Jan Eik

In der Falle


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Schüsse, und wir wären dieses Scheißproblem endlich und endgültig los gewesen!»

      Dem kann Nebe nur zustimmen. Doch so einfach lassen sich komplizierte Fälle eben nur aus der Sicht des absoluten Laien lösen.

      «Zwei Mann, Nebe!», geifert Heydrich. «Und wir führen am Ehrentag der Deutschen Polizei einen Geisterkrieg, als ginge es um die Besetzung Österreichs! Und das Ergebnis? Nichts! Dafür sind ein paar hundert Beamte im Einsatz!»

      Anscheinend immer noch zu wenige, denkt Nebe. Schon 1935, als sich die Überfälle auf drei Dutzend summiert hatten, war sein Vorschlag, einen Großeinsatz von Polizeikräften, SA, SS und den Männern des Kraftfahrerkorps NSKK durchzuführen, rundweg abgelehnt worden. Nur kein Aufsehen erregen! Deshalb wurden nur die Streifen verstärkt und die Überfälle über lange Zeit totgeschwiegen.

      Immerhin, jetzt sind siebentausend Reichsmark Belohnung ausgelobt, der Aufruf, eine Einheitsfront mit der Kriminalpolizei zu bilden, steht vor der Veröffentlichung. Aber vielleicht ist den Kerlen mit irgendwelchen Riesenaktionen gar nicht beizukommen. Wie Gespenster tauchen sie aus dem Wald auf, bringen ungeniert ihr Schäfchen ins Trockene - manchmal nur ein paar Mark - und verschwinden auf die gleiche Weise wieder. Dichte Wälder gibt es rings um Berlin mehr als genug. Die Befragung der Beamten an den nächsten Stationen der Vororts- und S-Bahnen haben keine Anhaltspunkte ergeben, verwertbare Spuren sind praktisch kaum vorhanden, sieht man von den 9-Millimeter-Patronenhülsen ab, die an mehreren Tatorten gefunden worden sind. Aus Bauch und Hüfte des Verletzten vom Kleinen Stern im Grunewald hat man merkwürdigerweise 7,65-Millimeter-Geschosse herausoperiert.

      Nachdem den Tätern bei einem weiteren Überfall eine moderne automatische Walther PPK Kaliber 7,65 Millimeter in die Hände gefallen ist, gibt die bei der nächsten Autofalle gefundene Patronenhülse neue Rätsel auf: Es handelt sich um handelsübliche Munition für einen Revolver des englischen Kalibers 320. Die Experten der Schusswaffenermittlung haben herausgefunden, dass sich die Munition auch in einer automatischen Pistole verwenden lässt. Die Spuren am Wulstrand der Hülse deuten darauf hin.

      Das alles weiß Nebe, doch er sagt es nicht. Für derlei Details hat Heydrich kein Ohr. Das ist ein Geheimdienstfritze, wie er im Buche steht, kein Kriminalpraktiker. Fehlt nur noch, dass er wieder mit seinem Lieblingsthema anfängt, alle Berufsverbrecher gnadenlos auszurotten. Himmler hat sich Nebe gegenüber sogar zu der Behauptung hinreißen lassen, ein nordischer Mensch wäre nun mal von Natur aus kein Verbrecher.

      Nebe hat auch dem Reichs-Heini nicht widersprochen, aber dessen Rassenfimmel geht ihm gehörig gegen den Strich. In seinen siebzehn Jahren bei der Kriminalpolizei sind ihm ebenso viele blonde Straftäter begegnet, wie in der SS Dienst tun. Gestern hat der Chef der Ordnungspolizei angeordnet, dass der Polizeinachwuchs künftig aus der rassisch überprüften SS gewonnen werden soll. Dabei pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass die nordische Bestie Heydrich selber eine jüdische Großmutter haben soll. Und Himmler und Goebbels? Typische Schrumpfgermanen, um sich in deren verquaster Terminologie auszudrücken.

      Und richtig, Heydrich, der sich sonst eher kurz und knapp äußert, reitet auch diesmal sein Steckenpferd. «Das ist höchst einfach, Nebe! Sie kennen doch Ihre Kandidaten nur allzu gut! Nehmen Sie endlich alle wegen Raubes Vorbestraften in Vorbeugehaft, und der Spuk hat ein Ende. Die Richtigen sind todsicher darunter, und Göring hat außerdem gleich die nötigen Arbeitskräfte für seinen Vierjahresplan!»

      Nebe ist anderer Meinung. Görings Pläne interessieren ihn sowieso nicht. Und anders als bei den Einbrechern ist die Rückfallquote unter den Räubern der hohen Strafen wegen nicht sonderlich hoch. Der kleinere der beiden Täter wird als relativ junger Mann um die 25 Jahre beschrieben. In den Verbrecheralben am Alex haben sie bisher vergeblich nach ihm gefahndet. Außerdem hält Nebe nichts von einer Methode, die zwar die Konzentrationslager füllt, aber keinerlei Erkenntnisse über die wahren Täter liefert. So etwas widerspricht kriminalpolizeilichen Erfahrungen. Von dem starken Rückgang der Verbrechen, von dem Berlins Polizeipräsident Graf Helldorff vorgestern in der Zeitung geschwafelt hat, kann überhaupt nicht die Rede sein.

