Klaus-Peter Enghardt

... und hinter uns die Heimat


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ihrem Zimmer hinauf. Sie schlüpfte aus Mantel und Schuhen, warf sich auf ihr Bett und öffnete den Brief. Als sie ihn las, konnte sie es nicht verhindern, dass sie weinte.

      Wolfgang schrieb ihr mit zärtlichen Worten, dass er sie liebte, obwohl sie nur wenige Tage miteinander verbracht hatten. Von der Situation an der Front stand nicht viel im Brief, aber mit dem feinen Gespür einer Frau las Katharina zwischen den Zeilen die Befürchtung Wolfgangs, dass ihm in den kommenden Wochen wohl schwere Tage bevorstehen würden. An einen Urlaub zu Weihnachten war momentan nicht zu denken.

      Das war sehr schade für Wolfgangs Mutter, denn Katharina würde über die Weihnachtsfeiertage auch nicht in Loditten sein, denn natürlich wollte sie das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel bei ihren Eltern verbringen.

      Bereits zwei Tage später musste sich Katharina keine Sorgen mehr darum machen, dass Marie Schimkus das Weihnachtsfest allein verbringen muss, denn endlich, nach wochenlanger Sorge, kam ein Brief ihres zweiten Sohnes Georg, in dem er nicht nur mitteilte, dass es ihm gut ging, sondern auch, dass er einen Tag vor dem Heiligen Abend auf Weihnachtsurlaub kommt.

      Nur wenige Tage dauerte es noch bis zum Heiligen Abend. Die Vorweihnachtszeit hatten beide Frauen gemütlich bei Kerzenschein in der Küche verbracht, doch an den Adventssonntagen saßen sie im Wohnzimmer bei leckerem Weihnachtsgebäck, das sie gemeinsam nach Rezepten ihrer Regionen gebacken hatten.

      Es roch nach Plätzchen, Zimtsternen und Pfeffernüssen und im Kachelofen knisterte Tannenreisig, das einen würzigen Duft im Haus verströmte. In der »Röhre« des Kachelofens bereitete Marie Schimkus nebenher zwei leckere Bratäpfel, die ihren Duft bereits in der Stube verbreiteten. Am Abend gab es Glühwein, Grog oder heißen Bärenfang.

      Katharina hätte nie gedacht, dass sie so weit von zu Hause eine so schöne Adventszeit erleben würde.

      Inzwischen hatte es längst geschneit und noch nie hatte die Lehrerin solche Schneemassen erlebt.

      Das Thermometer zeigte Temperaturen von minus elf Grad Celsius an, die in Köln nicht oft erreicht wurden. Zum Glück hatte sich die junge Frau rechtzeitig auf diese Temperaturen vorbereitet und von zu Hause wärmende Wintersachen und dicke, gestrickte Wollhandschuhe schicken lassen.

      Der Schnee lag wie ein riesiger Watteteppich über dem Land. Die Eiskristalle funkelten wie Diamanten und der Vollmond strahlte so hell am Himmel, dass man selbst in der Nacht ohne Beleuchtung wunderbar sehen konnte.

      Noch nie hatte Katharina so einen grandiosen Sternenhimmel erlebt. Von einem Horizont zum anderen tummelten sich abertausende Sterne am Himmel, die nirgendwo klarer strahlten. Man könnte fast vergessen, dass Krieg war.

      In der Schule bastelte die Lehrerin mit den Kindern kleine Geschenke für ihre Familien. Kerzenständer aus Baumrinde und Walnussschalen, Weihnachtskarten, Untersetzer, Scherenschnitte und manches Mädchen stickte sogar ein Deckchen. Sogar eine richtige Weihnachtsfeier mit Plätzchen, Kuchen und Süßigkeiten organisierte sie für ihre Schüler. Marie Schimkus half ihr beim Backen und Ausschmücken des Klassenraumes.

      Vom Gut des Barons von Lübzow hatte sie Milch für den Kakao bekommen und das Kakaopulver dazu hatte der Kolonialwarenhändler spendiert.

      Als die Kinder dann am Nachmittag den Raum betraten, duftete es nach Tannengrün und Räucherkerzen.

      Nachdem die Kinder den Kuchen und die Plätzchen gegessen und heißen Kakao getrunken hatten, wurde von einigen Schülern ein kleines Weihnachtsprogramm gestaltet. Katharina hatte mit ihnen die Weihnachtsgeschichte eingeübt, die von den zuschauenden Mitschülern begeistert aufgenommen wurde. Anschließend sang sie mit allen Kindern noch einige Weihnachtslieder und entließ die Kinder nach zwei festlichen Stunden nach Hause. Sie war glücklich, dass sie in so viele strahlende Gesichter schauen durfte, das war der Lohn für ihre Mühe. Diese Weihnachtsfeier würde den Kindern sicher lange in Erinnerung bleiben.

      Drei Tage vor dem Heiligen Abend saß Katharina dann im Zug nach Köln, nachdem in Loditten zwischen ihr und Marie Schimkus ein schwermütiger Abschied stattgefunden hatte. Beide Frauen lagen sich in den Armen, weinten und drückten sich, als wäre es ein Abschied für immer.

