Johannes Sachslehner

Der Henker


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nachdem er ein paar Leute erschossen hatte.“

      Am Abend dieses 5. März 1943 schockt Göth das Lager mit einer ersten Hinrichtung. Die beiden jungen Mädchen, Rega Teichmann-Salz und Erica Weitz, sind gefunden worden. Sie hatten zwar die Erlaubnis, das Lager zu verlassen, kehrten aber über Nacht nicht zurück – daraufhin ließ sie Göth im Ghetto suchen, wo sie schließlich auch entdeckt wurden. Eine Eskorte von zwanzig Wachleuten bringt sie nach Płaszów zurück. Noch weiß niemand, was für eine Strafe sie erwartet, die Häftlinge glauben, dass es beim Auspeitschen bleiben wird, doch für Göth ist diese „Disziplinlosigkeit“ Anlass genug, erstmals ein Exempel zu statuieren: Rega und Erica, beide fast noch Kinder, sollen vor versammelter Belegschaft um sieben Uhr abends gehängt werden. Zuvor werden sie noch ausgepeitscht, dann behandelt man ihre Wunden mit Jod; über ihr Schicksal lässt man sie bis zuletzt im Unklaren.

      Die „Show“ am Appellplatz beginnt, nachdem alle Häftlinge von ihrer Arbeit ins Lager zurückgekehrt sind. Als Henker fungiert der aus einer prominenten Familie stammende jüdische Kapo Itche Saltz, ein Brillenträger. Er hat nicht einmal ordentliche Stricke zur Verfügung, stattdessen benutzt er Gürtel. Bei einem der Mädchen reißt der Lederriemen, worauf Göth es unbarmherzig noch einmal hängen lässt und dann noch einige Schüsse auf den baumelnden Körper abgibt. Ihr qualvolles Sterben wird begleitet von der deutschen Lagerband: Den Schlager, den sie zur Hinrichtung spielen muss, hat Göth selbst ausgesucht: Komm zurück! von Rudi Schuricke.

      Zeugin der entsetzlichen Szene sind unter anderem die 17jährige Felicja Friedmann aus Krakau, die im Kabelwerk beschäftigt ist, und der neunzehnjährige Julius Feldman, der in der „Zentrale für Handwerkslieferungen“ in der Limanowskiegostraße 4 arbeitet. Hier werden Möbel aus jüdischen Wohnungen zusammengetragen, überholt und den diversen Nazi-Bonzen zur Verfügung gestellt. Gut möglich, dass sich auch Göth bei der Einrichtung seiner Villa aus der „Zentrale“ bedient hat.

      Der Mord an Diana Reiter

      Die Bauarbeiten auf dem Lagergelände sind in vollem Gange. Die Leitung des Lagerbaus hat Göth dem 47-jährigen jüdischen Ingenieur Zygmunt Grünberg aus Krakau anvertraut, der, das ist ihm bekannt, von Julian Scherner protegiert wird. Grünberg ist ein tüchtiger Architekt, der auch in dieser aus Angst und Unsicherheit emporwachsenden Barackenwelt seinen Mann steht. „Wo andere aufgaben, fand Grünberg noch immer eine Lösung“, wird später Mietek Pemper über ihn schreiben.

      Auch Göth ist rasch vom großen Können Grünbergs überzeugt und entwickelt ein seltsames Verhältnis zu ihm. Anfangs verspricht er ihm noch einen besonderen Status im Lager: „Du wirst hier wie ein König leben, wenn du alle meine Wünsche erfüllst“, soll Göth, so berichtet Jakub Stendig in seinem Buch über Płaszów, zu Grünberg anlässlich der „Amtsübergabe“ gesagt haben. Gleichzeitig macht er jedoch Grünberg für alle Probleme beim Lagerbau verantwortlich und beginnt ihn dafür immer wieder erbarmungslos zu schlagen und zu quälen. Grünberg, so erleben es die Häftlinge mit, ist jener Unglückliche, der die Wutanfälle Göths in erschreckend häufiger Weise auf sich konzentriert. Da Grünberg die Sympathien Scherners besitzt, kann er von Göth nicht getötet werden, obwohl dieser einige Male kurz davor steht. Als Grünberg, verzweifelt und am Ende seiner Kräfte, ihn eines Tages bittet, ihn doch gleich zu erschießen, antwortet ihm Göth, dass er damit noch warten würde, weil er ihn vorher noch brauche.

      Mietek Pempers Darstellung zufolge nährte sich der Hass Göths auf seinen jüdischen Lagerarchitekten nicht zuletzt aus der Tatsache, dass er – so wie Hitler – eine Vorliebe für die Architektur hegte und angeblich sogar mit dem Gedanken spielte, nach dem Krieg Architektur zu studieren.

      Gebaut wird nicht nur an den Baracken für die Häftlinge, sondern auch an den solide aus Ziegeln gemauerten Häusern für die SS-Offiziere und -Mannschaften. Aufsicht über den jüdischen Bautrupp, der mit Eifer bei der Sache ist, hat SS-Oberscharführer Albert Hujar. Eines Tages gibt es auf der Baustelle ein Problem: Eine etwa acht Meter lange und zwei Meter hohe Mauer der „Wachkaserne“ zeigt Risse; die zuständige Architektin, ein junge Jüdin namens Diana Reiter, erklärt, dass hier offensichtlich feuchte Ziegel verwendet worden seien, die später in der Kälte aufgefroren wären.

