erst zögerlich, dann mehr und mehr interessiert und schließlich gefesselt aufgenommen. Wir sind um das Thema herumgeschlichen, haben es gepackt, geknetet, hin und her gewälzt. Wir haben uns an manches erinnert, anderes erdacht, einiges verworfen und schließlich bestaunt, wie sich das Thema Spielen durch unser aller Leben zieht.
So umfasst diese Anthologie
• Biografische Texte
• Kurzgeschichten
• Fachbeiträge sowie
• Anregungen für Schreibspiele
Damit ist das Buch eine Einladung, die eigene spielerische Seite wieder öfter oder auch mal ganz anders zu betrachten und zu leben.
Erny Hildebrand
Schreibgruppenleiterin und Psychotherapeutin
Christa Anderski
1945 in Köln geboren, 5 Kinder. Zeitweise lebte und arbeitete sie in England und Südamerika. Lange Zeit war sie als Psychologin in Düsseldorf tätig. Sie schreibt Biographien von Zeitzeugen im Rahmen des ASB-Projekts „Geschichtsschreiber“. Bisherige Veröffentlichungen: Lyrik in verschiedenen Anthologien, Fachbücher, Märchen.
Wenn ihr nicht spielet wie die Kinder
Da steh ich nun und versuche in mir zu klären, was Spielen ist. Die ersten Assoziationen, die aufsteigen, sind Begriffe wie: Spielen aus „Spaß an der Freud“, Spielen, eine Tätigkeit ohne bestimmten Zweck, mit Freunden zusammen spielen, phantasievoll spielen. Weitere Begriffe wie Olympische Spiele, Fußballspiele, Wettspiele, Lernspiele drängen sich auf. Ich schüttele mich. Nein, die haben nach meinem Empfinden nichts mit Spielen zu tun. Sie alle sind auf einen bestimmten Zweck und ein Ziel ausgerichtet. Plötzlich erwacht mein Widerwillen gegen die sogenannten pädagogischen Spiele. So wie früher überkommt mich der Ärger: Unter dem Deckmantel eines lustvollen Spiels wird dir ein zu erreichendes Lernziel untergeschoben. Das ist unlauter! Oder die Olympischen Spiele, die nur noch erbitterte Kämpfe um Hundertstel Sekunden oder um wenige Millimeter sind, die darüber entscheiden, ob du gut oder schlecht bist. Das hat aber nichts mit meiner Auffassung von Spiel zu tun. Was ist Spielen eigentlich? In meinem Kopf dreht es sich.
Ich stürze mich ins Internet und suche nach Aufklärung. Je länger ich suche, desto verwirrter werde ich. Vielfältige Definitionen tauchen auf, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen und sich zum Teil widersprechen. Nach längerem Recherchieren kann ich für mich nur feststellen: Es gibt einfach keine eindeutige, allgemeingültige Definition von Spielen. Das erscheint mir sehr seltsam, denn soweit ich weiß, haben alle Kulturen zu allen Zeiten Spiele gehabt. Ich forsche nach und finde meine Meinung bestätigt: Es gibt Spiele aus der Steinzeit, bei den Ägyptern und den Griechen, bei den Germanen und Wikingern. Es muss demnach etwas ganz Wichtiges für die Entwicklung und die Evolution des Menschen sein. Ist Spielen etwas Menschenspezifisches?
Plötzlich sehe ich Fotos von spielenden Tierkindern vor meinem inneren Auge: sich balgende Welpen oder kleine Katzen, die einem Wollfaden hinterher jagen. Das bedeutet, dass Spielen nicht unbedingt etwas spezifisch Menschliches ist. Ein nächster Internet-Ausflug. Ich lese von Tieren, die in freier Wildbahn spielen – nicht nur junge Tiere, nein, auch erwachsene Tiere. Es gibt beeindruckende Aufnahmen von Delfinen, die unter Wasser mit selbst erzeugten Luftblasen spielen oder auf den Bugwellen großer Schiffe reiten und dabei offensichtlich große Freude empfinden. Ich sehe Bilder von Schildkröten, die Bälle vor sich hertreiben, und selbst von Oktopoden, die scheinbar amüsiert Korken in Strömen aus Luftblasen auf und ab hüpfen lassen. Bei den Tieren sind die Forscher sich einig, dass Spielen vor allem Lernen und Üben bedeutet.
Erstens: Das Training des jungen Körpers, die Stärkung von Sehnen, Muskeln und Gelenken – eben das Einstudieren von Bewegungsabläufen wie anschleichen oder Beute packen.
