ging zur Tafel und zeigte uns auf der Landkarte die Gebiete des Persischen Reiches, die vom Feind eingenommen wurden.
Esfandiary: „Es gab drei wichtige Gründe, warum das Persische Reich unterging.
Erstens war es die allgemeine Unzufriedenheit der Menschen wegen der Ungerechtigkeit.
Zweitens schwächte der ständige Krieg mit dem römischen Reich das Land und machte aus Iran leichte Beute für die arabischen Eroberer.
Drittens gab es zu große Uneinigkeit in der zentralen Regierung zwischen Armee und Politikern am kaiserlichen Hof um die Macht.“
Diese Schwachpunkte lieferten die ideale Gelegenheit für die Räuber, die auf der arabischen Halbinsel lebten. Die neue Religion Islam gab ihnen eine Einigkeit und so entstand aus vielen kleinen Gruppen eine große Armee. Sie war besessen von der Gier nach Wohlstand, Frauen und anderer Kriegsbeute. Zum ersten Mal eroberten sie vor 1350 Jahren unser Land.
Ich mochte schon immer den Geschichtsunterricht, weil ich wissen wollte, warum wir Iraner Muslime geworden sind? Aus alten Büchern kannte ich Bilder, die persische Frauen ohne Kopftuch und Schleier zeigten. Sie spielten Musikinstrumente und tanzten zusammen mit den Männern.
Etwas, das ich bis dahin in meiner Umgebung nie gesehen hatte.
Ich dachte, wie schön wäre es, könnte ich mit Yalda in dieser fernen Zeit leben. Zu einer Zeit, als die Menschen vielleicht freier waren. Nicht wie heute, da Mädchen und Jungen nur wegen der Scharia überall getrennt sind und sogar unterschiedliche Schulen besuchen müssen.
Wir waren 42 Jungs in unserer Klasse. Jedes Mal beim Geschichtsunterricht dachte ich an Yalda, die in die Mädchenschule auf der anderen Seite der Straße gehen musste und so den schönen Geschichtsunterricht an unserer Schule verpasste.
Herr Esfandiary wollte noch etwas an die Tafel schreiben, aber es gab keine Kreide mehr.
Er forderte mich freundlich auf, Kreide aus dem Lehrerzimmer zu holen.
Ich stand auf und verließ das Klassenzimmer.
Der Schulkorridor war leer. Ein Lichtstrahl fiel durch das Fenster auf den glänzenden Mosaikboden.
Das brachte mich in die Versuchung, auf dem glatten Boden zu rutschen. Das alte Mosaik war durch die Zeit vom Laufen so glatt, als wäre es gerade mit Wachs poliert worden. Wer weiß, wie viele Menschen in der Geschichte über diesen Fußboden gelaufen waren. Ich nahm Anlauf, rannte bis zur Mitte des Korridors und den Rest rutschte ich fast bis an das Lehrerzimmer. Das war ein Spaß!
Auf einmal stand ich vor unserem Schuldirektor, der gerade aus dem Lehrerzimmer kam.
Ich machte ein paar Verrenkungen um abzubremsen und nicht mit ihm zusammenzustoßen.
Er schaute mich ziemlich streng an.
Direktor: „He, was soll das? Was machst du hier?“
Mariwan: „Unser Lehrer schickt mich, Kreide zu holen, Herr Direktor.“
Direktor: „Hat euer Lehrer auch gesagt, dass du so rutschen sollst?“
Mariwan: „Nein, Herr Direktor.“
Direktor: „Wie oft habe ich auf dem Schulhof gesagt, dass ihr nicht über den Fußboden rutschen sollt? Ha? Wenn du dabei einen kleineren Schüler aus der ersten Klasse umstößt, weißt du, was da passieren kann?! Nein, du weißt das nicht. Solange nichts passiert, begreift ihr das auch nicht. Es muss immer erst einen Verletzten geben bis ihr das kapiert. … sag mal, wie heißt du?“
Mariwan: „Herr Direktor, es war aber niemand im Korridor.“
Direktor: „Ich habe dich nach deinem Namen gefragt! Und ob hier jemand war oder nicht, das macht keinen Unterschied. Rutschen ist verboten. Weißt du, was verboten bedeutet?! … Wie heißt du?
Mariwan: „Mariwan“
Der Direktor nahm aus der Innenseite seiner Jacke ein kleines Notizbuch und schrieb etwas auf.
Direktor: „Welcher Mariwan?“
Mariwan: „Mariwan Farwardin“
Direktor: „Gut, du bekommst eine schlechte Note für deine Disziplin.“
Er klappte sein Notizbuch zu, steckte es wieder ein und ohne weiter darüber nachzudenken, dass ich Kreide mitbringen sollte, ging er einfach weiter.
Mariwan: „Herr Direktor, die Kreide! … Ich soll doch Kreide holen.“
Der Direktor, der sich jetzt wieder daran erinnerte, was ich eigentlich im Lehrerzimmer wollte, schaute mich einen Moment an und zeigte mir durch eine abfällige Handbewegung, dass ich ihn schon wieder störte.
Er ging vor mir in das Lehrerzimmer, öffnete einen Metallschrank und begann zu suchen.
Dann, ohne etwas gefunden zu haben, schloss er den Schrank wieder. Er nahm einen kleinen Schlüssel von einem Nagelbrett an der Wand und gab ihn mir.
Direktor: „Kreide ist alle. … Geh du nach unten, in den Keller. Wenn du die Tür aufmachst, stehen auf der rechten Seite im Regal drei weiße Schachteln mit Kreide. Bring eine mit nach oben, stell sie hier auf den Tisch und nimm ein paar Stück heraus. Hast du das verstanden?“
Mariwan: „Ja, Herr Direktor!“
Direktor: „Und nicht vergessen, die Kellertür zuzumachen. … Dann hängst du den Schlüssel wieder an das Brett.“
Der Direktor schaute kurz auf seine Uhr und schüttelte seinen Kopf, murmelte etwas vor sich hin und ging auf den Schulhof.
Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich in diesen Keller ging. Er war ziemlich dunkel. Ich ging vorsichtig die Treppe hinunter und suchte den Lichtschalter. Ich drückte darauf, aber es passierte nichts. Wahrscheinlich war die Lampe kaputt.
Es roch nach feuchten Wänden und nassem Holz. Aus der Dunkelheit hörte ich ein raschelndes Geräusch. Mich überkam ein bisschen Angst. Khozeymes Warnung kam mir wieder in den Sinn, die Erzählungen von den Dschinns.
Ich sprach mir selbst Mut zu, dass das bestimmt nur eine Maus ist, die im Keller nach Futter sucht.
Ich ging einen Schritt weiter zur Tür und versuchte, in der Dunkelheit das Schlüsselloch zu ertasten. Als ich mit dem Schlüssel gegen die Tür drückte öffnete sie sich durch das leichte Anstoßen von allein. Sie war gar nicht abgeschlossen.
Die Tür drehte sich langsam nach innen. Jetzt wurde das Geräusch deutlicher. Es klang aber nicht wie eine Maus. Es war regelmäßig und heftig, fast wie das Atmen eines Menschen. Zögernd ging ich einen Schritt hinein. Ich schaute auf das Regal. Der Kreidekarton stand dort, wie es der Direktor gesagt hatte.
Das Geräusch ängstigte mich, aber weckte gleichzeitig meine Neugier, so dass ich nicht einfach weggehen konnte. Ich wollte seine Quelle finden.
Ich nahm einen Kreidekarton, ging ein paar Schritte weiter und tastete mich in den dunklen Raum hinein. Das Geräusch wurde immer deutlicher und meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Zwischen einem Haufen alter Tische und Bänke schien ein schwacher Sonnenstrahl durch das schmutzige hintere Kellerfenster.
Jetzt hörte ich es besser. Die Stimme kam hinter dem Haufen der Tische heraus:
„Ha … ha … Mehr … Ja weiter … Drück mal … ja so … Mach weiter … Ja mach weiter!“
Es war eine weibliche hohe Stimme, die ich schon irgendwo gehört hatte.
Langsam ging ich noch einen Schritt nach vorn. Jetzt hörte ich die Stimme ganz deutlich. Meine Hände waren eiskalt und ich erstarrte vor dem, was ich sah.