Klaus-Peter Enghardt

... und hinter uns die Heimat


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Augen der Kinder schaute, war ihr klar, dass sie an diesem Tag keinen normalen Unterricht abhalten konnte, außerdem hatte sie für ihre Schüler noch eine Überraschung parat. Deshalb schaute sie bereits ab und zu heimlich aus dem Fenster. Sie sah Marie Schimkus und einige Mütter der Schüler emsig im Schulhof herumlaufen. Auf ein Zeichen Maries verkündete die Lehrerin: »So, nun gehen wir alle hinaus, ich glaube, dass der Osterhase da war, und für jeden etwas versteckt hat.«

      Mit lautem Jubel stürmten die Racker auf den Schulhof und da begann das Suchen. Für jedes Kind hatten Marie und die Mütter kleine Osternester mit Naschereien versteckt.

      Die herrschaftliche Familie hatte Süßigkeiten spendiert und auch der Gewürzer hatte tief in seine Bonbongläser gegriffen. Die Nester hatte die Lehrerin gemeinsam mit ihrer Freundin Marie und den Müttern an den vergangenen Abenden gebastelt. Das war ein »Hallo«, als jeder sein Nest in den Händen hielt.

      Die Lehrerin hatte anschließend Mühe, die Schüler wieder in den Klassenraum zu bekommen. Sie beschloss deshalb, im Freien ein paar Spiele zu machen, und versprach, im Anschluss aus ihrem dicken Sagenbuch Geschichten vorzulesen.

      Damit auch die Kinder zu Wort kamen, sollten sie ihre schönsten Ostererlebnisse erzählen.

      Das war ein tüchtiger Spaß für alle. Zufrieden mit dem Tag, schickte Katharina ihre Schüler eine Stunde früher nach Hause. Anschließend versuchte sie, ihre Geschenke zu verstauen, um sie nach Hause zu transportieren, doch dieses Ansinnen musste sie erfolglos abbrechen, denn sie hatte Sorge, dass beim Transport Eier zerbrechen könnten.

      Notgedrungen musste sie erst nach Hause gehen, sich einen großen Pappkarton besorgen und dann mit dem Fahrrad noch einmal zur Schule fahren, um ihre »Schätze« zu holen.

      Beim Verpacken zählte sie einhundertzweiundfünfzig Eier, die könnte sie allein gar nicht aufessen, fuhr es ihr durch den Kopf. Katharina beschloss, mit einem Teil der Eier, gemeinsam mit ihren Schülern Kuchen zu backen, auch dabei konnten die Kinder etwas lernen und sie würden sich sicher freuen. Aus dem anderen Teil der Eier würde Marie sicher mit ihr Eierlikör machen.

      Die zahlreichen Speck- und Schinkenstücke könnte sie im Keller von Marie lagern, den Eierlikör natürlich bei einem Verzällche mit Marie und den Nachbarinnen zum Kaffee trinken, einen Teil der Schokolade würde sie selbst essen, sie war halt ein kleines Süßmaul, und den Rest wollte sie ihren Schülern stückweise für gute Leistungen spendieren.

      Die Kinder konnten es gar nicht erwarten, dass der Karfreitag und der Samstag vergingen und sie am Ostersonntag zu Hause im Garten auf Ostereiersuche gehen konnten. Tagelang hatten sie geholfen, die Eier zu färben. Auf den Küchenherden brodelte es in den Kochtöpfen wie in einer Hexenküche, denn der Sud, in dem die Eier gefärbt wurden, musste vorbereitet werden.

      In einem Topf wurden Zwiebelschalen und Schwarztee gekocht, das gab den weißen Eiern eine kräftige goldbraune Färbung, im nächsten Topf waberte ein Sud aus roter Bete für rotviolette Eier, im nächsten Topf kochten Spinat und Petersilie, das ergab zartgrüne Eier, Brennnesselblätter und einige Safranfäden färbten die Eier gelb und gekochter Heidelbeersaft blau. Ein Zusatz aus Alaun und Pottasche verstärkte die Farben.

      Am Morgen des Ostermontags mussten die Kinder sehr früh aufstehen und sich mit dem Schmackosterstrauß zu den Eltern ans Bett schleichen. Dort rissen sie die Bettdecke weg, verabreichten der Mutter und dem Vater ein paar leichte Hiebe auf die nackten Beine und riefen den Spruch:

      »Grün Ostern, Schmackostern,

      gib Eier und Speck

      und vom Kuchen ‘ne Eck’,

      eher geh ich nicht weg.«

      Der Schmackosterte musste nun einen Teil seiner Eier und seiner Süßigkeiten abgeben. Das war bei den Eltern nicht weiter schlimm, denn die sorgten ja sowieso für die Ostergaben und betrachteten das Schmackostern der Kinder als großen Spaß für alle. Wenn jedoch die Geschwister schmackostert wurden und von ihren Eiern und Süßigkeiten abgeben mussten, schmerzte das doch erheblich und konnte nur ausgeglichen werden, wenn man nun selbst jemanden mit der Osterrute oder dem Osterstrauß überraschen konnte. Heimlich schlich sich derjenige nun zum Nachbarhaus, in der Hoffnung, dort zum Ziel zu kommen.

