Isabella Ackerl

Unbekanntes Wien


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sich taufen, kehrten aber später wieder zur Religion ihrer Väter zurück. Um der Taufe zu entgehen, entschieden sich viele Juden zu einem Massenselbstmord in der Synagoge. Schließlich blieben 210 standfeste Juden über, die weder die Geldverstecke preisgaben noch sich taufen ließen. Sie wurden der Hostienschändung beschuldigt – eine in dieser Zeit häufig erhobene fälschliche Anschuldigung – und schließlich zum Tode verurteilt. Am 12. März 1421 wurden sie in Erdberg auf der Gänseweide verbrannt, ihr Vermögen wurde vom Herzog eingezogen. Die Synagoge ließ Albrecht abbrechen und die Steine für den Bau der Universität verwenden. Der wirtschaftliche Schaden für die Stadt durch die Vertreibung der Juden war verheerend.

      Zu Ende des 20. Jahrhunderts, sensibilisiert durch die grauenvollen Geschehnisse des Holocaust, fiel die Entscheidung, die antisemitische Gedenktafel des Jordanhauses nicht zu entfernen, sondern durch eine zweite, kommentierende Tafel zu ergänzen. Die am 29. Oktober 1998 angebrachte Inschrift, deren Text von Christoph Kardinal Schönborn, dem Wiener Erzbischof stammt, nimmt ausdrücklich von der Untat der Wiener Geserah ausgehend Stellung zum Holocaust und betont die Mitschuld der Christenheit an der Verfolgung der Juden.

      Die Fundamente der Synagoge wurden erst im 20. Jahrhundert unter dem Judenplatz wieder entdeckt und in einer beeindruckenden musealen Gestaltung zugänglich gemacht.

      Die britische Künstlerin Rachel Whiteread errichtete 2000 auf dem Judenplatz ein Mahnmal an den Holocaust in Form einer nach außen gekehrten Bibliothek. Dieses Denkmal kann als Assoziation auf das Judentum als eine Religion des Buches verstanden werden, weist aber auch auf die kulturelle Ausdünnung durch die Vertreibung und Ermordung tausender Wiener Juden hin.

      Die Gedenktafel am Haus zum Großen Jordan

      „Kiddusch HaSchem“ heißt „Heiligung Gottes“. Mit diesem Bewusstsein wählten Juden Wiens in der Synagoge hier am Judenplatz – dem Zentrum einer bedeutenden jüdischen Gemeinde – zur Zeit der Verfolgung 1420/​21 den beschriebenen Freitod, um einer von ihnen befürchteten Zwangstaufe zu entgehen. Christliche Prediger dieser Zeit verbreiteten abergläubische judenfeindliche Vorstellungen und hetzten gegen die Juden und ihren Glauben. So beeinflusst nahmen die Christen in Wien dies widerstandslos hin, billigten es und wurden zu Tätern. Somit war die Auflösung der Wiener Judenstadt 1421 schon ein drohendes Vorzeichen für das, was europaweit in unserem Jahrhundert während der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft geschah. Mittelalterliche Päpste wandten sich erfolglos gegen den judenfeindlichen Aberglauben, und einzelne Gläubige kämpften erfolglos gegen den Rassenhass der Nationalsozialisten. Aber es waren deren viel zu wenige. Heute bereut die Christenheit ihre Mitschuld an den Judenverfolgungen und erkennt ihr Versagen. „Heiligung Gottes“ kann heute für die Christen nur heißen: Bitte um Vergebung und Hoffnung auf Gottes Heil.

      1010 Wien, Judenplatz 2 (Autobus 1 und 3)

       Wiener Biedermeier:

      DIE MÖLKERBASTEI

      Die Häusergruppe auf der Mölkerbastei – die Bezeichnung Mölker leitet sich vom nahe gelegenen Melkerhof ab – bildet eines der wenigen erhaltenen Biedermeierensembles der Wiener Innenstadt. Es sind typische Bürgerhäuser, erbaut nach der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert, die beispielhaft für das bescheidene Wohnbedürfnis dieser Epoche stehen. Die Häuser schmiegen sich auf der Bastei eng aneinander, unauffällig und zurückhaltend.

      Doch hat in diesem Viertel stets viel Prominenz gewohnt: Im Haus Mölkerbastei Nr. 5 lebte zwischen 1881 und 1906 Generaloberst Friedrich Graf Beck-Rzikowsky, Chef des k. u. k. Generalstabes. Von 1903 bis 1936 hatte Anton von Eiselsberg, der berühmte Chirurg und Schüler von Theodor Billroth, hier seine Wohnung.

