Tag. Ihre Wesenheit soll manchmal von einem Halo aus transparentem Licht umhüllt gewesen sein, dann wieder mit einem Heiligenschein über ihrem Kopf. Oder es war nur eine undefinierbare „Lichtmasse“ zu erkennen, die sich dann im Farbenspiel in eine menschenähnliche Form verwandelte. Fallweise wurden Begleitphänomene wie „Blitze“, „Feuerzungen“, „eine Taube aus Licht“ und „veränderte Lichtstärken von milchig weiß bis gleißend hell“ bemerkt. Die Dauer der Erscheinungen variierte. Oft war der himmlische Spuk nur flüchtig für wenige Sekunden sichtbar, dann wieder bis zu mehr als einer Stunde.
KOPTISCHE GEISTLICHE BEZEUGEN SPONTANHEILUNG
Während der Erscheinungen in Shoubra kam es zu spontanen Heilungen. Von einem spektakulären Fall berichtet die ägyptische Wochenzeitung Watani in ihrer Ausgabe vom 1. Juni 1986. Demnach war die damals sechsjährige Theresa Soliman Youssef seit einem Unfall auf dem rechten Auge blind. Ärztliche Dokumente bestätigen die Verletzung der Hornhaut sowie misslungene operative Eingriffe. Als das Mädchen am 18. Mai mit ihrer Mutter die Kirche St. Demiana besuchte, kam es zu einer überraschenden Wende: „Plötzlich wurde auf der rechten Seite des Altars ein stark leuchtendes Gebilde sichtbar. Die kleine Theresa hob die Hand in die Richtung der Lichtquelle, wischte sich dann mit der Handfläche über ihr bislang krankes Auge und schrie verzückt auf: „, Mama, ich kann wieder sehen!‘“
Anwesende Geistliche der koptischen Kirche können den Zwischenfall bezeugen. Ebenso der Mediziner Dr. Fayez Akhnoukh, der das Mädchen untersuchte, die Sehschärfe beider Augen testete und verblüfft feststellte, dass Theresa auf wundersame Weise genesen war. Der Vorfall fand Einzug in die päpstlich-orthodoxen Protokolle zur Ermittlung der Erscheinungsserie. Patriarch Schenuda III. hatte sofort nach ersten Berichten von Augenzeugen einen Untersuchungsausschuss mit hochrangigen Bischöfen veranlasst. Dieselbe Kommission wurde am 11. April 1986 selbst mit dem Unbegreiflichen konfrontiert, als sich die „Dame im Licht“ zwischen 3 und 5 Uhr in der Früh über der Kirche zeigte. Die dortigen Erscheinungen dauerten bis 1991 an.
Patriarch Schenuda III.; Bildnis an einer Hauswand
Rationalisten werden hinter den Geschehnissen menschliche Fehlschlüsse, Aberglaube oder sogar Scharlatanerie wittern. Doch weshalb sollte die Heilige Synode der koptischen Kirche „technische Spielereien“ geduldet oder gar veranlasst haben? Das damit verbundene Risiko einer medialen Entlarvung wäre groß. Würde ein unterstellter päpstlicher „Marienbluff“ publik werden, wäre die Glaubwürdigkeit des Kirchenregiments verspielt und die Folgen für die im Land ohnedies diskriminierte Religionsgemeinschaft unabsehbar. Schon deshalb zielt die Behauptung mancher Skeptiker, leuchtende Himmelserscheinungen seien allesamt „nichts weiter als Hirngespinste“, ins Leere. Die Lichtphänomene in Shoubra sind gut bezeugt. Daran gibt es nichts zu rütteln. Eine unbekannte höhere Intelligenz scheint offenbar derartige Erscheinungen auszulösen. Ob es tatsächlich die überirdische Macht der Gottesmutter ist, bleibt freilich eine Frage des Glaubens und der Interpretation.
DIE FLUORESZIERENDE MADONNA VON WARRAQ AL-HADAR
Wie überzeugend sind Fotos und Videos? Die Bilddokumente zu Shoubra sind als schlüssige Beweise leider wenig aussagekräftig. Der „Fälschungsvorwurf“ schwingt bei der Kontroverse um Übersinnliches immer mit. Die Schwierigkeit, das Unerklärliche im Bild festzuhalten und wissenschaftlich zu analysieren, ist ähnlich problematisch wie bei behaupteten UFO-Kontakten oder flüchtigen Spukphänomenen. In den 1980er-Jahren glückten paranormale Schnappschüsse bestenfalls Profifotografen mit teuren hochempfindlichen Filmkameras. Heute, im Zeitalter digitaler Globalisierung, ist das anders. Eine Welt ohne Mobiltelefon mit Foto- und Videofunktion ist kaum mehr vorstellbar – auch in Ägypten. Am Abend des 10. Dezember 2009 gelang es erstmals eine „Marienerscheinung“ zu filmen. Übersinnlicher Schauplatz: die koptische „Kirche der Jungfrau Maria und des Erzengels Michael“ in Warraq al-Hadar im Verwaltungsbezirk Giseh, unweit der Pyramiden.