      Auch Marie Schimkus hielt es mit den ostpreußischen Osterbräuchen. Bei ihr kam bereits am Gründonnerstag ein riesiger Osterkringel aus Hefeteig auf den Tisch, der mit Birkenzweigen geschmückt war. Früher versuchte jeder aus der Familie, sich das größte Stück abzureißen, der Sieger durfte sich etwas wünschen. Da außer Marie aber nur Katharina am Tisch saß, schnitten die Frauen den Kringel an und verspeisten ihn gemeinsam. Dabei verriet Marie der jungen Frau noch andere Osterbräuche, zum Beispiel, dass sie die am Gründonnerstag gelegten Eier ihrer Hühner beim Ostergottesdienst segnen ließ, sie verliehen dann Gesundheit. Außerdem war es Brauch, dass die Mädchen des Dorfes am Ostermorgen, weit vor Sonnenaufgang, zum Bach gingen, um Osterwasser zu holen und sich im Bach zu waschen.

      Das Wasser der Osternacht sollte den Mädchen ewige Jugend und Schönheit verleihen. Wer es trank, dem schenkte es Gesundheit, außerdem sollten geheime Wünsche erfüllt werden.

      Die Mädchen mussten den Bach von Osten nach Westen anlaufen, durften nicht sprechen, nicht lachen und sich nicht umschauen, sonst erfüllten sich die Wünsche nicht und das Wasser verlieh auch keine Schönheit. Die Mädchen mussten dann ein Jahr warten, und es noch einmal versuchen.

      Einmal hockten am Bach bereits einige besonders junge Mädchen und wurden dann von den Ankommenden belehrt: »Ihr seid noch viel zu jung, ihr müsst noch ein Jahr warten.« Die Mädchen am Bach protestierten ihrerseits lautstark, bis sie bemerkten, dass sie alle gesprochen hatten, und sämtliche Anwesende brachen in ein großes Gelächter aus.

      Nun mussten alle ein weiteres Jahr auf die Wirkung des Osterwassers warten. Die Mädchen am Bach, die ihr Wasser schon geschöpft hatten, gossen es aus ihren Tonkrügen wieder in den Bachlauf hinein, denn »Plapperwasser« hatte keine Heilkraft und verlieh keine Schönheit – sie waren umsonst so zeitig aufgestanden.

      Manchmal lauerten die Lorbasse des Dorfes den Schönheiten auf, wenn die ihr Wasser in den schweren Krügen nach Hause trugen. Dann versuchten sie, die Mädchen zu erschrecken oder zum Lachen zu bringen, damit das Wasser seine Wirksamkeit verlor und die Mädchen vergeblich aufgestanden waren.

      Dabei wollten die Mädchen doch gerade für diese Burschen besonders schön werden, denn oft hatte sich eines der Mädchen ihren zukünftigen Begleiter bereits ausgesucht.

      Manche Bauern trieben sogar ihr Vieh am Sonntagmorgen zum Bach, damit es das Osterwasser saufen konnte.

      Man glaubte, dass die Tiere dann vor Krankheiten verschont blieben. Zu Hause verspritzt, sollte das Osterwasser sogar Ungeziefer fern halten.

      Der Glaube an alte Überlieferungen war in den Menschen Ostpreußens tief verwurzelt und wurde von Generation zu Generation weitergegeben.

      Am Ostermorgen gingen die beiden Frauen gemeinsam in die Kirche. Zum ersten Mal, seit Katharina die Vertretung des Kantors übernommen hatte, würde der Chor nach wochenlangem Proben beim Gottesdienst in ihrer Kirche singen. Katharinas Kollege, Herr Graudenz, sollte sie dazu auf der Orgel begleiten.

      Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt und sogar auf der Treppe zur Empore, auf der ebenfalls alle Sitzplätze besetzt waren, standen die Leute in Zweierreihe.

      Katharina war nun doch aufgeregt, denn mit so vielen Gottesdienstbesuchern hatte sie nicht gerechnet, obwohl Marie sie bereits darauf vorbereitet hatte.

      Nachdem der Pfarrer einen Psalm aus dem Alten Testament verlesen hatte, sprach die Kirchengemeinde das ‘Gloria Patri’, »Ehr’ sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist …« Nach dem anschließenden Gebet und der Verlesung eines Episteltextes erklang das erste Lied des Chores »Nun freut euch hier und überall«, da waren die Kirchenbesucher mucksmäuschenstill und jegliche Anspannung fiel von Katharina ab. Der anschließenden Verlesung des Evangeliums folgte das Glaubensbekenntnis, das von der gesamten Kirchengemeinde stehend gesprochen wurde. Daran schloss sich das zweite Lied des Chores an »Freudenvoll ist meine Seele«, das Katharina