Klaus-Peter Enghardt

... und hinter uns die Heimat


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Und weil sie annahm, dass sie errötete, drehte sie sich zur Seite und sagte betont burschikos: »Warum nicht, ich habe nichts dagegen.«

      Auf der weiteren Fahrt führte der Weg in sanften Bögen und im leichten auf und ab durch den Wald bis an den See und verlief von dort aus dicht am Ufer um den See herum. Auch die Landschaft im weiteren Umkreis war eine typische Moränenlandschaft mit Hügeln und kleinen Seen.

      Erneut legten die beiden eine Pause ein und Wolfgang erklärte, dass die Kinder der umliegenden Dörfer seit Generationen im Sommer in diesem See badeten.

      Er hatte wie selbstverständlich seinen Arm um Katharinas Schulter gelegt und beide genossen die Stille des Sees und das leise Rauschen des Waldes. Dieser Moment hatte einen besonderen Zauber und Katharina hätte sich in jenem Augenblick nicht einmal gewehrt, wenn der junge Mann sie geküsst hätte, obwohl sie sonst nicht leichtsinnig war.

      Es gab in ihrem Leben noch nicht viele Männer, denen sie einen Kuss erlaubt hatte, und »der Eine«, dem sie gar mehr gewährt hätte, war ihr bisher noch nicht begegnet.

      Der Ausflug hätte noch Stunden dauern können, doch die Lehrerin hatte noch Vorbereitungen für den nächsten Schultag zu treffen.

      Auf dem Nachhauseweg beschlossen die Ausflügler, weitere Fahrradtouren zu unternehmen. Gleich für den nächsten Samstag war sogar ein Kinobesuch im »Alhambra« in Königsberg geplant. Darauf freute sich Katharina ganz besonders, denn sie ging gern ins Kino und dem Alhambra ging ein legendärer Ruf als modernes Lichtspielhaus voraus.

      Die nun folgenden Schultage verliefen für Katharina unspektakulär. Die größten Laukse schwänzten die Schule oder halfen zu Hause auf dem Feld. Die junge Lehrerin nahm sich vor, in den kommenden Tagen deren Eltern aufzusuchen.

      Als sie das Arbeitsmaterial für die Mathematikstunde aus dem Lehrerschrank nehmen wollte, stand in der Schrankecke ein Rohrstock. Den hatte sicher ihr Kollege für sie hineingestellt und sie musste augenblicklich lächeln. »Na ja, ich kann ihn ja als Zeigestock benutzen«, dachte sie amüsiert.

      Am Samstag fuhr sie mit Wolfgang nach Königsberg.

      Der Soldat war ein unterhaltsamer Begleiter, der sich noch dazu gut in Königsberg auskannte.

      Das »Alhambra« erreichten sie vom Bahnhof aus mit der Straßenbahnlinie vier, es befand sich am Steindamm, Ecke Wagnerstraße.

      Das Gebäude, in dem sich das Kino befand, war ein riesiges Büro- und Geschäftshaus, in dem sich auf mehreren Etagen verschiedene Gastronomiebetriebe befanden und natürlich dieses Kino, das dem Gebäude seinen Namen verlieh, der weithin bekannt war. Bis zum Film blieb ihnen noch ein wenig Zeit und so suchten sie eines der Lokale im Haus auf und tranken Kaffee.

      Katharina hatte sich den Film »Wiener Blut« ausgesucht, eine Operettenverfilmung nach Johann Strauß. Es lief zwar auch der Film »Der große König«, ein Monumentalfilm über die Schlachten »Friedrichs des Großen« im Siebenjährigen Krieg um 1760, der allerdings ein von Joseph Goebbels in Auftrag gegebener Propagandafilm war, in dem der Heldentod glorifiziert wurde.

      Katharina hielt es für unangebracht sich mit Wolfgang so einen Film anzuschauen. Er hatte an der Front täglich den Tod vor Augen und außerdem wollte sie die Zweisamkeit im Kino nicht mit einem Film über Tod und Leid zerstören.

      Wolfgang hatte zwei Plätze in einer der hintersten Reihen gekauft. Da die Sitzreihen anstiegen, konnte Katharina jedoch sehr gut sehen.

      Während des Films nahm er, wie selbstverständlich, ihre Hand und ließ sie bis zum Ende der Vorstellung nicht mehr los. Auch als die beiden das Kino verließen und zur Straßenbahnhaltestelle gingen, hielten sie sich an den Händen. Katharina war sehr glücklich, denn sie musste sich eingestehen, dass sie sich in Wolfgang verliebt hatte und auch er schien sie zu mögen.

      Als sie in Zinten aus dem Zug stiegen, riefen sie sich kein Taxi, sondern liefen die Strecke bis nach Loditten zu Fuß. Wolfgang hatte den Arm um Katharina gelegt und sie schmiegte sich beim Gehen an ihn.

