Erny Hildebrand

Spielen! Was sonst?


Скачать книгу

Ich habe ihn ausgewählt und zu mir kommen lassen und dann war er einfach da. Er wohnt auf einer Bergwiese und ich habe mir einen Fußweg visualisiert, um ihn, so ich ihn brauche, besuchen zu können. Ich frage ihn dann jeweils, ob es ihm gut geht und er auch genug Futter hat. Immer ist alles in Ordnung. Manchmal bringe ich ihm einen Apfel oder eine Möhre mit. Ich erzähle ihm dann, was mich bedrückt oder beschäftigt, und wünsche mir von ihm eine Entscheidungshilfe. Er hat mir noch nie etwas Falsches geraten. Manchmal sagt er auch: „Rita, du musst Geduld haben, weil manche Dinge sich von selbst lösen. Lass jetzt dein Leben einfach fließen.“ Es gab aber auch öfter ein ganz klares „Nein“ oder „Ja“ von ihm. Wenn ich mich auf seine Ratschläge eingelassen habe, war es immer schlüssig und richtig; entschied ich mich gegen den Rat vom Haflinger, ging etwas schief. Ich habe mich schon lange nicht mehr gegen seine Empfehlungen entschieden.

      Es gibt jedoch Phasen in meinem Leben, in denen ich ihn nicht brauche, weil mein Leben so dahin plätschert, dann besuche ich ihn und lehne mich an sein warmes braunes Fell und entspanne. Wenn ich so darüber nachdenke, hat er mich sehr oft zur Geduld ermahnt, weil ich immer alles sofort haben möchte. Ich will meinen Haflinger nicht mehr missen, er ist der Zugang zu meinem Unterbewusstsein. Das Unterbewusstsein schläft nie und ich weiß eigentlich genau, was richtig oder falsch ist.

       Mein Taschen-Haflinger

      Nachtrag: Es gibt keine Zufälle. Nachdem ich meinen Haflinger gefunden hatte, schlenderte ich durch das Erdgeschoß von einem Kaufhaus. Plötzlich blieb ich wie angewurzelt stehen. Vor mir hingen in Augenhöhe Einkaufsbeutel aus Stoff und auf der Vorderseite blickte mich das Ebenbild von meinem Haflinger an, den ich mir in meinen Gedankenspielen genau so visualisiert hatte. Ich kaufte natürlich einen solchen Beutel. Er hängt seitdem mit dem Bild nach vorne bei mir in der Küche. Zum Einkaufen habe ich ihn nie benutzt, weil ich ihn jeden Tag als Bild anschauen will.

       Ein etwas anderer Nachmittag

      Meine Freundin Margit hat Mann und drei Kinder. Es ist ein verregneter Samstag und ich habe Lust, sie zu besuchen, um sie mal aus ihrem Alltag zu entführen. Sie öffnet mir die Haustüre mit fragendem und etwas erstauntem Blick. Nach herzlicher Umärmelung frage ich, was die Familie so macht. Mit einer müden Geste von Margit erfahre ich, dass sie gerade mit ihrem alten Vater Schach gespielt hatte und der vor ein paar Minuten beim Nachdenken über den nächsten Zug eingenickt ist. Ohne weitere Nachfragen von mir erklärt Margit: „Klaus ist im Keller und erweitert seine elektrische Eisenbahn nochmals mit Gleislegung in den Flur. Tochter Ines hat er dabei vergrault, deshalb übt sie jetzt Geige. Die Zwillinge machen heute ausnahmsweise mal etwas getrennt. Elias ist nicht von seinem Computerspiel zu vertreiben und Benni liegt auf seinem Bett und spielt mit Kater Titus.“

      „Na toll. Und wir beide spielen jetzt Ausgehen auf ein Bierchen, zieh eine Jacke über und nimm einen Schirm mit, es regnet immer noch“, sage ich mit Nachdruck.

      Wir entschwinden Richtung einer gemütlichen Kneipe. Wir schließen unsere Schirme und quälen uns durch einen dicken Filzvorhang, der gegen Zugluft und Kälte zwischen Tür und Lokal seit wohl vielen Jahren dort die Leute zählt. Das Lokal ist gut besetzt. Links vom Eingang an einem kleinen Tisch sitzt eine einsame alte Frau mit einer leeren Kaffeetasse und schaut auf den stumm geschalteten Fernseher. Zwei Tische weiter kloppen eifrig vier Männer Skat. Wir steuern das Ende vom Thekenbogen an und quälen uns auf zwei leere Barhocker.

      „Oh, ist das Sitzen gut, sagt der Schneider, obwohl er den ganzen Tag sowieso sitzt“, entfährt es Margit.

      „Wo hast du denn den Spruch her?“, frage ich.

