die Ereignisse besprochen, die sich ab dem Frühling zugetragen hatten. Hochzeiten, Todesfälle, Kindergeburten und all den Frauenklatsch, über den es sich herzuziehen lohnte, jedoch ohne Bosheit und Arglist.
Die Menschen in Ostpreußen waren geradlinig, manchmal wortkarg, zuweilen auch störrisch, aber immer ehrlich.
Wortkarg waren die Nachbarinnen von Marie Schimkus zum Glück nicht, deshalb waren die Abende, an denen sie sich im Wechsel trafen, für die Frauen immer sehr unterhaltsam.
Meist brachten sie Strickzeug mit und strickten Socken, Handschuhe oder Schals oder stopften ihren Männern die löchrigen »Mauken«. Die Hände der Frauen konnten auch nach dem Feierabend einfach nicht ruhen.
Die Männer nahmen es den Frauen nicht übel, dass die sich zum Plaudern trafen. Sie selbst setzten sich dann im Wirtshaus zusammen, kippten sich ein paar Bierchen und ein paar Bärenfang oder Machandel hinter die Schlorren, und auch sie unterhielten sich oder spielten Karten. Der Winter war für die Bauern die Zeit, auch einmal ein wenig an sich zu denken.
In den vergangenen Tagen hatte die junge Lehrerin die geplanten Elternbesuche begonnen, und das nicht nur bei den Eltern schwieriger Schüler. Es war zugleich ein Anlass, sich bei den Eltern im Dorf bekannt zu machen. Meist waren ohnehin nur die Mütter der Kinder und die Großeltern anwesend, weil ja fast alle wehrfähigen Männer des Dorfes zu den Soldaten eingezogen waren. Als Ersatz für die fehlenden deutschen Bauern und Handwerker dienten russische, polnische, französische und belgische Arbeitskräfte. Besonders Gefangene aus dem französischen Elsass-Lothringen, die zumeist deutsch sprachen, wurden auf den Feldern und in den Werkstätten des Gutes der Familie von Lübzow eingesetzt.
Die sowjetischen Kriegsgefangenen beherrschten die deutsche Sprache nicht und auch die Polen sprachen nur ein paar deutsche Brocken.
War die Lehrerin zunächst etwas befangen, lernte sie doch sehr schnell die Liebenswürdigkeit und Gastfreundschaft der Menschen im Dorf kennen und wurde von ihnen sofort in ihre Gemeinschaft aufgenommen.
Ursprünglich hatte sich Katharina vorgenommen pro Abend mindestens vier Familien zu besuchen, doch meist wurde sie bereits bei der ersten Familie zu einem Tee oder gar zum Abendbrot eingeladen. Oft gingen die Gespräche über die Schulprobleme hinaus, so dass für die Lehrerin absehbar war, dass sie es nicht schaffen würde, noch vor den Weihnachtsferien alle Eltern aufzusuchen.
Eines erstaunte die Lehrerin immer wieder. Anders als in Köln, wo die Eltern auch ihre größten Rüpel vehement verteidigten und auch verredeten, gingen die Ostpreußen mit ihrem Nachwuchs weniger nachsichtig um. Rüpel war Rüpel, Faulpelz, Faulpelz und wer Strafe verdient hatte, der sollte sie auch bekommen. Wenn nötig, sogar mit dem Rohrstock.
Katharina musste sich an manchem Abend einen Ruck geben, das gemütlich beheizte Haus zu verlassen und in die nasse Kälte hinaus zu gehen. Zu den entlegenen Höfen fuhr sie mit dem Fahrrad.
Ihre Hände steckten in dicken Handschuhen, den Jackenkragen hatte sie hoch geschlossen, vor dem Mund einen Schal gebunden und auf dem Kopf trug sie eine Mütze. So versuchte sie dem Wetter zu trotzen. Dennoch peitschte ihr der Regen oft ins Gesicht und sie kam bei den Leuten oft nass wie ein Pudel an und war dann dankbar für einen heißen Tee. Manchmal gab es sogar einen Grog oder einen heißen Bärenfang, das weckte die Lebensgeister und wärmte von innen. Es war dann für die Lehrerin immer schwer, am selben Abend noch eine zweite Familie aufzusuchen.
Manchmal verfehlte nach so einem üblen Wetter ihr Besuch jedoch sogar den eigentlichen Grund. Dann nämlich, wenn sie völlig durchnässt bei einer Familie eintraf und erst einmal »trocken gelegt« und aufgewärmt werden musste.
Nach zwei oder gar drei heißen Bärenfang war selbst der engagiertesten Lehrerin die Lust auf ernsthafte Schulgespräche vergangen. Viel lieber hörte sie sich dann die Erzählungen der alten Leute an, die endlich auf jemanden trafen, mit dem sie noch nicht über die Geschichten aus der alten Zeit plachandert hatten. Diese Gesprächsabende verschafften der jungen Frau jedoch schon bald Sympathien im Ort, denn es sprach sich herum, dass diese tüchtige Lehrerin nicht nur über die Probleme in der Schule sprechen wollte, sondern sich ihrerseits auch für die Belange der Menschen im Dorf interessierte und zuhören konnte.
