musterte jeden einzelnen Fisch, jede Makrele und jeden Wolfsbarsch, der mit ausgehauchter Seele in dem Korb am farblosen, Salz zerfressenen Bug des Bootes lag und der Ewigkeit, wie er an der Reglosigkeit der offen stehenden Augen ausmachen konnte, um das entscheidende Stück näher gekommen war.
Doch wurde ihm das Wasser, so ruhig wie er es bei seinen Fahrten auch kennenlernte, nicht so zum Freund wie es dies bei seinen Alterskameraden vermochte. Gabriel blieb stets zurückhaltend. Ihm wohnte eine andere Art inne, als die Welt durch Aktivität zu ergründen.
Er blieb überall der stille Beobachter und sah nachdenklich den Wolken nach, wenn er manchmal die Einsamkeit suchte und Stunde um Stunde am Strand sich aufhielt. Nie kam Böses über seine Lippen noch nistete es sich in seiner Seele ein.
Pablo ließ ihn gewähren. Er ahnte, dass das Schicksal noch Besonderes vorhatte mit ihm.
Deshalb zwang er ihn nicht samt und sonders in die zermürbenden Notwendigkeiten des Alltags, hielt ihn zwar zur Entwicklung seines Wesens, zu seiner Reife, zur Erledigung seiner Pflichten an, obwohl dies eher selten geschah, weil Gabriel für sein Alter bemerkenswert eigenständig und verantwortungsbewusst war, ließ ihm aber auch genügend Freiraum, damit er seine Seele dort zur Vollkommenheit brachte, wo Pablos Vermögen zurückbleiben musste.
Pablo war ein einfacher und ehrsamer Mann, aber unter seiner dicken rissig-braunen Haut wohnte ein wacher Verstand, der ihn mit mehr Fortune zu mehr befähigt hätte als zum Führen eines Lebens als gemeiner Fischer.
Doch das Schicksal hatte es nicht anders für ihn bestimmt. Seine Anspruchslosigkeit, die er mit der Muttermilch aufgesogen hatte, ließ ihn sein Geschick annehmen und nicht sonders unzufrieden werden.
Für Frederico hatte er große Hoffnungen gehabt, die Hoffnung, dass er der Beschwerlichkeit des Lebens an diesem einsamen Ort entfliehen und in das Geschehen der weiten Welt Einzug halten konnte, etwa als in leichte und helle Stoffe gekleideter Kaufmann in Cadiz oder als Kapitän einer jenen unzählig vielen Handelsschiffe, die gen Amerika segelten, dem Glück des Goldes und des Geldes immer auf der Spur.
Früher hatte er manchmal, wenn er auf dem Wasser gewesen war, diesen Schiffen nachgesehen und sich dann in seinen wenigen, immer wiederkehrenden Träumen verloren.
Als Frederico groß wurde, träumte Pablo diese Träume für ihn.
Frederico war ein so ein wunderbarer Junge gewesen, ein Geschenk des Himmels – und Gabriel war es auch.
Ein Geschenk mit einem unerklärbaren innewohnenden Reichtum, den er nicht der Auszehrung des Alltags opfern durfte.
»Auch er wird gehen!«
Diese leise zu sich selbst gesprochenen Worte, diese Empfindung legte Pablo über all die Jahre nicht ab.
Und so entwickelte sich zwischen ihnen ein starkes Band, aber nicht ein als unvergänglich empfundenes wie zwischen Vater und Sohn. Gabriel gehörte ihm nicht, er gehörte Gott und den Mächten des Himmels.
Auch Margarita, Pablos Weib, sah Gott im Spiel. Anders als Pablo jedoch schaute sie Gabriel als ihr eigenes Kind an.
»Der Himmel lässt Wunder geschehen und bahnt ihnen den Weg in die Welt.«
Gott hatte ihnen Frederico genommen, warum er dies getan hatte, war ihr nie zu Verstand gekommen, und eben dieser Gott hatte ihnen nun, da er seinen Fehler eingesehen haben mochte und sie zu alt geworden war, um eigene Kinder zu bekommen, Gabriel als Findelkind geschenkt.
Der Junge gehörte ihnen, dies ihre unumstößliche Gewissheit, wie sie sich sonst nur einer Mutter bemächtigen konnte. – Wem auch sonst, da nie sich irgendjemand nach ihm erkundigt hatte, hätte das Kind gehören sollen? Genauso wie Pablo, nur leiser, hatte sie sich gefragt, wer die leiblichen Eltern des Kindes waren, ob sie überhaupt noch lebten, aber sie fragte sich nicht, warum sie das Kind vor die Tür gelegt hatten oder hatten legen lassen, und fragte sich auch nicht, ob sie jemals noch einmal Anspruch auf es erheben würden.