      Hujar meldet das Problem und Göth lässt die Architektin zu sich kommen. Diese legt ihm die Gründe für den Bauschaden dar. Göth hört sich ihre Rechtfertigung ein paar Minuten an und kommt in Rage über dieses jüdische „Geschwätz“ – „Leg sie um, diese Scheißingenieurin!“, brüllt er los und Albert Hujar tut, was ihm befohlen worden ist: Er zerrt die Frau zur Seite, stößt sie vor sich her, zieht seinen Revolver und schießt ihr ins Genick. Jakub Stendig und die anderen Umstehenden sehen mit Grauen, dass Göth nach dem Mord entspannt und bester Dinge wirkt; erstmals werden sie Zeugen seiner seltsamen „Zufriedenheit“ nach Gewalttaten. Den Aufgabenbereich der Ermordeten übernimmt Ingenieur Jakub Stendig, der im Ghetto die Bauabteilung der Jüdischen Gemeinde geleitet hat.

      Alle werden es in der nächsten Zeit in Briefen erfahren, die SS-Freunde in Lublin und auch der Vater in Wien: „Jetzt bin ich endlich mein eigener Kommandeur.“

      

      Ein Bild des Todes und der Verwüstung: die Hauptstraße des Krakauer Ghettos nach der „Liquidierung“ vom 13./​14. März 1943

      Die „Liquidierung“ des Ghettos

      Nur wenige Tage später, am Samstag, dem 13. März 1943, beginnt die „Liquidierung“ des Krakauer Ghettos. Reichskanzler Adolf Hitler besucht an diesem Tag die Heeresgruppe Mitte und entgeht dabei mit schon gewohntem Glück einem Attentat. Der Rechtsanwalt und Militärrichter Oberleutnant Dr. Fabian von Schlabrendorff, zu diesem Zeitpunkt Ordonnanzoffizier Henning von Tresckows, des Stabschefs der 2. Armee, hat zwei als Kognakflaschen getarnte Bomben in das Flugzeug des „Führers“ geschmuggelt; im entscheidenden Moment versagt jedoch die Zündung des Sprengstoffpakets – im Frachtraum des Flugzeugs ist es zu kalt.

      Und Amon Göths alter „Chef“ Odilo Globocnik weitet an diesem Tag seine „unternehmerischen“ Tätigkeiten aus: Er wird Geschäftsführer der „Ostindustrie GmbH“, die zu ihren lukrativen Geschäftsfeldern „Arisierungen“, Vermögenstransfers und die Organisation von Zwangsarbeit zählt. Hausbank des Unternehmens wird die Dresdner Bank, deren Vorstand Prof. Dr. Emil Heinrich Meyer, nebenbei auch SS-Standartenführer, sich glücklich schätzt die Konten der „Osti“ führen zu dürfen. Die Aussiedlung ist organisatorisch gut vorbereitet: Bereits einige Wochen zuvor ist es in einen Teil A und in einen Teil B geteilt worden; zwischen beiden Hälften hat man Stacheldraht gezogen, ein Wechseln in den anderen Teil ist verboten. Das Ghetto A ist Lebensraum der arbeitenden Menschen, das Ghetto B ist für die nicht arbeitenden vorgesehen, also für Alte, Kranke und Kinder. Viele arbeitende Menschen wollen jedoch ihre Familienmitglieder nicht im Stich lassen und wechseln in den B-Teil – eine Entscheidung, die sie in den Tod führt.

      Um 11 Uhr am Vormittag wird von OD-Chef David Gutter ein Befehl Julian Scherners bekannt gemacht: Alle Bewohner von Ghetto A haben sich innerhalb von vier Stunden für die „Übersiedlung“ in das neue Lager Płaszów bereitzuhalten.

      Tadeusz Pankiewicz, der im Ghetto eine Apotheke betreibt, wird Zeuge, wie Göth und seine Männer dann über die Menschen am Zgodyplatz herfallen. In seinen Erinnerungen beschreibt er Göths Erscheinungsbild an diesem Tag: „Er ist ein großer, gut aussehender Mann mit einem mächtigen Körper auf dünnen Beinen, einem gut proportionierten Kopf und blauen Augen. Er trägt einen schwarzen Ledermantel. In einer Hand hält er eine Reitpeitsche, neben ihm sind seine beiden Hunde.“

      Göth und seine Killer sind wie berauscht von der Effizienz, mit der sie ihr Mordgeschäft an diesem Tag betreiben; ja, jetzt zeigen sie den schlappen Krakauern, was sie im Osten bei der Aktion Reinhardt gelernt haben. Estera Schwimmer, eine 36-jährige Jüdin aus Sosnowiec, die bei Julius Madritsch arbeitet, wird Zeugin dieses Blutrauschs: Sie steht in einer Fünferreihe, bereit zum Abmarsch ins Lager nach Płaszów, an der Hand hält sie das zweieinhalbjährige