Matthias Falke

Phalansterium


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      Matthias Falke

      Phalansterium

      Band I und II

      © 2015 Begedia Verlag

      © 2013 Matthias Falke

      Umschlagbild - Alexander Preuss

      Lektorat und Satz - Harald Giersche

      ebook-Bearbeitung - Harald Giersche

      ISBN-13 - 978-3-95777-057-8 (epub)

      Besuchen Sie uns im Web:

      http://verlag.begedia.de

      Das ENTHYMESIS-Universum

      Eine Science-Fiction-Saga in sieben Trilogien

      1. Laertes

      2. Exploration

      3. Gaugamela

      4. Zthronmic

      5. Tloxi

      - Kampf mit den Tloxi

      - Phalansterium

      - Sternentor

      6. Jin-Xing

      7. Rongphu

Band I Teil 1: Der Abschied

      Kapitel 1: Katzenjammer

      Als ich aufwachte, war der Platz neben mir leer. Ich blieb noch eine Weile liegen und genoss es, aus den Träumen aufzutauchen und in die Realität zurückzukehren. Lange sah ich mir selbst beim Erwachen zu, und die Bilder flossen von mir ab wie das Wasser von einem Leviathan, der sich zum Sprung aus dem Ozean schält.

      Wir waren zusammen gewesen. In einer Weise, die es so nur in Träumen gibt. Wir waren eins gewesen, ein Hermaphrodit mit vier Armen und vier Beinen, zwei Mündern, die sich passgerecht ineinander saugten, und zwei schreienden Lungen. Eine goldene Kugel aus Leben, die Lust verglitzernd den Hang namens Liebe hinunterrollte und in einer weiten baumlosen Ebene liegen blieb. Diese Ebene war ohne Ende, ohne Grenze, ohne Horizont. Eine weiße Sonne brannte auf ihre schwarzen Schlackeflächen herab, ein teilnahmsloser Stern, der nie untergehen und nie erlöschen würde. In der Ferne führte ein Bauer den Pflug über diesen uferlosen Acker des Seins.

      Immer wieder sank ich schwer in die Fluten der Visionen zurück, die zäh und teigig waren und mich nicht freigeben wollten. Dann tauchte ich doch daraus empor und war wieder in dem kleinen Zelt. Der Platz neben mir war leer. Der Eingang stand offen. Kühler Wind bauschte die Plane aus intelligentem Material. Draußen schien die Sonne.

      Wie herrlich man hier schlief! Wie anders alles war. Die Luft so unbeschreiblich leicht und klar und heiter. Alles war erfüllt von der trockenen Nüchternheit des Hochgebirges. Man fühlte sich frei.

      Ich richtete mich auf. Es war kalt. Sowie ich mich aus dem Schlafsack schälte, der selbsttätig die ideale Temperatur gehalten hatte, spürte ich die tausend Kiefer und Zangen des Frostes, die nach meinen Wangen, Händen und Füßen bissen. Der Rest meines Körpers steckte in dem sensoriellen Unterzeug, das sich sofort erwärmte.

      Nachts hatte es gefroren. Ich lugte aus dem halboffenen Zelteingang. Wo die Büsche und Sträucher im Schatten lagen, waren sie von knisterndem Reif bedeckt. Aber auf der Wiese, die den Vorplatz unseres kleinen Lagers bildete, webte warmer Sonnenschein.

      Ich stand auf und ging hinaus. Das Gras war trocken und warm. Es war herrlich, darüber hinwegzuschreiten. Wann war ich zuletzt barfuss über eine Wiese gegangen? Insekten summten. Asternartige Blumen öffneten ihre Kelche und richteten sie schlaftrunken auf die Sonne aus. Viertausend Meter über mir brannten die Firne der gewaltigen Gebirge dieser Welt im ungefilterten Morgenlicht.

      Ich überquerte die Wiese und setzte mich auf einen großen Felsblock, der einladend in dem Meer aus Halmen ausharrte. Aus einer Laune, aus einem Zuviel an guter Laune heraus, schlug ich die Beine unter und nahm Meditationshaltung ein, als sei ich ein großer Yogi. Im Lotossitz, die Augen geschlossen, ließ ich mich von der organischen Wärme bescheinen, die aus dem tiefen Blau des Himmels auf mich ausgegossen wurde. Dieses Licht, diese Wärme, dieses Wohlbefinden gab es nur auf einer Welt, auf der Oberfläche eines Planeten, im schützenden Zelt einer Atmosphäre. Man musste Jahre an Bord von Schiffen und Raumbasen verbrachten haben, sein halbes Leben, um zu begreifen was das war, ein Morgen im Gebirge. Nur hier konnte man Mensch sein. Nur hier konnte man genesen.

