José R. Brunó

El Raval


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Pep das alles viel schlimmer vorgestellt, er hatte etwas Angst vor diesem Augenblick gehabt. Ihn überkam ein Gefühl, das er nicht so recht erklären konnte. Es war einerseits ein Gefühl der Erleichterung, diesen Moment überstanden zu haben, anderseits übermannte ihn wieder große Traurigkeit.

      »Wisst ihr schon, wer das ist?«, fragte der Doc.

      »Das ist Melisa Agramontes. Sie stammt aus Calella.«

      Doktor Montes schaute ihn fragend an und bemerkte, dass Xavi sich aus dem Raum entfernt hatte.

      »Dem ist sicherlich etwas unwohl geworden, aber das ist nicht außergewöhnlich beim ersten Mal«, bemerkte Montes lächelnd.

      »Diese drei Einstiche auf der rechten Brustseite waren nicht tödlich. Der Halsschnitt jedoch schon«, sagte der Doc, der auf den Schnitt wies, den er ebenfalls fachmännisch zusammengenäht hatte. »Der Schnitt wurde von rechts nach links ausgeführt, also hat der Täter hinter seinem Opfer gestanden. Er hat ihr die Kehle durchgeschnitten und anschließend dreimal in die Brust gestochen«, berichtete Doc Montes.

      »Merkwürdig, genau wie bei der Engländerin. Ihr erst die Kehle durchschneiden und ihr dann dreimal in die Brust stechen. Was macht das für einen Sinn? Ist das ein Ritual?«

      »Das herauszufinden ist deine Aufgabe, Pep. Die Tat wurde eindeutig mit der linken Hand ausgeführt. Also haben wir es mit einem Linkshänder zu tun.

      Außerdem muss er einen scharfen Gegenstand benutzt haben, das hätte ich mit meinem Skalpell nicht besser machen können.«

      »Was glaubst du, was er benutzt hat, um ihr den Hals durchzuschneiden?«, wollte Pep wissen.

      »Wie gesagt, ein Schlachtermesser oder ähnliches, auf jeden Fall eine scharfe Klinge.«

      »Hast du irgendwelche Abwehrspuren feststellen können«?

      »Ich denke, dass sie keine Chance gehabt hat, sich zu wehren. Das Einzige, was wir finden konnten, war schwarzer Dreck unter ihren Fingernägeln und in ihrer Handfläche. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Dreck vom Täter stammt.«

      »Ist sie vergewaltigt worden oder hatte sie vor ihrem Tod noch Verkehr?«

      Doktor Montes lachte lauthals. »Soll das ein Witz sein? Die hatte vor ihrem Tod einige Male Verkehr. Ich dachte, das war ihr Job?«

      »Okay Ramon, du hast recht und ich denke, ich sollte mich jetzt mal um meinen Kollegen kümmern.«

      Pep bedankte sich höflich und verließ die Pathologie, um nach seinem Freund zu sehen, der mit blassem Gesicht draußen auf ihn wartete. Zwei Tage so kurz hintereinander eine Leiche zu Gesicht zu bekommen war für Xavi offensichtlich zuviel.

      Er wollte gerade anfangen, sich zu entschuldigen, als ihm sein Kollege Pep beruhigend die Hand auf die Schulter legte.

      »Lass man, Amigo, mir erging es auch nicht viel besser als dir. Aber da muss man durch.«

      Pep berichtete Xavi auf dem Weg in die Jefatura von den Untersuchungen des Pathologen. Die Untersuchung hatte zwar keine neuen Erkenntnisse ergeben, aber immerhin hatte Montes die Linkshänder-Theorie bestätigt.

      Es war inzwischen zwölf Uhr fünfundvierzig geworden und Pep entschloss sich, noch einmal bei seinem Chef vorbeizuschauen. Lopez konnte es nicht ertragen, wenn er nicht auf dem Laufenden war.

      Xavi war inzwischen damit beauftragt, die Kollegen in Calella anzurufen, um den Wohnort der Angehörigen von Melisa herauszufinden.

      Pep betrat das Amtszimmer von Lopez und berichtete in kurzen Sätzen von den neuesten Erkenntnissen der Gerichtsmedizin.

      »Montes hat mir versprochen, Ihnen so bald wie möglich den Abschlussbericht zukommen zu lassen, Chef.«

      »Nun gut, weißt, du wer das Opfer ist?«, wollte Lopez wissen.

      »Ihr Name ist Melisa Argramontes und soviel ich bisher weiß stammt sie aus Calella.«

      Lopez schaute Pep eine Weile nachdenklich an.

      »Hatte sie Ausweispapiere dabei oder wie hast du das erfahren?«, fragte er neugierig.

      »Ich komme aus El Raval, Chef, schon vergessen? Ich kannte sie, sie arbeitete in meiner Nachbarschaft«, bemerkte Pep ironisch. Wir werden noch heute versuchen, die Angehörigen zu ermitteln, um sie zu benachrichtigen.«

      »Okay, raus jetzt und viel Erfolg«, sagte Lopez und schob seinen Ermittler zur Tür hinaus.

      Die Kollegen in Calella hatten inzwischen ermittelt, dass in der Carrer de Jovara Nummer 217 in Calella eine Melisa Agramontes gemeldet war, obwohl es eine absolute Meldepflicht zu diesem Zeitpunkt in Spanien nicht gab und es somit immer etwas schwierig war, Personen ausfindig zu machen.

      Bei der Leiche hatte man ein Papier gefunden, das auf Melisa Francisca Agramontes Garcia ausgestellt war.

      Eigentlich hätten die beiden Inspektoren diese unerfreuliche Arbeit auch den ortsansässigen Kollegen überlassen können, aber für Pep war es eine Herzensangelegenheit, weil er Melisa kannte. Sie war Kundin seiner Mutter und Pep hatte sich einige Male mit ihr unterhalten.

      Seine Unerfahrenheit war der Grund dafür, dass er sich um diese Aufgabe riss. Pep und Xavi sollten die Erfahrung machen, dass das Überbringen einer Todesnachricht nicht zur Lieblingsbeschäftigung eines Kriminalisten gehört.

      Als die beiden Beamten in Calella ankamen, war es bereits später Nachmittag. Es hatte eine Weile gedauert, die Carrer de Jovara und das Haus mit der Nummer 217 ausfindig zu machen. Pep und Xavi gingen die steile Stiege hinauf, um in die erste Etage des Hauses zu gelangen. Auf dem Treppenaufgang kam ihnen eine ältere Dame entgegen, die wohl um die sechzig Jahre alt sein mochte.

      »Entschuldigen Sie Señora, wir suchen eine Familie Agramontes-Garcia«, sagte Pep.

      »Da sind Sie bei mir richtig. Was wünschen Sie?«

      Pep zog seine Polizeimarke aus der Hosentasche und stellte sich und seinen Kollegen vor. »Haben Sie eine Tochter, die Melisa-Francisca heißt und in Barcelona wohnt?«

      »Ja. Was ist mit ihr? Sie arbeitet in einem Schuhgeschäft auf den Ramblas in Barcelona.«

      Pep zog das bei der Leiche gefundene Foto aus seiner Jackentasche und zeigte es Melisas Mutter.

      »Ja, das ist sie, das ist meine Tochter.«

      Pep wusste in diesem Moment, dass die Familie keine Kenntnis von der Arbeit Melisas hatte. Er musste sich ein wenig sammeln, bevor er fortfuhr.

      »Señora, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Tochter in der letzten Nacht eines gewaltsamen Todes gestorben ist.«

      Pep war erleichtert, dass die Nachricht ausgesprochen war, wobei es ihm unendlich leidtat, als er sah, wie die ältere Dame in sich zusammenbrach. Señora Agramontes war die Farbe aus dem Gesicht gewichen.

      Xavi holte eilig einen Stuhl herbei und half Melisas Mutter sich zu setzen. Die leichenblasse Frau schien kurz davor, ohnmächtig zu werden.

      Melisas Mutter schrie und weinte hemmungslos und Pep bemerkte, dass sich ein Kloß in seinem Hals bildete. Es war das erste Mal, dass er eine Todesnachricht überbringen musste und eines wurde ihm schlagartig klar: Dies war ein absoluter Tiefpunkt in seiner bisher so kurzen Laufbahn.

      Nach einer Weile hatte sich Señora Agramontes wieder halbwegs gefangen und begann Fragen zu stellen.

      »Es tut uns leid Señora, wir sind erst am Anfang unserer Ermittlungen. Wir können Ihnen leider noch nichts sagen.«

      »Ich gebe Ihnen meine Visitenkarte und Sie können mich jederzeit anrufen. Ich schreibe Ihnen hier eine Adresse auf die Rückseite der Karte und möchte Sie bitten, sich zur Identifizierung Ihrer Tochter bei Doktor Montes zu melden.«

      Die beiden Inspektoren glaubten, dass jetzt der Moment gekommen sei, sich zu verabschieden.

      Xavi versuchte, der alten Dame noch ein paar tröstende Worte zuzusprechen, dann machten sie sich schleunigst aus dem Haus.

      Auf