Matthias Falke

Phalansterium


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machte wieder Anstalten, sich unter dem Tablett hervorzuwinden und die Beine aus dem Bett zu strecken.

      »Bleib, wo du bist«, sagte ich. »Oder ich hole Schwester Olga.«

      »Du Schuft!« Sie funkelte mich böse an. »Man könnte meinen, das ganze macht dir Spaß!«

      »Sagen wir so: Sehr viele Dinge in letzter Zeit haben mir keinen Spaß gemacht, und ich habe keine Lust, dass sie sich wiederholen.«

      Sie ließ es geschehen, dass ich ihre Beine packte und sie wieder unter der Decke verstaute. Ich nahm das Tablett und stellte es auf einen der Instrumentenschränke, die im Moment nicht benötigt wurden. Die Standardüberwachung, die in ihre Nachthemd eingearbeitet war, lief im geschützten Bereich des Stabslogs auf, wie das mit den medizinischen Protokollen unserer ganz normalen sensoriellen Anzüge auch nicht anders war.

      In ihren Augen glitzerte der Widerspruchsgeist, aber selbst der kurze Wortwechsel hatte sie so angestrengt, dass sie sich kaum noch aufrecht halten konnte. Sie ließ sich wieder in die Kissen sinken und schlief wenig später ein. Ich schob meinen Sessel erneut an das Bett heran, nahm ihre Hand und sah über ihren Oberkörper hinweg zum Fenster. Die rote Sonne des Doppelsystems schien warm zu der nur leicht polarisierten Front herein. Ihr Licht lag golden auf Jennifers ruhigen Zügen, wie an einem Nachmittag im Oktober irgendwo in Oberitalien. Sie atmete leise und gleichmäßig. Ich saß nur da und sah sie an. In den Jahrzehnten unseres gemeinsamen Lebens war ich ihr noch nie so nahe gewesen.

      Wenig später schob sich die Schwester ins Zimmer und schickte mich fort.

      Als ich am Morgen in Jennifers Krankenzimmer zurückkehrte, saß sie hoch aufgerichtet da, trank ihren Tee und plauderte angeregt mit dem Arzt. Äußerlich war sie wieder hergestellt. Sie würde sich schonen und eine ausgesuchte Diät einhalten müssen, um wieder zu Kräften zu kommen. Aber körperlich war sie ganz gesund.

      Ich half Jennifer, sich zu waschen, während die Schwester die Überreste des Frühstücks entsorgte. Der Arzt saß solange an einer kleinen Konsole und übertrug sämtliche Daten und seinen Bericht in den geschützten Teil des Stabslogs. Dann stand er wieder auf, um sich von uns zu verabschieden.

      »Ich kann nichts mehr für sie tun«, sagte er zu mir. »Aber das heißt nicht, dass sie geheilt ist!«

      Ich nickte. Das war mir alles klar. Aber was wir nun tun sollten, konnte er mir auch nicht sagen.

      »Sie bleibt noch einmal vierundzwanzig Stunden hier. Danach sind Sie beide frei, zu gehen wohin Sie wollen.«

      Mein Blick zuckte erschrocken zu Jennifer, aber sie reagierte nicht. Offenbar hatte der Arzt ihr das schon zuvor gesagt.

      Er ging hinaus.

      »Sie können Besuch empfangen, wenn Sie wollen«, sagte Schwester Olga. »Aber bitte, bleiben Sie vernünftig und übertreiben es nicht gleich.«

      Ich verabschiedete mich von ihr, die sich mit einer Miene zurückzog, als würden wir jeden Augenblick einen groben Unfug anstellen. Offenbar war sie nicht der Meinung, es mit verantwortungsbewussten erwachsenen Leuten zu tun zu haben. Was Jennifer anging, war ich da selbst nicht so sicher. Aber für den Moment verhielt sie sich erstaunlich friedlich. Sie schien sich mit der Situation abgefunden zu haben, und eine Frist von einem Tag und einer Nacht, das war selbst für sie überschaubar.

      Die ersten, die zaghaft an der Tür klopften, nachdem ich ihnen via Stabslog das Okay gegeben hatte, waren Jill und Taylor.

      »Oh mein Gott, Jennifer!« Lambert stürmte ans Bett und schloss ihre frühere Pilotenkollegin in die Arme.

      Taylor begrüßte mich mit einem kantigen Händedruck und ging dann zu Jennifer, um ihr ebenfalls guten Tag zu sagen.

      »Wie geht es dir?«, fragte Jill.

      »Wunderbar.« Jennifer sah sie an und strich ihr eine Strähne ihres ewig wirren Haars aus der Stirn. Für sie war die kleine Copilotin immer so etwas wie eine jüngere Schwester gewesen. Taylor begrüßte sie kühl, wenn auch nicht mehr ganz so herablassend wie zu früheren Zeiten.

      »Sie kann Bäume ausreißen«, sagte ich sarkastisch. »Nur die blöden Ärzte sehen das nicht ein und verdonnern sie zu Bettruhe.«

      Jill ließ einen Blick zwischen Jennifer und mir hin und hergehen.

      »Die Wahrheit ist«, sagte Jennifer, noch immer krächzend, »es geht mir ziemlich beschissen.«

      »Wir haben gesehen, wie Frank dich rausgetragen hat«, plapperte Jill. »Da sind wir natürlich erschrocken. Um ehrlich zu sein, du sahst schon vorher ziemlich bescheiden aus.« Sie grinste. »Jetzt können wir’s ja sagen.«

      Wir waren uns im Menschengewühl vor der Hochzeit der kuLau nur kurz begegnet. Es hatte kaum für ein »Hallo« gereicht, das wir uns in dem Geschiebe zuriefen.

      »Ich war vorher schon sehr k.o.« Jennifer sah mich anklagend an. »Die Hochzeit war nur noch der berühmte Tropfen, der das Fass überlaufen ließ.«

      »Diese Sache mit den Tloxi.« Jills Augen drohten wieder einmal aus den Höhlen zu quellen. »Wir haben es im Stabslog nachgelesen.«

      »Ja, das war ziemlich heftig«, sagte ich.

      Jennifer senkte einen Blick in mich, als wolle sie sagen »Wer war die Geisel, ich oder du?« Aber sie behielt es für sich. Sie hatte Jills Hände in die ihren genommen.

      »Wie geht es euch?«, fragte sie leise.

      »Ihr seid mit Rogers aneinander geraten«, sagte Taylor gleichzeitig zu mir.

      Ich nickte nur. »Das meinte ich mit heftig. Er hat mit Annihilatoren auf uns geschossen. Die Details erzählen wir euch ein andermal. Hier haben die Wände Ohren.«

      Jetzt riss Jill Lambert die wasserblauen Augen auf. »Annihilatoren? Ist der denn völlig meschugge?«

      Dann fiel ihr ein, was ich gesagt hatte.

      »Es ist ja alles gutgegangen«, brummte ich. »Mehr oder weniger.«

      »Naja.« Jill ließ einen Blick über die bettlägerige Jennifer gehen. Dann besann sie sich. »Was uns angeht, so – wissen wir noch nicht so recht.«

      Mit der freien Hand suchte sie Lucio, dessen Rechte sie verliebt drückte. Von ihrer sitzenden Position an Jennifers Bettrand sah sie mit warmem Lächeln zu ihm auf. So waren junge Paare, wenn sie einem mitteilten, dass sie sich verlobt hatten. Aber die beiden waren seit Jahren verheiratet, nach dem etwas speziellen Ritus der Amish, denen sie sich nach Sina angeschlossen hatten.

      »Kriegt ihr ein Kind?«, entfuhr es mir.

      »Das nun gerade nicht.« Jill bekam einen roten Kopf. Offenbar hatte ich ein heikles Thema angeschnitten.

      Taylor räusperte sich.

      Es entstand ein peinlicher Moment der Stille.

      »Dass ihr jetzt hier seid«, versuchte Jennifer, die Situation zu retten, »auf dem Torus, heißt das, dass ihr euch wieder der Union anschließen wollt?«

      Jill griff dankbar zu. »Um ehrlich zu sein, wir hängen noch etwas in der Luft.«

      An der Art, wie sie beide herumdrucksten, war zu erkennen, dass sie sich mit einem bestimmten Plan trugen.

      »Was habt ihr vor?«, fragte ich Taylor.

      Er hob die muskulösen Schultern. Aus der linken drang dabei das leise Surren der Tloxi-Servos. Es erinnerte einen stets daran, dass er eine Prothese trug.

      »Die Amish sind dabei, neue Gebiete zu erschließen«, sagte er.

      »Nachdem sich die ganze Lage ja nun beruhigt hat«, fiel Lambert ein, »hat die Union uns ihre Karten zur Verfügung gestellt.«

      Jennifer und ich sahen uns an. »Uns«, das waren offenbar die Amish. Also hatten sie nicht vor, in den regulären Dienst zurückzukehren.

      »Es sind einige tausend Welten im Randgebiet der ehemaligen sinesischen Einflusszone, die jetzt in den Blick kommen.