Vahid Monjezi

Meine Geparden sind auf dem Weg


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      Ich nickte heftig.

      Khozeyme: „Sagst du auch nur einen Mucks, schreibe ich persönlich deinen Entlassungsbrief, und zwar so, dass dich keine andere Schule je wieder aufnimmt.“

      Khozeyme ließ meine Hände los und legte das Metalllineal wieder auf den Schreibtisch des Direktors.

      Er schaute in mein verweintes Gesicht.

      Khozeyme: „Hör auf zu flennen.“

      Ich versuchte, meinen Atem anzuhalten.

      Khozeyme: „Geh zum Waschbecken und mach dich sauber. Ich verbiete dir zu weinen!“

      Er rückte seinen Turban zurecht, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und schloss die Tür auf.

      Khozeyme: „Wenn dich jemand fragt, sagst du, dein Vater war da und wollte mit mir darüber sprechen, wie er dich religiöser erziehen kann. … Jetzt hau ab! Verschwinde!“

      Ich verließ das Lehrerzimmer. Der Korridor war immer noch menschenleer, doch der glänzende Boden konnte mich nicht mehr beeindrucken. Ich ging zum Waschraum, stellte mich an das Waschbecken, ließ meine Hände voll Wasser laufen und goss das Wasser über mein Gesicht.

      Es war kalt, aber brannte auf meinen Lippen.

      Ich schaute in den Spiegel. Ein Kind schaute mir mit roten Augen und zitternden Wangen entgegen. Ich wandte meinen Blick ab.

      Als ich zu unserem Klassenzimmer zurückkehrte, klingelte es zum Ende der Stunde.

      Aus der Klasse rannten fröhliche Kinder.

      Der Unterricht war vorbei und Herr Esfandiary sortierte gerade seine Geschichtsbücher in die Tasche. Ich ging zu meiner Bank. Soheil und Adel hatten auf mich gewartet.

      Mein Geschichtsbuch lag noch offen auf dem Tisch. Ich schaute zur Tafel auf das Persische Reich.

      Von allen Seiten eroberten die Feinde in Form von roten Pfeilen den Iran und das, was übrig blieb, war ein besetztes Land in der Hand Fremder.

      Herr Esfandiary kam zu mir und stellte sich neben meine Bank. Ohne dass ich ihn beachtete, klappte ich das Buch zu und steckte es in meinen Rucksack.

      Er hockte sich neben meine Bank, um mit mir in gleicher Augenhöhe zu sein.

      Ich sah seinen besorgten Blick.

      Esfandiary: „Wer hat dich geschlagen?“

      Ich presste meine Lippen aufeinander: „Niemand.“

      Esfandiary: „Keine Angst mein Junge, sag es mir. … Es war Khozeyme stimmt’s?“

      Ich senkte meinen Blick.

      Er schüttelte seinen Kopf.

      Esfandiary: „War dein Vater überhaupt da?“

      Was sollte ich sagen. Ich schwieg weiter. Er legte seine Hand auf meine Schulter.

      Esfandiary: „Hab keine Angst, Mariwan, du kannst es mir erzählen.“

      Esfandiary war fast so alt wie Morshed. Er war ziemlich groß, kräftig und hatte breite Schultern.

      Seine vollen Haare waren grau meliert, er kämmte sie immer nach hinten und sein Gesicht war immer glatt rasiert. Schon seit vier Jahren war er unser Klassenlehrer, von Anfang an, ab der 1. Klasse. Ich hatte es noch nie erlebt, dass er seinen Schülern gegenüber laut oder ausfällig wurde.

      Mit einer unglaublichen Liebe und Begeisterung unterrichtete er uns. Wenn jemand etwas fragte, hörte er immer gut zu. Selbst, wenn er manche Sachverhalte mehrmals erklären musste, hörte man ihn nie darüber klagen.

      Manchmal las er uns mit seiner tiefen warmen Stimme ein Gedicht vor. Er schüttelte auch immer eine fröhliche Fabel „aus seinem Ärmel“, mit der er ein Lächeln in unsere Gesichter zauberte.

      Ich hob meinen Kopf. Seine Augen schauten besorgt. Ich wollte etwas sagen, ich wollte ihm meine ganze traurige Geschichte erzählen, … aber ich hatte Angst.

      Ich hatte Angst, dass alles noch schlimmer würde. Ich ängstigte mich überhaupt immer.

      Diese Angst festigte sich nach und nach und wurde letztendlich ein Teil von mir.

      Er atmete tief und säuberte mit einem Taschentuch meine Lippe, die immer noch blutete.

      Esfandiary: „Dieses herrenlose Land … Wenn aus jedem Idioten ein Lehrer gemacht wird, dann ist das das Ergebnis.“

      Die Sonne ging schon unter, als wir die Schule verließen. Der Himmel war wolkig und grau.

      Die Krähen kreisten in großen Scharen über uns.

      Es sah für mich so aus, als wären sie auch auf dem Weg von der Schule nach Hause.

      Sie flogen über die blätterlosen Birken, nassen Dächer und verschwanden schließlich in unbekannte Richtung am Horizont.

      Adel brach das Schweigen.

      Adel: „Was ist mit dir? Sag doch mal was? … Sind wir noch Freunde oder nicht?“

      Ich stieß mit dem Fuß gegen einen Stein, der vor mir lag. Er rollte den Fußweg entlang und fiel in den Wasserkanal.

      Ich schaute zu Adel und Soheil, die neben mir liefen und immer noch geduldig darauf warteten, dass ich etwas sagte.

      Mariwan: „Ich will kein Kind mehr sein.“

      Adel war froh.

      Adel: „Na endlich! … Du brauchst kein Kind zu sein. Niemand kann dich daran hindern, nicht mehr klein zu sein.“

      Mariwan:„Solange man ein Kind ist, können sie dich unterdrücken. … Jeder kann dir auf den Kopf hauen.“

      Adel: „Ach, die Erwachsenen haben tausend Probleme mehr als wir. Mein Vater meint, je Erwachsener man wird, desto mehr merkt man, wie schön die Kindheit war. … Übrigens, auf den Kopf der Erwachsenen hauen die noch mehr drauf. Das hast du selber gesehen, wie sie den jungen Mann auspeitschten?“

      Mariwan: „Ach lass mal, Adel! Es macht keinen Unterschied, solange du den anderen erlaubst, dass sie dir auf den Kopf hauen dürfen, bist du immer noch ein Kind.“

      Soheil: „Khozeyme hat dich geschlagen, stimmt’s?“

      Ich antwortete nicht.

      Soheil: „Hey Mariwan, wir wollten immer zusammenhalten, oder? Wenn du es uns nicht sagen willst, wem sonst.“

      Adel: „Willst du ihn bei deinem Vater anzeigen?!“

      Ich zeigte ihm einen Vogel: „Ja, bestimmt beim Vater. Du hast wohl eine Meise?

      Den einen Henker zeige ich beim anderen Henker an.“

      Ich sah Wut in Soheils Augen.

      Soheil: „Das Arschloch hat dich geschlagen.“

      Mariwan: „Es gibt hier immer einen Schläger.“

      Adel: „Das lassen wir uns aber nicht gefallen, oder Soheil?“

      Er zwinkerte Soheil zu. Soheil kratzte sich hinter dem Ohr: „Der kriegt schon, was er verdient.“

      Adel lief vor uns und drehte sich plötzlich zu uns um.

      Adel: „Willst du morgen bei seinem Auto die Reifen zerstechen?“

      Mariwan: