sie ein paar Besorgungen machte. Das war nicht wenig, eine Coca Cola, die er sich hin und wieder gönnte, kostete acht Pesetas.
Pilar wohnte in der Carrer Sant Martí, wo sie auch ihre Liebesdienste im ersten Obergeschoss anbot.
Er hatte sich schon einige Male heimlich gewünscht, einmal mit ihr die Stiege in den ersten Stock hinaufgehen zu dürfen. Klar waren fünfundzwanzig Pesetas viel Geld, aber hätte er nicht gerne mal auf das Geld verzichtet, wenn sie ihn einmal in die körperliche Liebe einweisen würde?
Diese Frage hatte Pep immer wieder verworfen. Er wusste, dass es diese Beziehungen‹ in ein paar Jahren nicht mehr geben würde. Erst einmal brauchte er Geld, um seine Bedürfnisse zu stillen und seiner Mutter nicht auf der Tasche liegen zu müssen und zum anderen hatte er sich im Laufe der Jahre einen beachtlichen ›Kundenstamm‹ aufgebaut, den er nicht verlieren wollte.
Zunächst begnügte sich der junge Pep mit ein paar Küsschen oder Umarmungen von Pilar und den Damen, für die er täglich Besorgungen machte.
Pep erinnerte sich an Maria Jesus aus der Carrer Sant Pau, seine ›Lieblingskundin‹. Sie war etwa fünfunddreißig Jahre alt und hatte riesige Brüste. Maria Jesus war Mallorquinerin und ihr langes blondes Haar gefiel nicht nur ihm, sondern auch ihren Kunden. Im Barrio war sie auch bei allen anderen sehr beliebt. In dieser Zeit machte man hier keine Unterschiede. Es gab keine Standesdünkel und Hure zu sein war nichts Anrüchiges. Die Menschen, die hier lebten, waren die Außenseiter der Gesellschaft und dementsprechend war der Zusammenhalt unter den Bewohnern dieses Viertels. Hier zählte nur der Mensch. Jeder hatte mit sich selbst genug zu tun und man respektierte sich. Die Begrüßung zwischen der etwas korpulenten Hure und ihm war immer sehr herzlich: die in Spanien üblichen Küsschen auf die Wange und noch eine Umarmung. Sie pflegte ihn immer an ihre großen Brüste zu drücken. Das allein war schon einen Besuch bei ihr wert. Darüber hinaus gab es bei Maria Jesus, sofern die Geschäfte gut liefen, immer hundert Pesetas. Sie schickte den kleinen Pepito permanent in den nahegelegenen Mercat de la Boqueria, um Lebensmittel, frisches Obst, Gemüse und andere Dinge zu kaufen.
Sie zählte zu den Topverdienerinnen im Barrio und er wunderte sich immer über die Menge, die er für sie einkaufen musste. Ihre Geschäfte gingen gut und sie war dafür bekannt, dass sie ihre Stammfreier bekochte. Ein außergewöhnlicher Service, für den sie von ihren Kolleginnen neidisch belächelt wurde. In El Raval nannte man sie La Cocinera, die Köchin.
*
Es war inzwischen vierzehn Uhr geworden. Zu dieser Zeit machte sich Pep immer Gedanken, wo er zu Mittagessen sollte. Für heute war sein Bedarf gedeckt.
Es war mal wieder unerträglich heiß und die Temperaturen waren in der Mittagszeit auf achtunddreißig Grad Celsius gestiegen. Die Geschäfte waren geschlossen und wer nicht unbedingt etwas zu erledigen hatte, versuchte, der Hitze entkommen.
Xavi und Pep beschlossen, sich auf den Ramblas ein schattiges Plätzchen zu suchen. Hier wehte von Zeit zu Zeit ein schwacher Wind, den das Meer in die Allee trieb. Der Tag war ohnehin für sie gelaufen, sie hatten keine Lust mehr auf eine Streife durch das Viertel. Beide waren für heute bedient.
Am nächsten Morgen stand Pep schon früh auf. Er hatte die Nacht zuvor schlecht geschlafen. Da war die nächtliche Hitze, die ihm zu schaffen machte und der gestrige Vorfall ging ihm nicht aus dem Kopf.
Er fuhr schon früh auf die Jefatura und ihm fiel auf, dass das Auto von Xavi auch schon in der Garage stand.
Er bevorzugte es, mit dem eigenen Auto zu kommen, das er sich gerade gekauft hatte, obwohl er nur einige hundert Meter entfernt wohnte.
Als Pep das Büro betrat, saß sein Kollege gelangweilt hinter seinem Schreibtisch. Es war erst acht Uhr dreißig und so früh war er noch nie im Büro gewesen.
»Was machst du denn schon so früh hier?«, fragte Xavi erstaunt.
