Alexander Hartung

Die Rache des Inquisitors


Скачать книгу

überwucherten Zaun. Einzig ein kleines Gatter war von den Pflanzen befreit und führte in einen gepflegten Vorgarten, in dem Gemüse und Kräuter wuchsen. Ohne zu zögern, betrat Liborius das kleine Anwesen und blieb vor einer Hütte stehen. Er stellte seine Lampe ab und begann, an die Tür zu klopfen. Das Geräusch hallte laut durch den stillen Wald, aber der alte Mann hämmerte weiter an das Holz, bis er innen Schritte hören konnte.

      Kurz darauf öffnete sich die Tür, und die Lampe beschien das Gesicht einer alten Frau, die den Mann vor ihrer Tür verwirrt und müde anblinzelte. Als sie Vater Liborius erkannte, machte sie ein verärgertes Gesicht.

      »Liborius, ich hoffe, du raubst mir nicht nur wegen deiner Schmerzen im Knie den Schlaf, ansonsten …«

      »Ich muss mit dir reden, Agnes«, unterbrach der Priester die Frau und drängte sich an ihr vorbei in die kleine Hütte. Drinnen angekommen, setzte er die Lampe auf einen Tisch und begann, unruhig auf und ab zu gehen.

      Noch bevor Agnes die Tür ganz geschlossen hatte, sprach er weiter. »Die Inquisition ist in Reheim angekommen«, sagte er und rieb sich nervös die Hände. Ganz offensichtlich hatte er die Frau mit dieser Ankündigung überrascht, denn ihr Blick wurde ernst. Sie schien viele Fragen zu haben, aber sie ließ den alten Mann weitererzählen.

      »Sie waren kaum eingetroffen, als sie mich schon zu ihnen gerufen haben«, fuhr Liborius fort. Der Priester sprach sehr schnell, was er nur tat, wenn er aufgeregt war. Agnes setzte sich auf einen Stuhl und lauschte den Worten im Schein der Lampe.

      »Sie haben sich im Wirtshaus beim alten Rainald niedergelassen. Ich war kaum eingetreten, als sie mich über die Bürger Reheims ausfragten. Zuerst sehr allgemein. Ob es Vorfälle von Hexerei oder Ketzerei gegeben hat. Ob es Einwohner gibt, die schlecht über die Kirche reden, den Namen Gottes beschmutzen oder den Gottesdiensten fernbleiben. Ich habe alles verneint und gesagt, dass hier nur ehrenwerte Bürger wohnen, die sich keine Freidenkerei zuschulden haben kommen lassen. Trotzdem fragten sie weiter. Sie wollten alles über den Stadtrat wissen und über die alleinstehenden, unverheirateten Frauen in Reheim.«

      »Hast du ihnen denn Namen genannt?«, fuhr Agnes dazwischen.

      »Nein«, antwortete Liborius. »Das musste ich gar nicht. Sie kannten unseren Stadtrat und wussten, welche Frauen in Reheim allein leben.«

      Agnes rieb sich müde über die Augen. »Das sind beunruhigende Nachrichten, Liborius, aber warum kommst du damit mitten in der Nacht zu mir?«

      »Sie haben mich auch nach dir gefragt«, antwortete Liborius ernst.

      Wenn Agnes überrascht war, ließ sie es sich nicht anmerken. »Nun, das ist nicht verwunderlich, denn wie du weißt, bin ich alleinstehend und war auch nie verheiratet. Also, warum wunderst du dich, dass sie auch nach mir fragen?«

      »Dein Name fiel als erster, und ich musste ihnen alles sagen, was ich über dich weiß.«

      Agnes wollte zu einer Frage ansetzen, aber Liborius sprach schnell weiter.

      »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich habe ihnen erzählt, dass du eine ehrbare Frau bist, deren Heilkünste schon viele Leben gerettet haben.«

      Agnes grunzte nur mürrisch, enthielt sich aber eines Kommentars.

      »Natürlich habe ich von deiner Arbeit im Mainzer Hospiz berichtet und von der Unterweisung, die du in dieser Zeit von den Schwestern erhalten hast.«

      »Und du denkst, das hat die Inquisition von meiner Reinheit überzeugt?«, fragte Agnes scharfzüngig.

      »Es gibt keinen Grund, an meinem Wort zu zweifeln«, sagte Liborius etwas beleidigt.

      Agnes richtete kurz die Augen zum Himmel und schüttelte den Kopf.

