wörtlich Schwelle) über die römische Zivilstadt am Rennweg nach Carnuntum, die zweite aus dem Südtor des Lagers nach Süden Richtung Aquae (= Baden), das schon damals wegen seiner Schwefelquellen ein beliebter Wellnessort war.
1010 Wien,
Hoher Markt 3 und Michaelerplatz (Autobus 1 und 2)
2. Der Drache
im Hausbrunnen:
DAS BASILISKENHAUS
In einer Nische am Haus Schönlaterngasse 7, dessen Grundmauern bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen, ist eine seltsame Plastik zu sehen, darunter befindet sich eine Wandmalerei mit einer Inschrift, die in längst vergangene Zeiten zurückführt:
Im Hausbrunnen des habgierigen Bäckermeisters Martin Garhiebl sei eine Art Drache heimisch gewesen, der jeden, der in seine Nähe kam, mit seinem Gifthauch getötet habe. Wer ihn aber erblickte, der musste das Zeitliche segnen. Nur der in die Tochter des Bäckermeisters verliebte Geselle habe Rat gewusst. Er habe dem Ungeheuer einen Spiegel vorgehalten, sodass dieses vor Schreck über seine eigene Hässlichkeit zersprungen sei. Diese alte Überlieferung wurde schriftlich erstmals von Wolfgang Lazius, Humanist und Professor der medizinischen Fakultät der Wiener Universität, Mitte des 16. Jahrhunderts festgehalten.
Ein – der Legende nach – beim Graben des Hausbrunnens im Jahr 1212 aufgefundener bizarrer Gesteinsbrocken wurde als ein Teil des sagenhaften Basilisken, eine Kreuzung zwischen Hahn und Kröte, gedeutet und erhielt noch zusätzlich eine Bemalung, um das Scheusal deutlicher erkennen zu lassen.
Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts wie der Geologe Eduard Suess haben den Gesteinsbrocken als Sandsteinkonglomerat und die giftigen Gase in einem Brunnen als austretendes Erdgas erklärt. Die Bezeichnung Basilisk soll auf einen Herrn Heinrich Pollitzer zurückgehen, der sich ganz bescheiden „Doktor der Weltweisheit“ nannte. Der ursprüngliche „Basilisk“ blieb nicht erhalten. Heute erinnert neben der merkwürdigen Figur, die aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammt, auch noch an der Rückseite des Hauses die Drachengasse, eine Sackgasse, die vom Fleischmarkt her führt, an diese Geschichte.
Die Menschen des Mittelalters ließen sich gerne von Versteinerungen oder eigentümlich geformten Gesteinen zu unheimlichen Geschichten inspirieren. So gab es mit Fossilien oder mit seltsam geformten Fischskeletten besonders in Frankreich und Flandern einen florierenden Handel: Man verkaufte diese Relikte als „Ungeheuer“ aus dunkler Vorzeit – die ewige Faszination des Wunderbaren oder Grausigen …
1010 Wien, Schönlaterngasse 7 (U1 Schwedenplatz)
3. Wiens griechisches
Viertel:
GRIECHENGASSE UND HAFNERSTEIG
Die Gegend um die Griechengasse zählt zu den ältesten Vierteln der Stadt. Vor allem Höhenunterschiede und Straßenverlauf lassen die Enge der mittelalterlichen Stadt deutlich erahnen. Schwibbögen und kaum mehr als eineinhalb Meter breite Gassen ließen seinerzeit höchstens ein Pferd passieren. Der geradezu hügelige Hafnersteig und der merkliche Niveau-Unterschied hinunter zum Donaukanal machen deutlich, dass der Hauptstrom der Donau einst meist träge dahin floss.
1010 Wien, Griechengasse/Hafnersteig zwischen Laurenzerberg und Rotenturmstraße (U1 und U4, Straßenbahn 1, 2, 21 und N, Autobus 2)
Der Name Griechengasse geht auf die griechischen Kaufleute zurück, die vor allem nach dem Frieden von Passarowitz (1718) mit den Türken in diesem Viertel sesshaft wurden. Zuvor hatte das Viertel „Unter den Hafnern“ geheißen, was sicher auf eine Gewerbebezeichnung zurückgeht. Das heute als „Griechenbeisel“ bezeichnete Gasthaus hieß früher „Zum roten Dachel“. Der Sage nach hat in diesem Lokal 1679, im Jahr der großen Pest, der Volkssänger Augustin sein berühmtes Lied „Oh, du lieber Augustin, alles ist hin …“ kreiert.
Das Haus Griechengassse 4 – 6, der so genannte Steyerhof, geht in seiner Bausubstanz auf gotische Zeit zurück. Seine Fassade ist heute ein wesentliches Dokument der Stadtentwicklung, denn was von den alten Bauteilen noch übrig war, wurde freigelegt und restauriert. So kann man an diesem Haus einen Querschnitt durch die Geschichte betrachten, von schmalen Rundbogenfenstern bis zu fast quadratischen Renaissancefenstern, umrahmt von Fassadenschmuck. Gotische Säulchen und altes Steinmauerwerk, Aufstockungen und Bauerweiterungen, Veränderungen am Verlauf der Fassade – alles ist an diesem „Sprechenden Haus“ abzulesen. Bemerkenswert ist auch das schräg zur Baulinie verlaufende Tor.
In der Griechengasse 5 erbaute 1803 der Architekt Franz Wipplinger ein Gotteshaus für die griechisch-nichtuniierte Glaubensgemeinschaft, welches von einem klassischen Giebel mit einem Relief, das den hl. Georg darstellt, überragt wird.
Das Haus in der Griechengasse 7 stammt aus dem 17. Jahrhundert und wird von einer Marienstatue mit einer schmiedeeisernen Rokokolaterne geschmückt. Im Hof des Hauses hat sich noch ein gotischer Wohnturm erhalten.
4. Antisemitismus
im mittelalterlichen Wien:
„ ZUM GROSSEN JORDAN“
AM JUDENPLATZ
Das gotische Bürgerhaus „Zum großen Jordan“ aus dem 14. Jahrhundert gehörte bis 1421 dem Wiener Juden Hocz. Im Zuge der Wiener Geserah, der ersten großen Judenverfolgung in der Geschichte Wiens, wurde das Haus durch Herzog Albrecht V. konfisziert und wechselte darauf mehrmals den Besitzer. Seit Ende des 15. Jahrhunderts befand es sich im Eigentum von Georg Jordan, der das noch erhaltene Relief von der Taufe Christi im Jordan – eine Anspielung auf seinen Namen – anbringen ließ, aber auch die antisemitische Inschrift in lateinischer Sprache, die sich auf die Wiener Geserah bezieht. Das Wort Geserah ist ein hebräischer Begriff (wörtlich: eine böse Verordnung), der die Verfolgung von Juden durch nichtjüdische Machthaber bezeichnet.
Am 23. Mai 1420 wurden alle Wiener Juden verhaftet und vor die Entscheidung gestellt, sich entweder zwangstaufen zu lassen oder der Folter unterzogen zu werden. Auslösendes Moment für diese grausame Verfolgung war die Vermutung, dass die Juden Kontakte zu den Hussiten hätten, mit denen Herzog Albrecht V. sich im Streit befand. Außerdem wurde berichtet, dass sie angeblich ein luxuriöses Leben führten, d. h. über viel Geld verfügten. Das war Wasser auf die Mühlen des Herzogs, der stets Geld brauchte – in erster Linie zur Bekämpfung der Hussiten. Doch das von den Juden abgepresste Geld brachte dem Herzog keinen Sieg, sondern nur einen Waffenstillstand.