»Das gleiche könnte ich dich fragen«, sagte Pep und konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. »Wir gehen gleich mal in die Pathologie und schauen, was der Doc sagt. Ich hoffe, dass Laura oder Montes uns schon etwas sagen können und außerdem muss ich noch beim Chef mündlich berichten.«
Es war inzwischen neun Uhr geworden und Pep hatte Xavi aufgetragen, mit dem Bericht zu beginnen. Das Schreiben auf der alten klapprigen Schreibmaschine beherrschte der Kollege Javier weitaus besser als er und so sollten diese unerfreulichen Berichte für Xavi zur allmorgendlichen für ihn Routine werden.
Pep war gerade dabei, sich eine Zigarette anzuzünden, als die Bürotür ohne Klopfen aufgerissen wurde. In der Tür stand sein Chef Comisario Lopez, der wie immer schon sehnsüchtig auf einen Bericht seiner Beamten wartete.
›Na, zu dem muss ich dann ja wohl nicht mehr‹, dachte Pep.
»Da habt ihr ja eure zweite Leiche«, bemerkte Lopez zynisch und lächelte. »Wenn ihr was habt, möchte ich das sofort wissen, und bitte den Bericht von gestern.«
«Okay Chef, Javier Fernandez ist gerade dabei, den Bericht zu schreiben und dann werden wir sofort in die Pathologie fahren, um weitere Einzelheiten zu erfahren«, beruhigte Pep seinen Vorgesetzten.
»Ich hoffe, dass Laura oder Montes uns schon etwas sagen können.«
Lopez machte eine abwinkende Handbewegung und verließ wortlos den Raum.
Nach mehrmaligen Anrufen in der Pathologie sagte man ihnen, dass Doktor Montes sich zurzeit noch außer Haus befände und erst um elf Uhr zur Verfügung stünde. Um elf Uhr dreißig war der Doc immer noch nicht zurück.
Zunächst gingen Pep und Xavi zu Laura ins Labor, die damit beschäftigt war, Fingerabdrücke und sonstige Spuren auszuwerten.
Das Ergebnis war ernüchternd: Es gab keine. Der Täter hatte peinlich darauf geachtet, keine Spuren zu hinterlassen. Er hatte offensichtlich Handschuhe getragen.
Gerade dort hatte Pep sich etwas erhofft, weil er wusste, dass jeder Ausweis, jeder Pass und jede Aufenthaltsgenehmigung neuerdings mit einem Fingerabdruck versehen wurde. Somit waren Inhaber dieser Dokumente erkennungsdienstlich erfasst.
»Ich habe eventuell doch noch etwas für euch«, sagte Laura, »Fußspuren, die euch weiterhelfen könnten. Ich werde mal versuchen, herauszufinden, welchem Schuh das zugeordnet werden kann. Ich denke, dass ich richtig liege mit der Vermutung, dass das eine Art Sportschuh ist.«
Pep, der krampfhaft versuchte, eine Überleitung zu finden, um sich für den gestrigen Vorfall zu entschuldigen, nickte nachdenklich mit dem Kopf.
»Die Geschichte von gestern tut mir leid, Laura, soll nicht wieder vorkommen«, sagte Pep, dem es offensichtlich schwerfiel, diesen Satz über die Lippen zu bringen.
»Ist schon okay, Pep, ich möchte dich nur bitten, meine Arbeit in Zukunft zu respektieren.«
Laura wandte sich ab, während Pep noch eine Zeitlang in einer Art Schockstarre verharrte. Der unerfahrene junge Kriminalist hatte die Wichtigkeit der Forensik und die Tatsache, dass die Polizei eigentlich nur für das Grobe zuständig war, noch nicht erkannt. Für die Aufklärung eines Falles waren kleine Details von großer Bedeutung, wie Pep in seiner langen Karriere noch erfahren sollte.
Inzwischen war auch Doktor Montes eingetroffen, der die beiden Inspektoren schon erwartete.
Pep und Xavi betraten den großen Raum, der aussah wie ein Operationssaal. Das war das Reich des Pathologen Montes. Die Wände waren deckenhoch weiß gefliest und in der Mitte des Raumes stand ein großer Keramiktisch, der eigentlich nicht an einen Operationstisch erinnerte, sondern eher an eine Schlachtbank.
Über dem Tisch hing eine große Leuchte, die in den Operations-Sälen der Krankenhäuser verwandt wurden. Doktor Montes, der bereits alles für die Leichenschau vorbereitet hatte, steuerte auf den Tisch zu, auf dem ein Leichnam lag. Pep vermutete, dass sich unter dem weißen Tuch, das die Leiche bedeckte, Melisa Agramontes befände.
Der Doc hob das Tuch an und unter dem weißen Laken lag Melisa, die zu schlafen schien. Sie war vom Blut gereinigt worden und auf ihrer Brust war ein riesiger Y-Schnitt zu erkennen. Der Pathologe