      Ein Stück hinter der Stadt verließ das Pärchen die Straße und Wolfgang führte Katharina einen Waldweg entlang dem Dorf zu. Dieser Weg war eine Abkürzung, er war aber so schmal, dass man auf ihm nicht mit einem Auto oder einem Pferdefuhrwerk fahren konnte und auch eng nebeneinander gehen musste.

      Beide genossen den lauen Abend und der Mond beleuchtete mit fahlem Licht den Weg der Spaziergänger.

      An einer Schneise wurden Wolfgangs Schritte langsamer, schließlich blieb er stehen. Er zog Katharina zu sich heran, ohne von ihr Widerstand zu spüren, beugte sich zu ihr hinab und küsste sanft ihre Lippen. Katharina hatte ihre Augen geschlossen und wünschte sich, dass dieser Augenblick ewig dauern möge. Nach einer Weile setzten sie ihren Weg fort, der nun allerdings immer wieder von weiteren Küssen unterbrochen wurde.

      Als das Pärchen zu Hause ankam war es bereits nach dreiundzwanzig Uhr, aber Mutter Schimkus saß noch immer am Küchentisch und stickte an einer Tischdecke.

      Als die jungen Leute eintraten, sah sie ihnen an, dass sie einen schönen Abend verbracht hatten.

      Mit einem Blick auf die Küchenuhr sagte sie erschrocken: »Erbarmung, nun ist es schon so spät geworden. Ich hatte ganz und gar die Zeit vergessen. Nun huckt euch mal noch ein bisschen her, ich räume das Feld.«

      Den höflichen Einwand des Pärchens, doch zu bleiben, lehnte sie diskret ab und ging in ihr Zimmer. Sie konnte sich gut vorstellen, dass die Zwei noch ein bisschen allein sein wollten.

      Obwohl sie nicht übermäßig neugierig war, konnte sie doch lange nicht einschlafen und hörte Wolfgang und Katharina in der Küche leise sprechen. Nur manchmal wurde das Gespräch für einige Zeit unterbrochen, dann lächelte Marie Schimkus, denn sie ahnte warum. Ach, wenn doch dieser Krieg nur schon vorbei wäre. So eine Frau, wie Katharina hätte sie ihrem Sohn sehr gegönnt.

      Die kurze Zeit des Urlaubs war vergangen und Wolfgang hatte sein Gepäck bereits neben seinem Bett stehen. Nur noch eine Nacht und dann musste er sich von seiner Mutter und von Katharina verabschieden.

      Am Morgen saßen alle drei ziemlich schweigsam am Frühstückstisch, nur ab und zu flogen ein paar Worte hin und her. »Pass’ auf dich auf, sei nicht leichtsinnig, rauche nicht so viel, schreibe mal öfter!« Alles Ermahnungen, die er nach jedem Urlaub hörte. Katharina schaute auf die Küchenuhr. Sie musste in die Schule.

      »Ich werde mal ein bisschen Holz für den Küchenofen aus dem Stall holen«, sagte Marie Schimkus plötzlich und stand auf, um eilig die Küche zu verlassen. Sofort flog Katharina in Wolfgangs Arme und küsste ihn stürmisch. »Bleib gesund«, flüsterte sie, »und schreibe mir so oft es geht. Wann wirst du denn wieder auf Urlaub kommen?«, wollte sie wissen.

      »Wenn ich Glück habe, bekomme ich vielleicht Weihnachtsurlaub. Es sei denn, dass ich versetzt werde, dann werden die Neuen natürlich nicht berücksichtigt. Aber ich denke, dass ich bei meiner Einheit bleibe«, sagte Wolfgang und küsste Katharina auf die Augen, aus denen nun doch ein paar Tränen kullerten.

      Während der zwei Wochen hatte sich das Mädchen unsterblich in den jungen Mann verliebt und nun kam zur Angst um ihre Eltern auch noch die Angst um ihren Liebsten.

      Katharina wäre gern noch geblieben, aber ihr Pflichtbewusstsein gebot ihr, pünktlich zum Unterricht zu erscheinen. »Auf Wiedersehen Wolfgang!« Es klang so unpersönlich, da setzte sie noch ein zärtliches: »Ich hab’ dich lieb« dazu. Ein letzter Kuss, und die Lehrerin floh mehr aus dem Haus, als dass sie lief. Vor der Schule wischte sie sich mit dem Taschentuch die Tränen ab und putzte sich ihr rotes Näschen.

      Als sie nach der Schule nach Hause kam, war Wolfgang fort und Frau Schimkus sehr still. Beide umarmten sich, weinten leise, und hofften, Wolfgang gesund wiederzusehen.

      Am Abend sprachen die Frauen über Wolfgang und Frau Schimkus fragte Katharina, ob sie sich vorstellen könnte, eines Tages in Ostpreußen zu leben.

      Obwohl die junge Lehrerin ihre Eltern über 1000 Kilometer entfernt wusste, wäre sie für ihre Liebe tatsächlich nach Ostpreußen gezogen, verriet sie ihrer Wirtin. Die Frau war so gerührt, dass sie