Johannes Sachslehner

Der Henker


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ersten Terroraktionen der deutschen Besatzer in Krakau lassen nicht lange auf sich warten: In der Zeit zwischen dem 10. Mai und dem 12. Juli 1940 ordnet Generalgouverneur Hans Frank die „Außerordentliche Befriedungsaktion“ an. Die Sicherheitspolizei inhaftiert 3.500 Angehörige des polnischen Widerstandes, und etwa 3.000 so genannte „Berufsverbrecher“ werden in Gefängnissen ermordet. Frank zitiert den „Führer“, der ihm gesagt hätte, dass die Führerschicht in Polen zu liquidieren und was „nachwachse“ wieder wegzuschaffen sei. Dann meint er weiter über die Maximen seines Handelns: „Wir brauchen diese Elemente nicht erst in die Konzentrationslager des Reichs abzuschleppen, denn dann hätten wir nur Scherereien und einen unnötigen Briefwechsel mit den Familienangehörigen, sondern wir liquidieren die Dinge im Lande. Wir werden es auch in der Form tun, die die einfachste ist.“

      Hans Frank versteht sich als deutscher Kulturmensch, ja, als Speerspitze der Zivilisation, und hält entsprechend Hof: So begrüßt der vielseitig interessierte und durchaus belesene Herr am Wawel zum Beispiel den Physiker Werner Heisenberg, Paul Hörbiger, Lil Dagover, Max Halbe, Elly Ney, Veit Harlan, Heinrich George, Clemens Krauß, diverse Solisten der Mailänder Scala, die Wiener Sängerknaben oder auch seinen Freund, den Komponisten Hans Pfitzner. Zu einer größeren Schärfe des Denkens vermögen ihn all diese Kontakte nicht zu bewegen und so schwadroniert er am Rednerpult weiter drauf los.

      

      Arbeiten „für das Wohl und die Größe des Reiches“: die Nazis in Krakau

      In seiner Ansprache auf der Weihnachtsfeier des I. Wachbataillons Krakau am 19. Dezember 1940 resümiert Frank: „Ich habe freilich in einem Jahr weder sämtliche Läuse noch sämtliche Juden beseitigen können. Aber im Laufe der Zeit und besonders wenn Ihr mir dabei helft, wird sich das schon erreichen lassen.“

      Das Krakauer Ghetto

      Ein erster Schritt zur angestrebten „Beseitigung“ der Juden ist die Einrichtung eines Ghettos am rechten Weichselufer im Stadtteil Podgórze. Auf dem etwa 20 Hektar großen Gelände um den Zgody-Platz, das 15 Straßen zwischen Weichsel, Rynek Podgórski und der Bahnlinie Kraków – Płaszów einschließt, stehen 320 Häuser mit 3.167 Zimmern – darin sollen bis zum 20. März 1941 16.000 Juden Platz finden; die vorgegebene unmenschliche Norm sieht dabei folgendermaßen aus: zwei Quadratmeter eines Zimmers für eine Person oder drei Personen für ein Fenster. In einer Zwei- oder Dreizimmerwohnung müssen daher mehrere Familien eine neue Heimstatt finden. Die Situation verschärft sich noch nach dem 15. September 1941, als etwa 4.000 Juden aus den Orten in der Umgebung Krakaus ebenfalls ins Ghetto übersiedeln müssen – insgesamt leben nun 20.000 Menschen zusammengepfercht auf engstem Raum.

      Schritt für Schritt ziehen die Nazi-Bürokraten die tödliche Schlinge enger: Ab dem 15. Oktober 1941 steht auf das Verlassen des Ghettos ohne entsprechende Erlaubnis die Todesstrafe; ab 1. Dezember 1941 werden Lebensmittel rationiert: Vorgesehen sind 100 Gramm Brot täglich sowie 200 Gramm Fett und Zucker monatlich. Als Antwort darauf beginnt der Schmuggel von koscherem Fleisch und anderen Nahrungsmitteln. Wer genug Geld hat, kann noch immer alles kaufen; für viele beginnt jedoch nun das Hungern.

      Am 11. Dezember 1941 veranstalten SS und Sicherheitspolizei eine erste Treibjagd auf Menschen, die keine gültige Aufenthaltserlaubnis für das Ghetto besitzen; wer gefasst wird, wird in den Wäldern um Kielce erschossen.

      Am 27. Dezember 1941 kommt unter Androhung der Todesstrafe der Befehl zur Ablieferung von Pelzen, Schi und Schischuhen – an die 8.000 Pelze werden eingesammelt; während der Suchaktionen in den Wohnungen erschießen Polizei und SS zahlreiche Menschen.