Dass man die Dorfschullehrerin mitunter mittels zwei oder drei Gläschen Grog oder Bärenfang von den eigentlichen Themen abbringen konnte, blieb selbstverständlich unerwähnt.
An einem jener Abende, an dem die Schulprobleme eine untergeordnete Rolle spielten und Katharina sich wieder einmal die Geschichten und Erlebnisse aus alter Zeit anhören musste, trat die alte Frau Penschat mit einer Frage an die Lehrerin heran.
»Sajen Se mal Frollejn, man hat Se sonntachs noch nie nich in unsere Kirche jesehen, sind Se etwa nich jläubig? Es spricht sich schnell herum, wenn ejns nich in die Kirche jeht.«
»Liebe Frau Penschat, natürlich bin ich gläubig, in Köln bin ich mit meinen Eltern regelmäßig zum Gottesdienst gegangen. Es war ja sogar ein Einstellungskriterium, dass ich meine Glaubenszugehörigkeit nachweisen kann, aber ich hatte in den letzten Wochen so viel für die Schule zu tun, da blieben die Kirchenbesuche leider auf der Strecke. Meine Wirtin hat mich aber bereits zum Gottesdienst am nächsten Sonntag eingeladen.«
Die Antwort schien Frau Penschat zufrieden gestellt zu haben, denn sie schabberte nun über den allgemeinen Dorftratsch. Herr Penschat hatte auf seinem Stuhl am Ofen gesessen und stand missmutig brummelnd auf, um sich einen Knösel zu stopfen. Ihm missfiel es, wenn seine Frau den Dorftratsch weitergab, da paffte er aus Protest dicke Qualmwolken an die Decke.
Am Donnerstag fuhr Katharina zum Vorwerk Eichgraben, um sich den Müttern einiger ihrer Schüler vorzustellen und mit ihnen über ihre Sprösslinge zu sprechen.
Die Vorwerke Eichgraben, Karlshof und Buchwäldchen waren nur auf unbefestigten Wegen zu erreichen, die vorbei an hügeligen Feldern durch einen dichten Wald führten.
Der Regen der letzten Tage hatte die grundlosen Wege aufgeweicht und die Lehrerin sank auf freier Strecke mit ihren Rädern im Schlamm ein, sodass sie mit einem beherzten Sprung von den Pedalen direkt in den Schlamm hopsen musste. Leise fluchend schob sie ihr Fahrrad durch den Morast auf festen Weg und stieg schließlich wieder auf.
Ihre Schuhe waren bis zu den Knöcheln beschmutzt, doch die Lehrerin setzte ihren Weg unbeirrt nach Eichgraben fort, denn was sie sich einmal vorgenommen hatte, das führte sie auch zu Ende.
Bereits wenige Tage später waren auf dem Weg nach Buchwäldchen die tiefen Fahrspuren der eisenbeschlagenen Räder der Pferdefuhrwerke gefroren.
Die junge Frau zog es nun vor, ihr Fahrrad zu schieben, ehe sie womöglich in eine der gefrorenen Rillen geriet und stürzte.
Von einer Anhöhe aus konnte sie das Vorwerk Buchwäldchen sehen und war froh, dass sie den beschwerlichen Weg fast geschafft hatte, doch gänzlich aufatmen würde sie erst, wenn sie wieder wohlbehalten in ihrer Wohnung angekommen war. Ihr schoss plötzlich der Gedanke durch den Kopf, dass dies der tägliche Schulweg einiger ihrer Schüler war, egal ob bei Sonne, Regen oder Schnee, doch gerade die Schüler aus diesen abgelegenen Vorwerken waren fast immer pünktlich, und vor allem, sie schwänzten nie.
Als Katharina eines Tages nach der Schule nach Hause kam, lächelte ihre Wirtin sie geheimnisvoll an und deutete mit einer Kopfbewegung zum Küchentisch. Dort lehnte an ihrer Kaffeetasse ein Brief. Sie erkannte die Schrift sofort.
Den Brief hatte Wolfgang geschrieben und Katharinas Freude war riesengroß. Auch Marie hatte einen Brief von ihrem Sohn bekommen. Es schien ihm gut zu gehen, das zumindest verriet Maries Lächeln.
ZU WEIHNACHTEN IN KÖLN
Überhaupt hatte sich Marie in den vergangenen Wochen verändert. War sie bei der ersten Begegnung mit Katharina noch gezeichnet von der Trauer um ihren Mann, der an der Front gefallen war und lebte still und in sich gekehrt, voller Sorge um ihre Söhne, so hatte sie inzwischen ihre Lebensfreude wiedergefunden. Sie war eine wunderschöne Frau im besten Alter und hatte sogar wieder die Freude am Singen entdeckt. Seit kurzer Zeit besuchte sie wieder regelmäßig den Kirchenchor, in dem sie vor dem Tod ihres Mannes