Nein, Gabriel war ihr Kind, ihr Kind allein, und sie würde es nie aus ihren Händen geben.
Pablos Geist war forschender gewesen. Margarita hingegen sah es zu ihrer großen Überzeugung als gottgegeben an, dass Gabriel an die Stelle von Frederico gerückt war. Sie würden ihn behalten, bis sich aus ihm ein stattlicher junger Mann entwickelt hatte.
Und wenn er ein gutes Wesen haben würde, und davon war Margarita überzeugt, dann würde er, so ihr mütterlich gefärbtes Denken, nie weit von ihnen gehen und sich bis zum Ende ihrer Tage um sie kümmern.
*
»Es passt alles zusammen. Nichts war für meine Augen und Ohren bestimmt.
Und dennoch kann ich alle Teile zu einem Ganzen zusammenführen.«
Sion de Albanez, der neue Herr, nachdem der alte Marqués vor Jahren alt und unruhig gestorben war, hegte dunkle Gedanken. - Gabriels Existenz wühlte ihn auf. Eine passende Erklärung war ihm möglich, aber er wollte sich die Wahrheit nicht eingestehen.
Zum Vorteil für sein Befinden passierte es nur selten, dass er an den Jungen denken musste, am ehesten noch, wenn er Pablo zu Gesicht bekam. Und diese Seltenheit in der Verwirrung seiner Seele, gepaart mit einer seltsamen Schwäche, verleitete ihn nicht zu grausamen Plänen und ihrer Ausführung.
Die Unruhe, die Sion de Albanez erfasste, wenn er sich der Gegenwart des Jungen bewusst wurde, grenzte an eine unbestimmte Angst. Angst, sie war sonst im Alltag, der keine Geheimnisse barg, und in der Begegnung mit den untertänigen Menschen kein Begleiter seines Lebens.
Umso mehr beschwerte ihn diese unliebsame Empfindung.
So überraschend, wie Gabriel in das dörfliche Leben gekommen war, so überraschend sollte er auch wieder gehen.
Diesen Wunsch, der an Naivität grenzte, hegte Sion de Albanez – wie zuvor sein Vater schon, was sein Geheimnis geblieben war – meist unbewusst, manchmal jedoch heiß in seiner unfreien Seele, auch wenn er nichts für seine Verwirklichung tat. Er, der Herr, der gebieterische und Respekt einflößende, von Kindheit an auf diese Wirkung hin streng erzogene, verspürte eine eigenartige Machtlosigkeit, wenn sich dieses aus dem Reich des Unbewussten aufsteigende Gefühl seiner bemächtigte. Einen Anflug von wissender Verantwortlichkeit gegenüber Pablo und seiner Frau konnte er dabei nicht unterdrücken.
Eine Regung freilich, die immer nur von kurzer Dauer war und keine Nachwirkungen hinterlassen hatte. Ein kaltes Herz hinter regungsloser Miene.
Wenn sein Herz auch bei Gabriel nur kalt geblieben wäre.
Aber es reagierte mit Abwehr, schlug höher und besorgte ihn. – Fatal! Eine Schwermut an Gedanken, die ihn belastete. Ablenkung zwar durch die täglichen Anforderungen, doch der Nachhall der Schicksalsglocke verstummte nicht.
*
So ging die Zeit dahin, über die Küste des Lichts und die dahinter liegende Landschaft und die Menschen hinweg, und formte sie, das Land unmerklich, die anderen aber mehr oder weniger deutlich. Vor dem Ablauf der Naturkreisläufe, vor dem ewigen Wechsel von Tag und Nacht, vor dem immer währenden Zug der Sterne über den immer gleich anmutenden Nachthimmel, vor dem nie enden wollenden Rhythmus der Gezeiten und vor dem immer gleichen Ablauf des Alltags der Menschen schien deren Entwicklung, ihr Erwachsenwerden und ihr Dahingehen die einzige Veränderung in diesem von Gott nur wenig besuchten Zipfel der großen Welt zu sein.
Und doch hatte sich schon eine Veränderung eingenistet, die mit wachem Blicke längst zu bemerken gewesen wäre und die nach ihrer Offenbarung für ein Entflammen nie gekannter und nie gelebter Empfindungen sorgen sollte.
Gabriel war eben um die acht Jahre alt, als sein kleines Leben, die Winzigkeit seiner Welt, jäh von einem Augenblick zum anderen eine tiefe Wandlung erfuhr und er die vorgezeichnete Bahn seines Daseins endlich betrat.
Ein Aufschrei auf dem sonnenüberfluteten Marktplatz, auf dem sich zu der späten Vormittagszeit viel Volk aufhielt, beendete alle Beschaulichkeit und seine Kindheit.
»Mutter, schau! Gabriel hat keinen Schatten!«
»Was