Zweitens: Daneben entdeckt das Tier spielerisch seinen Lebensraum und lernt diesen einzuschätzen.
Drittens: Eine besondere und komplexe Bedeutung kommt dem Sozialspiel, dem Spiel mit Artgenossen zu wie die Spielkämpfe bei jungen Hunden: Zähne fletschen, Beißen, Herumtollen, ohne dass ein Beteiligter ernsthaft verletzt wird. „Dieses Raufen und Toben dient vor allem dem Aufbau und der Festigung sozialer Bindungen und dem Erlernen der Regeln, der „Moral“ des sozialen Verbands, in dem das Tier lebt“, sagt Marc Bekoff, Verhaltensforscher der University of Colorado. Bei Affen zum Beispiel kann Spiel unter Erwachsenen die Funktion haben, soziale Bindungen zu knüpfen. Bei Wölfen wurde beobachtet, dass einige Individuen anscheinend durch Spiel Konflikte in der Gruppe schlichten. Die Verhaltensforscher deuten das Spielverhalten bei Tieren als eine angeborene Neigung, die zweckfrei und spontan erfolgt.
Wie ist das nun beim Menschen? Frau Haug-Schnabel, Leiterin der Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen, sagt: „Beim Spielen von Kindern handelt es sich um eine angeborene Lernstrategie. Es gibt Kindern die Möglichkeit, die Welt zu erkunden, zu beobachten und nachzuahmen, Erfahrungen zu sammeln, diese selbst zu überprüfen und später abzurufen“. Die kindliche Offen- und Unbefangenheit, die kindliche Freude und die spontan- neugierig- kreative Haltung der Welt gegenüber ist etwas, was wir im Spielen, so wie ich es verstehe, finden.
Vor diesem Hintergrund halte ich es mit Picasso, der gesagt haben soll: „Als Kind ist jeder ein Künstler. Die Schwierigkeit liegt darin, als Erwachsener einer zu bleiben.“ Der österreichisch-irische Künstler Gottfried Helnwein führte in seinem Interview mit Herbert Schorn, Oberösterreichische Rundschau, 2006, weiter aus: „Das ist deshalb so schwer, weil die meisten Erziehungssysteme wie Mähdrescher funktionieren: vorne kommen die lieben Kinder hinein, und hinten kommen sie fein geschrotet und gemahlen wieder heraus. Und so werden Erwachsene erzeugt: durch die Zerstörung des Kindseins, des Spielens und Träumens, der Kreativität und jeder Spontaneität. Aber das ist wahrscheinlich unvermeidlich, wenn man sich ordentliche Staatsbürger wünscht, wie Soldaten, Steuerfahnder, Zuhälter, Psychiater, Geheimagenten, Rennfahrer, Banker, Politiker, usw.“
Das Erziehungssystem Mähdrescher habe ich am eigenen Leib erfahren.
Schaue ich mir zudem die Vielzahl der Verben mit „spielen“ an, so entdecke ich die Mannigfaltigkeit der durch das Spielen betroffenen Lebensbereiche. Hierzu einige Beispiele: anspielen, aufspielen, abspielen, ausspielen, bespielen, einspielen, erspielen, falschspielen, hochspielen, herunterspielen, jemandem böse mitspielen, nachspielen, niederspielen, eine Rolle spielen, runterspielen, überspielen, umspielen, verspielen, vorspielen, verrückt spielen, weiterspielen, zuspielen, zusammen spielen, zurückspielen.
Da bleibt mir nichts anderes übrig, als zu sagen: Wenn ihr nicht spielet wie die Kinder, so werdet ihr nicht die Erfahrungen machen, die euch zu zufriedenen, kreativen, sozialen und aufgeschlossenen Erwachsenen formen können.
Pfeifkonzert am Nachmittag
Durch das dichte Laub des Haselnussstrauchs winden sich Töne, gleiten auf Blättern hinunter und purzeln ins Gras. Helle Pfeiftöne, mal schnell, mal langsam. Immer und immer wieder. Einige langgezogene Töne tanzen auf den Ästen, andere tropfen schnell und abgehackt zu Boden. Zwischendurch Kinderlachen. Das Pfeifen auf einem Ton will kein Ende nehmen.
Mein Kaffee wird kalt und noch immer schraubt sich das helle Pfeifen in mein Ohr. Ab und zu lassen Kinderstimmen das Pfeifen verstummen. Aber kaum sind die Worte verklungen, so schwillt das eintönige Pfeifen wieder an wie zuvor.
Kannst du pfeifen…? Gewiss kann