      Zwar freute sich Marie auf ihren Sohn, aber sie hätte das Weihnachtsfest gern mit beiden gefeiert.

      Die Wochen der Vorweihnachtszeit hatten die zwei Frauen in inniger Verbundenheit verbracht, und Marie fürchtete sich vor dem Gedanken, dass Katharina nicht wiederkommen könnte. Die stetigen Bombenangriffe auf Köln und die damit verbundene Angst um ihre Eltern machten der jungen Frau zu schaffen, und wer weiß, ob sie sich in dieser schweren Zeit noch einmal von ihren Eltern trennen würde.

      Als Katharina nach zweiundzwanzig Stunden Fahrzeit in Köln aus dem Zug stieg, war sie müde und nicht mehr so unbeschwert wie beim letzten Mal. Die Bahnhöfe und die Züge waren mit Soldaten überfüllt und die wenigen Zivilisten hatten Mühe einen Platz zu finden. Bereits am Stadtrand von Köln waren die gravierenden Veränderungen im Stadtbild zu erkennen. Der Krieg hatte weitere Marken in die geschundene Stadt geschlagen, die nicht mehr zu übersehen waren.

      Allein die Freude, ihre Eltern und Verwandten wiederzusehen milderte ihre Beklemmung ein wenig.

      Der Zug hatte diesmal eine gewaltige Verspätung, so dass sie eigentlich nicht mehr erwartete, von ihrem Vater vom Bahnhof abgeholt zu werden.

      Immer wieder legte ihr Zug einen Halt ein, um beladenen Militärzügen die ungehinderte Durchfahrt zu gewähren. Auf Bahnhöfen zwischen Berlin und Köln warteten Unmengen von Güterzügen auf ihre Abfahrt zur Front.

      Auf den Bahnsteigen herrschte auch im vierten Kriegsjahr eine emsige Betriebsamkeit und nichts deutete auf die Gefahr von Fliegerangriffen hin.

      Riesige Propagandaplakate füllten nach wie vor die Bahnhofswände und die zahlreichen Soldaten suggerierten Stärke, die allerdings zumindest im Osten Europas und in Nordafrika zu bröckeln begann.

      Die junge Frau sah sich nach einer Kofferkarre um, da entdeckte sie ihren Vater, der mit langen Schritten auf sie zu stürmte. Unendlich erleichtert sank sie ihm bei der Begrüßung in die Arme.

      »Mein Mädchen, ist das eine Freude, dass du wieder da bist. Mutter freut sich auch riesig und wird vor Ungeduld schon ganz krank sein. Lass’ uns schnell nach Hause fahren. Zum Glück fahren die Straßenbahnen auf den wichtigsten Linien noch immer im Fünfzehnminutentakt, wenn sie auch früher alle zehn Minuten fuhren. Zweimal war ich schon auf dem Bahnhof und immer wieder wurde eine andere Ankunftszeit bekannt gegeben. Mutter wartet schon sehnsüchtig auf dich!«

      Er übernahm das Gepäck und auf dem Nachhauseweg erzählte ihm seine Tochter bereits in der Straßenbahn alles, was in den letzten Wochen in Loditten passiert war. Na ja, fast alles, denn dass sie sich verliebt hatte, wollte sie erst einmal für sich behalten, der Vater wäre sonst vielleicht ein wenig beunruhigt, dass ihre Liebe sie in Ostpreußen festhalten könnte.

      Mit Bestürzung sah sie durch die Fensterscheiben die Ruinen der bombardierten Häuser und die Schutthalden, die sich überall türmten. Autos waren wegen des Treibstoffmangels auf den Straßen eine Seltenheit geworden. Der Vater bemerkte ihre Verfassung und sagte: »Schau nicht so genau hin, Mädel. Überall Leid und Tod, das kann einen krank machen, aber wir hatten bisher alle Glück gehabt, hoffentlich bleibt es auch so! Rede nicht mit Mutter darüber, sie kann mit dem Elend nicht so gut umgehen.«

      Katharina nickte etwas geistesabwesend und versuchte, die Bilder aus ihrem Kopf zu bekommen.

      Wie schon bei ihrem letzten Besuch, brach die Mutter auch diesmal wieder bei der Begrüßung in Freudentränen aus und wollte natürlich ebenfalls alle Neuigkeiten der letzten Wochen erfahren. Katharina gab gern ein zweites Mal Auskunft darüber, doch auch der Mutter verschwieg sie, dass sie sich verliebt hatte.

      Es lag nicht etwa am mangelnden Vertrauen zu ihren Eltern, vielmehr wollte sie dieses Geheimnis noch ein wenig bewahren, da ihre Liebe zu Wolfgang doch erst auf zwei kurze Wochen gegründet war. Erst, wenn sie beide sich besser kennengelernt hatten, um Pläne für das weitere Leben schmieden zu können, würde sie sich ihren Eltern offenbaren.

      In der Wohnstube duftete es nach Plätzchen, wie jedes