      Das Haus Mölkerbastei Nr. 8, von Peter Mollner für Johann Baron von Pasqualati als Zinshaus erbaut, diente dem unsteten Ludwig van Beethoven in den Jahren 1804 bis 1815 mehrfach als Heimstatt. Der Hausherr war mit dem Komponisten eng befreundet – noch heute erinnert ein Gedenkraum an das Musikgenie. Seit 1947 ist auch das Adalbert Stifter-Museum im Pasqualati-Haus untergebracht.

      Im Haus Nr. 10 wohnte Ottilie von Goethe, die Gattin von August von Goethe, dem Sohn des großen Dichters. Deren Tochter Alma, also eine Enkelin des Dichterfürsten, starb hier im Alter von 17 Jahren. Die Grabrede auf Alma hielt der Dichter Franz Grillparzer. Dass sie das Modell für die krönende Frauenstatue des Austriabrunnens auf der Freyung gewesen wäre, gehört allerdings ins Reich der Legende.

      Im Vorgängerbau des Hauses Nr. 12 schließlich logierte Feldmarschall Charles Joseph Fürst de Ligne, der „rosarote Prinz“, von dem das Bonmot über den „tanzenden“ Wiener Kongress stammt. Das Haus Mölkerbastei Nr. 1 bzw. Schreyvogelgasse Nr. 10, ein Bürgerhaus des josephinischen Klassizismus, wird zwar Dreimäderlhaus genannt, eine Beziehung zu Franz Schubert und der gleichnamigen Operette von Heinrich Berté ist allerdings nicht belegt.

      1010 Wien, Mölkerbastei (Straßenbahn 1 und 2, Autobus 1, U2)

      Die Bastei selbst, der größte kompakt erhaltene Teil der nach 1857 geschleiften Stadtmauer, auf der die Häuser errichtet wurden, bedarf dringend einer Restaurierung. Doch derzeit besteht ein Zuständigkeitskonflikt zwischen der Stadt Wien, die für das Ziegelmauerwerk und dessen Erhaltung verantwortlich ist, und dem Bundesministerium für Inneres, zu dem der seinerzeitige Stadterweiterungsfonds ressortiert und der seit damals die Rampen verwaltet. Die Stadt Wien, die den gesamten Komplex erwerben möchte, steht in Verkaufsverhandlungen.

       für den Ungarnkönig

       Matthias Corvinus:

      DER REGENSBURGER HOF

      Der Vorgängerbau des Hauses Am Lugeck – Regensburger Hof genannt, weil er als Lagerplatz der Regensburger Kaufleute diente – gehörte im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts dem Wiener Bürger und Bankier Niklas Tischler. Als für den Februar 1470 ein Zusammentreffen des ungarischen Königs Matthias Corvinus mit dem Habsburger Kaiser Friedrich III. zur Verhandlung der komplizierten Erbfrage in Ungarn und Böhmen und überhaupt zur Streitbeilegung vereinbart wurde, stellte Tischler dem Ungarnkönig sein Haus zur Verfügung. Dieser traf am 11. Februar dieses Jahres mit 1.500 Berittenen in Wien ein, eine machtvolle Demonstration von Stärke und Reichtum, die den immer an Geldmangel leidenden Friedrich, der wegen seiner bedächtigen Art den nicht sehr schmeichelhaften Beinamen „des Reiches Erzschlafmütze“ trug, sicherlich nicht erfreute. Trotzdem fanden zahlreiche gesellschaftliche Ereignisse statt, wie ein Turnier am Neuen Markt, an dem der König persönlich teilnahm, oder Bälle im Hause Tischler.

      Die Verhandlungen selbst gingen äußerst zäh voran, kaum wurden Übereinstimmungen erzielt. Die drohende Türkengefahr hätte die beiden auf eine Einigung einschwören sollen, doch verletzte Eitelkeiten wurden wie so oft in der Geschichte Ursache des Verhandlungsabbruchs. König Matthias, der verwitwet war und sich auf Brautschau begab, da er keinen legitimen Nachfolger hatte, warb bei Kaiser Friedrich III. um dessen Tochter Kunigunde. Doch er erhielt eine brüske Abfuhr, weil er vom Habsburger als nicht ebenbürtig angesehen wurde. Daraufhin verließ Matthias wütend und verletzt am 13. März Wien. In der Folge gab es zwischen den beiden einen jahrelangen Kleinkrieg und größere Feldzüge, die in der Eroberung Wiens durch den ungarischen König im Jahre 1485 gipfelten. Fünf Jahre regierte der Corvine in Wien und vermochte die Wiener Bürger auf seine Seite zu ziehen. Der Bankier Tischler spielte bei den Kapitulationsverhandlungen 1485 und in den nächsten fünf Jahren als Parteigänger des Corvinen eine wichtige Rolle in der Stadt. Wäre Matthias nicht tragischerweise und völlig überraschend