Gegen 20 : 30 Uhr wurde der Muslim Hassan auf ein starkes Licht aufmerksam. Zu diesem Zeitpunkt saß der junge Mann in einem Straßencafé neben der Kirche. Er vermutete, dass ein Kind auf einen Baum neben dem Eingang zum Gotteshaus geklettert war und mit einer Taschenlampe herumfuchtelte. „Doch dann wurde das Licht immer intensiver und schwebte vom Baum hinüber zur rechten Kuppel. Jetzt war die Form der Jungfrau Maria deutlich erkennbar. Ich beobachtete sie eine Zeit lang, dann filmte ich sie mit dem Handy, bis sie verschwand“, versicherte Hassan der Tageszeitung Al-Ahram.
Nach Mitternacht hatten sich Tausende Schaulustige am Erscheinungsort eingefunden. Auch die kirchliche Obrigkeit war inzwischen über das „Himmelszeichen“ informiert worden. Etwa drei Stunden lang konnte es gesehen und dokumentiert werden. In den Tagen darauf manifestierte sich die „leuchtende Madonna“ erneut. Wie in Shoubra und ähnlichen Erscheinungen ungeklärter Lichtgestalten kam es auch in Warraq al-Hadar zu vielen Begleiteffekten: „wundersame Heilungen“, „seltsame Lichtblitze“, „das Auftauchen und Verschwinden eines sternartigen Himmelsobjektes“ sowie „leuchtende Tauben, die plötzlich in der Luft erschienen“. Am 13. Dezember 2009 war Bischof Anba Theodosius von Giseh ein prominenter Augenzeuge der ungewöhnlichen Vorkommnisse.
Es dauerte nicht lange, bis die ersten Filmschnipsel und Bilder im Internet auftauchten, wo sie seitdem für Kontroversen sorgen. Während Gläubige davon überzeugt sind, dass die strahlende Silhouette das Abbild der Gottesmutter zeigt, glauben Skeptiker eher an ein von Menschenhand gemachtes Spektakel. Sieht man sich die Aufnahmen an, fällt es in der Tat schwer, in der Lichtquelle die Jungfrau Maria zu erkennen. Das gleißend helle Licht umstrahlt alle Konturen und Details. Nur die Umrisse sind sichtbar und erinnern mit viel Fantasie an eine Frauengestalt mit Heiligenschein.
Kritiker geben überdies zu bedenken, dass die Position der Madonna auf den Filmen stets mit dem Kirchturm dahinter identisch ist. Ihr Verdacht: Die Energiequelle stammt aus dem Inneren des Turms, weil sich dort eine Lichtquelle befindet. Leuchtet das ein? Nicht zwingend. Im Kirchturm brennt des Öfteren ein Licht. Das war und ist für Einheimische nichts Außergewöhnliches. Zudem reicht die schwache Helligkeit eines beleuchteten Raums nicht aus, um die fluoreszierende Leuchtmasse auf den Handyclips zu erklären. Man müsste dort schon ein bengalisches Feuer entfacht haben, um die Menschen zu täuschen (siehe Farbteil Seite 65 oben).
Die Erscheinungen von Zeitoun
ERSTE WAHRNEHMUNG
Die Geschehnisse in Warraq al-Hadar erinnern verblüffend an eine frühere Serie von „Marienerscheinungen“ im östlich des Nils gelegenen Kairoer Außenbezirk Zeitoun. Sie begann in der Nacht vom 2. auf den 3. April 1968 und fand jahrelang mehrere Male im Monat eine Fortsetzung. Wie 2009 im Fall „Warraq“ war es auch dort ein Muslim, der „Maria im Licht“ als Erster sah. Es geschah abends in der Toman-Bay-Straße, wo sich damals eine Busgarage der staatlichen Verkehrsgesellschaft befand. Einer der Mitarbeiter, der Wachmann Abed al-Aziz Ali, erblickte bei der Kuppel der kleinen „Kirche der Jungfrau Maria“ etwas Unfassbares. Er rief aufgeregt den Mechanikern zu: „Seht, da oben auf dem Kirchendach! Eine weiß gekleidete Frau im Licht!“ Die Männer befürchteten zunächst, dass sich ein Mädchen oder eine Nonne in selbstmörderischer Absicht in die Tiefe stürzen wolle. Feuerwehr und Polizei eilten zum Gotteshaus. Unterdessen verfolgte eine wachsende Menschenansammlung das bizarre Schauspiel.
Als sich Gestalt und Leuchtkraft der Erscheinung veränderten, sie frei in der Luft schwebte und eine Formation leuchtender Tauben über ihrem Kopf erschien, waren sich die Schaulustigen einig: Das ist die Jungfrau Maria, die Mutter des Lichts! Das Szenario hielt bis nach Mitternacht an, dann verschwand die Madonna ebenso plötzlich, wie sie aufgetaucht war. Doch sie kam wieder – Hunderte Male! Schon am nächsten Abend und an vielen Nächten darauf, ehe sie am 29. Mai 1971 endgültig verschwand.
ABERTAUSENDE AUGENZEUGEN
Hunderttausende Gläubige und Ungläubige haben die „Frau im Licht“ damals erblickt. Bereits im Mai 1968 kommentierte