      Die Strategen des Massenmordes denken inzwischen in unfassbaren Dimensionen: Am 13. Oktober 1941 trifft Globocnik mit Heinrich Himmler zusammen, der ihm die Genehmigung zum Bau des Vernichtungslagers in Bełżec erteilt. Am 17. Oktober 1941 ist bei SSPF Odilo Globocnik in Lublin eine Besprechung angesetzt. Angereist aus Krakau sind Generalgouverneur Hans Frank, der im Slang der SS inzwischen auch höhnisch König Hans oder Stanislaus der Verspätete genannt wird, und der Stellvertreter des Staatssekretärs Dr. Ernst Boepple, anwesend sind weiters der Gouverneur des Distrikts Lublin Ernst Zörner und dessen Amtschef Wilhelm Engler. Einer der Punkte, die besprochen werden, betrifft die „Judenfrage“. Nach angeregter Diskussion einigen sich die Herren auf folgende Vorgangsweise: „Die Juden sollen – bis auf unentbehrliche Handwerker und dergl. – aus Lublin evakuiert werden. Zunächst werden 1.000 Juden über den Bug überstellt werden. Den Vollzug übernimmt der SS- und Polizeiführer. Die Auswahl der zu evakuierenden Juden erfolgt durch den Stadthauptmann.“

      Damit ist eine wichtige Weichenstellung in Richtung systematischer Ermordung der Juden gefallen, Frank und Globocnik, die es beide nicht erwarten können, das Generalgouvernement ihrem „Führer“ endlich „judenfrei“ präsentieren zu können, haben sich durchgesetzt. Mit der „Evakuierung der Juden über den Bug“ hat man für das beginnende Massaker auch ein erstes passendes sprachliches Mäntelchen gefunden. Und die Kompetenzen dafür sind festgelegt: Nicht wie bisher die Zivilverwaltung ist für die „Evakuierung“ zuständig, sondern der SS- und Polizeiführer Odilo Globocnik – ein verräterischer Hinweis darauf, dass jetzt die Skrupellosigkeit und Brutalität des SS-Apparats gefragt sind. Globocnik, der zudem um die Zustimmung Himmlers zum Bau der Gaskammern in Bełżec weiß, kann seinem Tatendrang jetzt freien Lauf lassen. Bereits in seiner einleitenden Ansprache zur Sitzung hat Hans Frank durchklingen lassen, dass dieser Weg von Hitler vorgegeben sei: „Ich habe in der nächsten Zeit auf Grund eines besonderen Auftrages des Führers sowieso hier noch öfter zu tun und werde daher das Glück haben, öfter in Lublin zu erscheinen.

      Frank, der schon von der Besiedlung des Generalgouvernements durch deutsche Siedler träumt, scheint seine fiebrige Ungeduld in Sachen „Judenfrage“ kaum bezähmen zu können. Zwei Monate später, am 16. Dezember 1941, schließt er eine Regierungssitzung in Krakau mit sehr deutlichen Worten: „Mit den Juden – das will ich Ihnen auch ganz offen sagen – muss so oder so Schluss gemacht werden. Mitleid wollen wir grundsätzlich nur mit dem deutschen Volke haben, sonst mit niemanden auf der Welt. Die anderen haben auch kein Mitleid mit uns gehabt.

      Ich muss auch als alter Nationalsozialist sagen: Wenn die Judensippschaft den Krieg in Europa überleben würde, wir aber unser bestes Blut für die Erhaltung Europas geopfert hätten, dann würde dieser Krieg doch nur einen Teilerfolg darstellen. Ich werde daher den Juden gegenüber grundsätzlich nur von der Erwartung ausgehen, dass sie verschwinden. Sie müssen weg.

      

      Ein Motiv für den Propagandafeldzug: „König Hans“ Frank begegnet Mädchen in ukrainischer Tracht.

      

      Übersiedlung ins Ghetto: Möbel und Hausrat werden auf Leiterwagen verladen.

      Meine Herren, ich muss Sie bitten, sich gegen alle Mitleidserwägungen zu wappnen: Wir müssen die Juden vernichten, wo immer wir sie treffen und wo es irgend möglich ist, um das Gesamtgefüge des Reiches hier aufrecht zu erhalten.

      Die Juden sind auch für uns außergewöhnlich schädliche Fresser. Die 3,5 Millionen Juden können wir nicht erschießen, wir können sie nicht vergiften, werden aber doch Eingriffe vornehmen können, die irgendwie zu einem Vernichtungserfolg führen, und zwar im Zusammenhang mit den vom Reich her zu besprechenden großen Maßnahmen. Das Generalgouvernement muss genau so judenfrei werden, wie es das Reich ist.“

      Die Planungen zum Mord an den Juden sind offenbar weiter fortgeschritten. Bereits einen Monat vor der Wannsee-Konferenz stimmt Hans Frank seine Mitarbeiter auf das Blutbad ein – in den Köpfen ist man bereit für die große „Aktion“. Das Generalgouvernement will sich als Musterschüler zeigen, der die Aufgabe bereits angeht, bevor sie noch offiziell ausgesprochen ist – diesen Rahmen für die