      Sowie ich die Augen schloss, blitzten wieder Bilder auf. Die metallischen Kuppen der denkenden Inseln in den cyanblauen Ozeanen des Planeten G.R.O.M. Gefechte und Explosionen vor der dröhnenden Leere des Raumes. Schiffe, riesige Schiffe, die brannten, in den Orbits über so vielen Welten. Jennifer, die aus dem Wasser geschritten kam und sich neben mich in den Schatten einer fremdartigen Palme lagerte. Jennifer, die ausgemergelt auf einer kupferfarbenen Klippe ausharrte wie der Heilige Gregor vor seiner Erwählung. Jennifer, die mich zum ersten Mal küsste und dann, ohne den Blick von mir zu nehmen, die Kleider abstreifte, sich von mir losmachte und ins Meer hinauslief, das warm vor lauter Nacht und Begierde war.

      Jennifer!

      In den Jahrzehnten unseres gemeinsamen Lebens war es uns Gewohnheit geworden, dass sie vor mir aufstand. Sie brauchte weniger Schlaf als ich. Meist war sie morgens schon auf der Brücke oder im Labor oder wo wir eben gerade zu tun hatten, bis ich die Benommenheit abschüttelte und mich von einer Tasse Kaffee zur Vernehmungsfähigkeit anstacheln ließ.

      Auch jetzt war sie verschwunden. Sie musste aufgestanden und aus dem Zelt gekrochen sein, als ich noch in der klebrigen Schwere der Morgenträume hing. Sie träumte ebenfalls viel. Nachts hörte ich sie keuchen, stöhnen und schreien. Sie warf sich herum, und die ausgeklügelte Sensorik des intelligenten Schlafsacks konnte nicht verhindern, dass sie schweißgebadet war. Was bei mir nur besonders plastische Träume bei Nacht und irritierend intensive Déjà-Vues am Tag waren, waren bei ihr tödliche seelische Verwundungen und Traumata. Diese Verletzungen gingen auf ihre Geiselhaft bei den Zthronmic zurück. Und die Monster, die sie in inneren Käfigen verschlossen hatte, hatten während ihres Zusammenbruchs auf der spektakulären Hochzeit der kuLau laut und vernehmlich an ihren Gitterstäben gerüttelt .

      ***

      Der Repräsentant Ang’Laq stand im Vorzimmer wie ein übermannshoher Ficus. Seine langen Extremitäten, die an Schlingpflanzen erinnerten, gestikulierten sachte, wie von einem zärtlichen Lufthauch bewegt. Noch nie war ich einem dieser Wesen so nahe gekommen, und jetzt stand ich in seiner Aura wie in der Duftglocke eines tropischen Gewächses. Die Zweige und Blätter verströmten den intensiven erdigen Geruch eines Tomatenstrauchs, dessen Laub man in der prallen Sonne mit den bloßen Händen brach. Es war aber auch ein süßeres Arom hinein vermischt, Blütenstaub und schwerer Pollen. Der kuLau war trächtig. An seinen Zweigen hingen überall halbreife birnenförmige Früchte. Bald würden sie abfallen und zu Sekundärwesen heranwachsen. Der Hochzeit und Paarung hatten wir beigewohnt. Wir hatten miterlebt, wie hochwohlgeborene Brautleute und Fürstenkinder ineinander gewachsen waren. Sie hatten ihre Blütenschirme einander zugewandt, und in diesem Moment begriff man, dass es Halbsphären waren. Sie ergänzten einander zu bunten, oszillierenden, farbensprühenden Kugeln. Ihre pflanzenartigen Körper, die einander während des Tanzes umwunden hatten, rankten sich ineinander, wucherten durcheinander, verflochten und verstrickten sich miteinander, bis sie zu einem hochragenden Strauch verschmolzen, der astreicher und buschiger war als zuvor.

      Dieses Wesen stand nun vor mir und ließ seine lianengrünen Zweige im Wind eines unhörbaren Gespräches wehen.

      Der Translator übersetzte. Den kuLau war der Vorfall unangenehm. Ihre Hochzeit hatte der festliche Höhepunkt der Neugründung der Union sein sollen. Die Wirkung auf die Zuschauer hatten sie so nicht vorhergesehen. Dass ausgerechnet Jennifer einen lebensbedrohlichen Zusammenbruch erlitten hatte, erfüllte sie mit Bestürzung. Der Repräsentant Ang’Laq, der aus der zeremoniellen Vereinigung hervorgegangen war, drückte seine Besorgnis und Anteilnahme aus. Ich dankte ihm und nahm das Geschenk entgegen. Eine Art Honig, der von seinem Heimatplaneten stammte und dessen Genuss heilkräftige Wirkung zugeschrieben wurde. Angesichts der Erschütterungen, die der bloße Anblick ihrer Hochzeit im Publikum hervorgerufen hatte, verspürte ich