      Das alles hat er Heydrich schon mehrmals erklärt, und der mag keine Wiederholungen. Also schweigt Nebe, als hätte er verstanden, erhebt sich und grüßt mit erhobenem Arm.

      Heydrich hat nur eine ungnädige Handbewegung für ihn übrig.

      ES IST MITTWOCH, der 24. März 1937. Der Frühlingsanfang liegt schon drei Tage zurück, Ostern steht vor der Tür, doch es ist noch immer kalt und ungemütlich. Den dunkel gekleideten Mann, der abends gegen sieben Uhr zu Fuß auf dem Adlergestell unterwegs ist, scheint es nicht zu stören. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen, eine gut gefüllte Ledertasche umgehängt, so stapft er am Chausseerand von Berlins Ausfallstraße in Richtung Südosten dahin. Vom S-Bahnhof Grünau ist er ungefähr drei Kilometer entfernt, ein paar hundert Meter will er noch weitergehen in Richtung Schmöckwitz, wenn ihm nicht vorher ein Lieferwagen begegnet. Als sich aus Richtung Grünau ein Radfahrer nähert, bleibt er hinter einem Baum stehen. Dann fährt ein Pkw vorbei, und er drückt sich seitwärts in die Büsche. Zurück am Straßenrand, bemerkt er den schwachen Schein der Fahrradlampe zu spät, um sich erneut zu verbergen. Also setzt er seinen Weg fort, als hätte er den Radfahrer nicht bemerkt, und pfeift sich eins.

      Der Radfahrer hält auf ihn zu und bleibt vor ihm stehen. Im funzligen Schein der Karbidlampe erkennt der Fußgänger die Polizeiuniform.

      «Hallo! Wo wollen Sie hin?», lautet die in amtlichem Ton gestellte Frage.

      Der Mann tut harmlos. «Nach Hause. Nach Schmöckwitz.»

      «Und woher?»

      «Vonne Arbeit. Adlershof.»

      Der Beamte, Polizeioberwachtmeister Arthur Herrmann auf abendlicher Streifenfahrt, bleibt misstrauisch. Dass einer bei dieser Witterung von Adlershof nach Schmöckwitz läuft, wo ein paar hundert Meter weiter die Straßenbahnlinie 86 verkehrt, erscheint ihm auffällig. Der Überfall auf ein Liebespaar vor anderthalb Jahren ist ihm in unguter Erinnerung. Das war hier in der Gegend, das erste Mal im Osten und nicht im Grunewald, wie er von den Kollegen der Kriminalpolizei erfahren hat. Außerdem passt das Signalement des einen Straßenräubers durchaus auf den einsamen Wanderer mit der auffälligen Geldtasche.

      «Was haben Sie da in der Tasche?»

      «Na, meine Thermospulle mit Kaffee! Wat denn sonst?»

      «Zeigen Sie mal her!»

      Die Karbidlampe leuchtet hell genug, um zu erkennen, wohin der Polizist bei dieser Aufforderung greift: zur Pistolentasche.

      Der Mann mit der verdächtigen Ledertasche ist schneller. Ein Schuss hallt durch den Wald, in dem der Schütze blitzschnell verschwindet. Der verwundete Beamte schießt ebenfalls und folgt dem Flüchtenden. Der bleibt hinter einem Baum stehen, feuert weiter. Nach wenigen Schritten bricht der Polizeioberwachtmeister Herrmann tot zusammen. Eine Kugel ist unterhalb des Schlüsselbeins durch die Brust gedrungen und im Rückgrat stecken geblieben. Die Schritte des Schützen verlieren sich im Gehölz.

      Kurz darauf nähert sich wiederum ein Pkw. Darin sitzt fröstelnd Gebhard Braun aus Schmöckwitz. An der Temperatur ändert die bescheidene Wagenheizung seines Pkw kaum etwas, und die Fahrt durch den Wald ist ihm jedes Mal unheimlich. Der beginnt vor dem S-Bahnhof Grünau, dahinter führt die Straße nach einer sanften Kurve kilometerweit durch den dunklen Forst Oberspree.

      Braun ist erschöpft - hinter ihm liegt ein harter Tag als Vertreter einer Maschinenbaufirma –, doch gleichzeitig ist er hellwach. In den Zeitungen hat er außer der ausgelobten Belohnung nichts mehr von nächtlichen Überfällen auf Autos gelesen. Nur die gut informierte Fama weiß genug darüber zu berichten. Gerade hier in der Gegend sind Kraftwagen ausgeraubt worden, wie Braun aus zuverlässiger Quelle weiß.

      Links am Straßenrand leuchtet am Boden ein schwaches Licht. Es verändert sich nicht, als der Wagen sich nähert. Braun verlangsamt das Tempo. Irgendetwas ist merkwürdig. Er hält an. Im Graben erkennt er ein Fahrrad mit eingeschalteter Beleuchtung. Hat jemand einen Radfahrer überfahren und Fahrerflucht begangen?

      Braun