weit draußen auf dem Meer geheftet waren.
Eine Unternehmung einer neuen, nie da gewesenen Rätselhaftigkeit, die nicht durch den leisesten unschuldigen Schrei durchkreuzt wurde.
*
Angespannt ließ Pablo, der Fischer, die knorrige Eichentür zur Küche des Herrenhauses ins Schloss fallen.
Soeben hatte er in Erfüllung seiner täglichen Pflicht das Beste seines Fanges abgeliefert. Auf dem Anwesen seines Herrn, das im Ort nur »El fortín«, die Festung, genannt wurde, fühlte er sich immer unwohl.
Der Sohn des alten Marqués, Sion de Albanez, war früh schon auf gewesen.
Zufällig zwar, aber mit scharfen Augen hatte er Pablos Beklemmung, die sich in seinem Gesicht und in seinem Gang ausdrückte, bei seiner Ankunft vom Fenster des Schlafgemachs aus bemerkt.
Nachdenklichkeit, die sich einstellte, die sich nicht verflüchtigen wollte, der keine Beiläufigkeit innewohnte.
Ein Schatten fiel neuerlich in seine Seele. Warum konnte es nicht endlich vorbei sein?
Hätte ich etwas sagen müssen?
Pablo war in Gedanken vertieft, sah mit seinem auf den Boden gerichteten Blick noch nicht einmal, wie die junge Maria, die in der Küche des Herrenhauses beschäftigt war, ihm mit einem Korb voll Obst entgegenkam und wäre grußlos an ihr vorbeigelaufen, hätte sie ihm nicht doch noch ein zögerliches »Buenos dias« zugeworfen.
Auch Maria hatte Pablos Anspannung bemerkt, doch ihre natürliche unbefangene Art ließ sie nicht schweigend an dem alten Fischer vorbeigehen. Pablo erwiderte den Gruß mit entschuldigendem Blick, der sich gehoben hatte.
Einen Augenblick lang schien er nach weiteren Worten zu suchen. Dann lief er mit einem hörbaren Seufzer weiter.
*
»Pablo, ich mache mir Gedanken um dich! – Warum bist du heute Morgen nicht auf dem Markt erschienen?«
Pablo schaute seinem alten Freund Luis in die Augen, unsicher, was er ihm entgegnen sollte. Eine Unsicherheit, die es so noch nicht zwischen ihnen gegeben hatte.
Sekunden wie Ewigkeiten. Die Sonne schien noch heißer geworden zu sein.
Mit einem kurzen Wegdrehen seines Kopfes bedeutete er ihm, ihm ins Haus zu folgen.
»Ist etwas mit Margarita?«
Margarita, die gebrochen schweigsame Frau Pablos, die sich den Leuten des Dorfes seit langem kaum mehr zeigte.
Pablo blieb die Antwort schuldig und ging, gefolgt von Luis, gerade da er sein Weib ausgemacht hatte, mit langsamen Schritten auf Margarita zu, die still und mit gesenktem Kopf in der dunkelsten Ecke des kargen Wohn- und Küchenraumes verharrte und noch nicht einmal aufschaute, als die beiden Männer in das Haus eintraten.
»Was um Himmels Willen ist mit euch?«, fragte Luis mit einer Ungeduld, die seinem Alter nicht entsprechen wollte, und einer Unsicherheit, als wäre er jener schrecklichen Wahrheit ansichtig geworden, dass das Tor zur Hölle sich einen Spaltbreit geöffnet hätte.
»Ich verstehe nicht!«
»Wir auch nicht, Luis«, antwortete Pablo.
Wieder trat langes Schweigen in den Raum ein.
»Woher habt ihr …?«
Pablo hätte Dutzende von Erklärungen liefern können, selbst harmlose. Allein die ihm anzumerkende Beklemmung sagte Luis, dass hier etwas Unerhörtes geschehen war. Das ganze Haus schien von einer dunklen Macht gepackt zu sein. Und die mit diesem Empfinden in ihm aufsteigende Spannung ließ nur knappe Äußerungen über seine Lippen kommen.
Alle drei schauten sie auf das in einem kleinen Bastkorb liegende Kind, das im Widerspruch zu der bedrohlichen Atmosphäre, die sie empfanden, ruhig da lag und mit weit geöffneten Augen ihre Blicke erwiderte.
Luis suchte nach einer Erklärung, aber die Stille war ihm gespenstisch und heilig fast zugleich, so dass er sie nicht unterbrechen konnte und wollte. Und er verstand auch ohne Worte, dass sein Freund keine Antwort dafür hatte, wie dieses Kind, das seit seinem Auffinden noch keinen Laut von sich gegeben hatte, zu ihnen gelangt war.