      „Von einem Schneider in Bayern. Hab ich im Urlaub aufgeschnappt.“

      Der Köbes hinter dem Tresen will wissen, was wir trinken wollen.

      „Zwei Mineralwasser“, bestellt Margit.

      „Das ist eine Bierkneipe“, protestiere ich.

      „Ja, wir können doch Biertrinken spielen. Meine Kinder haben, als sie klein waren, auch aus leeren Gläsern und Tassen Trinken gespielt“, sagt Margit.

      Der Köbes entfernt sich kopfschüttelnd und knurrt in Richtung seiner Kollegin: „Die beiden haben wohl schon einiges intus. Nun habe ich die Faxen satt.“ „Bitte zwei Bier“, rufe ich ihm schnell nach.

      „Kommt sofort, Lady“, brummt er.

      Zwei Minuten später stehen die Bierchen frisch gezapft vor uns, nachdem wir zwei dicke Bleistiftstriche auf dem Bierdeckel haben. Plötzlich unterbricht hinter uns eine schimpfende Stimme unsere spielerische Konversation. Seit einer Stunde habe er den Spielautomaten gefüttert, ohne auch nur den kleinsten Gewinn erzielt zu haben, schimpft ein Gast. Ärgerlich bezahlt er seinen Deckel und entschwindet hinter dem schweren, alten Vorhang nach draußen. Wir beide nehmen noch einen tiefen Schluck, schauen uns an, nicken, rutschen von den Hockern und haben es ja nicht weit zum geizigen Automaten. Zwei Seelen – ein Gedanke. Ich wurschtle in meiner Jackentasche und bringe zwei passende Münzen zu Tage, lasse sie in den vorgesehen Schlitz plumpsen und meine: „Jetzt bestellen wir noch zwei Bierchen und warten mal ab, ob dem Automat mein Geld gefällt.“ Wir lassen ihn in Ruhe – er macht so einige kleine Geräusche und plötzlich ein lautes nicht enden wollendes Klappern von herunterfallenden Geldmünzen. So schnell wie jetzt sind wir vorhin nicht von unseren Hockern gekommen. Vom hinteren Tisch der Skatspieler ruft einer sehr laut: „Köbes, zieh den Stecker vom Automat – der ist kaputt – der spuckt.“

      Wir beide grinsen uns an und nehmen Hände voll Münzen aus dem überquellenden Münzfach. „Was machen wir jetzt?“, fragt Margit.

      „Wir bringen etwas Geld an den Skattisch und vorher bezahlen wir davon unseren Deckel, der inzwischen sechs gemeinsame Bierchenstriche hat.“ Vor dem Skatspielertisch lege ich 10 Münzen hin, mit den Worten „damit ihr nicht vor Neid erblasst. Ihr könnt ja den Betrag ausspielen – für den Gewinner.“

      Einer der Spieler nuschelt ein halblautes „wieder mal zwei bekloppte Weiber.“

      „Wir gehen“, raune ich Margit zu und wir eilen zum Ausgang. Am Tisch der alten Frau schauen wir uns an, wieder haben wir den gleichen Gedanken, legen vorsichtig den restlichen Haufen Münzen vor die leere Kaffeetasse und entschwinden schnell durch den Vorhang. Auf dem Heimweg leben wir unsere Fröhlichkeit aus und hüpfen spielerisch auf dem Rathausplatz über die Regenpfützen, während uns das Glockenspiel vom Turm mit klingenden Tönen ermahnt: „Üb immer Treu und Redlichkeit, bis an dein kühles Grab und weiche keinen Finger breit von Gottes Wegen ab.“

       Margarete Gritli Blickensdörfer

       1944 in Homburg/Saar geboren. Sie lebte bei ihren Großeltern, bis sie mit der Einschulung zu ihren Eltern und jüngeren Geschwistern in die Pfalz zog. Als sie selbst eine eigene Familie gründete, nahm sie weitere Pflegekinder auf.

       Mutprobe im Vorschulalter

      Wenn die Großmutter das Enkelkind von Geburt an bis zur Einschulung bei sich behält, es erzieht und liebt, wie ein eigenes Kind, geht es ihm meistens gut. Wenn sie jedoch viel Angst um dieses Kind hat, es könne jederzeit etwas Böses beim Seilspringen oder Ballspielen auf dem breiten Trottoir vorm Haus passieren, dann hindert es die Großmutter daran, sich ins Leben zu spielen.

      Mit diesem Gedanken beschreibe ich ein Erlebnis, wie es mir mit circa fünf Jahren passierte: Wenn ich mit meiner Oma nach draußen gehe, kann es vorkommen, dass mich braves Mädchen, das nur immer mit Oma sichtbar ist, Kinder aus der Nachbarschaft necken: „Du Feigling,