»Er ist für Frederico gekommen!«, äußerte Margarita plötzlich in die Stille hinein.
Madre de Dios! Pablo schreckte zusammen. Auch Luis fühlte seinen Puls noch weiter steigen.
Frederico – dieser Namen war schon lange nicht mehr in diesem Haus gefallen.
Tiefer Schmerz, der auf immer mit ihm verbunden war und in jeder der verletzten Seelen weiter schwärte. Hoffnung auf die Unsterblichkeit, die mit der Geburt eines jeden Kindes in die Innerlichkeit seiner Eltern einzog und hier so jäh ausgelöscht worden war.
*
Zweiundzwanzig grausam lange Jahre lag dieser Tag nun zurück, an dem nicht nur Fredericos noch junges Leben beendet war, sondern auch das in wenige Träume eingebettete Dasein von Pablo und Margarita.
Keinen unbeschwerten Tag hatten sie seitdem mehr gehabt. Verbitterung war ihr Los gewesen. Der Tod von Frederico hatte sich auf alle, die ihm nahe gestanden hatten, wie ein mächtiger Schatten gelegt, der nicht aufzulösen war.
Pablo belastete das Unglück in besonderer, seine Seele vernichten wollender Weise, da er nicht verhindert hatte, dass Frederico mit ihrem Boot, dieser Winzigkeit im Kampf gegen die grenzenlosen Naturgewalten, hinaus auf das Meer gefahren war.
»Ich werde auch rechtzeitig vor dem Sturm zurück sein.«
Pablo hatte daran geglaubt, nachdem seine väterliche Autorität nicht unangetastet geblieben war, dass Frederico die Tücken der Natur gut einzuschätzen wusste, dass er zu bedenken in der Lage war, wie schnell das Wetter umschlagen konnte, wie schwer es war und wie lange es dauerte, bei aufkommendem Sturm zurück an die sichere Küste zu gelangen.
Er hatte ihn schon oft genug bei ungünstigem Wetter aufs Meer mitgenommen, denn ihre Armut erlaubte es nicht, groß Rücksicht auf die Widrigkeiten durch Kälte und Nässe und von Wind und Wellen zu nehmen.
Mit den Jahren war Frederico dann auch mit gewachsener Erfahrung und Kraft öfter allein hinaus gefahren, während Pablo mit anderen Arbeiten, dem Flicken alter Netze oder dem Verkauf des vortägigen Fanges etwa, beschäftigt gewesen war.
Vor jenem verhängnisvollen Tag vor 22 Jahren war Pablo neben vielen anderen, als hätten sie sich nicht mit ihren eigenen Misslichkeiten genug an Sorge gehabt, nach einem heftigen Unwetter, das auch den Besitz seines Herren, die Wohnhäuser, Stallungen und Zaunanlagen, heimgesucht hatte, auf Weisung des alten Marqués zu frondienstlichen Arbeiten verpflichtet worden.
Weitere Stürme hatten sich abgezeichnet. Der letzte Rest der Ernte war auch noch zu retten. Die Fischer und Bauern, verärgert zwar über die anbefohlene Arbeit, machten ihrem Ärger kaum Luft, ganz wie es ihrem kargen Wesen entsprach, und drückten ihn nur still mit ihren Blicken aus.
»Soll das schlechte Wetter doch erst einmal abgezogen sein!«
Das war der einzige Widerspruch, der kaum hörbar sich auf den Lippen eines Einzelnen formte.
Der junge Sion de Albanez, für seine Hartherzigkeit bekannt, war dem aus dieser Äußerung herauszulesenden Wunsch barsch und mit kaltem Blick entgegengetreten.
»Morgen vor Tagesanbruch seid ihr zur Stelle! Basta!«
Unerbittliche Befehlsgewalt, seit jeher praktizierte und nie überdachte oder in Frage gestellte, ließ jede Diskussion im Keim ersticken.
»Trete den Leuten mit Härte gegenüber und sie werden es dir angesichts der sicheren Führung, die sich in ihr spiegelt, danken!«
Dieser mitleidlose Satz seines Vaters hatte sich im Herzen von Sion de Albanez zu seiner eigenen festen Überzeugung eingebrannt.
Die Männer standen durchnässt in dem scharfen Wind und warteten ab.
Pablo hatte gezögert, doch nachdem ein anderer den gleichen