      »Du glaubst also, dass sich die Inquisitoren ausschließlich auf deine Aussagen verlassen, wenn es um die Beurteilung des Gottesglaubens der Bürger Reheims geht?«

      »Wem sonst sollten sie vertrauen? Auch wenn sie noch andere befragen, sie werden kaum zu einem anderen Urteil kommen.«

      »Du redest von den gleichen Bürgern, die mich als verrückte Einsiedlerin und alte Hexe bezeichnen?«

      »Du kennst doch die Leute. Das ist nicht ernst gemeint. Auch wissen längst nicht alle so gut wie ich um deine Fähigkeiten und dass du nicht schlecht über Gott und die Kirche sprichst.«

      Agnes lächelte verschmitzt und schien sich eine bissige Bemerkung nur mit Mühe verkneifen zu können.

      »Und wenn du dir so sicher bist, dass deine Meinung wesentlich für die Inquisitoren ist, dann frage ich dich, woher sie so viel über die Bürger Reheims wissen?«

      »Sie werden vorher Erkundigungen eingezogen haben …«

      »Erkundigungen bei wem?«, fuhr Agnes dazwischen. »Ich habe in den letzten Wochen keinen Inquisitor hier herumlaufen und Leute befragen sehen. Dich haben sie nicht aufgesucht und sicher auch niemanden vom Stadtrat, daher frage ich dich, wer hat die Inquisition auf uns hingewiesen? Woher wissen sie, was sie wissen?«

      »Ich habe keine Ahnung«, antwortete Liborius unsicher.

      »Wer immer die Inquisition aufgesucht hat, hatte nichts Gutes im Sinn. Es geht doch niemand einfach so zu diesen Männern und erzählt ihnen, wie sehr oder nicht so sehr ehrfürchtig und gottesgläubig die Menschen in Reheim sind.«

      Liborius schwieg einen Moment, doch dann straffte er die Schultern und fuhr fort.

      »Hier leben nur anständige Leute«, sagte er selbstsicher. »Selbst wenn die Inquisitoren böswillig ausgesprochenen Beschuldigungen nachgehen, so werden sie nichts finden, was ihren Unmut erregen wird.«

      Agnes seufzte. Dann stand sie auf und fachte das Feuer in dem kleinen Ofen an.

      »Ich habe deine Meinung schon immer geschätzt«, sagte Agnes und stocherte mit einem Stock in der Glut herum, »aber ich bin überrascht, wie groß dein Vertrauen in die Redlichkeit der Inquisition ist.«

      »Es sind Männer Gottes«, versuchte Liborius, sich zu rechtfertigen.

      »Aber sie wären nicht gekommen, wenn sie nicht schon jemanden der Ketzerei verdächtigen würden. Deine Befragung diente bestenfalls zur Bestätigung ihrer Vermutungen. Wahrscheinlich haben sie dich nur gerufen, um den Schein zu wahren.«

      »Aber es gab hier keine Fälle von Ketzerei, Unzucht oder Hexentum …«

      »Ich fürchte, es ist im Grunde nicht wichtig, ob es diese Fälle wirklich gibt. Die Beschuldigungen, die der Inquisition zugetragen wurden, waren schwerwiegend genug, dass sie hierhergekommen sind. Glaubst du denn tatsächlich, dass sie einfach unverrichteter Dinge wieder wegfahren, nur weil sie auf den ersten Blick keine ketzerischen Umtriebe entdecken?«

      »Aber hier gibt es keine Häresie«, fuhr Liborius auf.

      »Schon gut«, unterbrach Agnes den Priester kopfschüttelnd. Sie rieb sich müde über die Augen. Dann wurde ihr Gesichtsausdruck wieder milder. »Wenn du schon den langen Weg auf dich genommen hast, um mitten in der Nacht zu einer allein lebenden Frau in den Wald zu schleichen, dann kann ich uns auch gleich einen Kräuteraufguss machen.«

      Liborius stand noch immer sichtlich angespannt vor dem Tisch.

      »Jetzt setz dich endlich, Liborius, und werde wieder ruhiger«, sagte sie milde. »Wir alten Leute brauchen sowieso wenig Schlaf, und wenn du mich jetzt schon aus dem Bett geholt hast, dann können wir uns auch weiter unterhalten.«

      Liborius lächelte die Frau an und setzte sich an den Tisch. Seine Aufregung legte sich, als er Agnes zusah, wie sie Kräuter in ein kleines Gefäß gab und mit dem Stößel zerrieb. Er wollte bald wieder zurückgehen, aber für einen Schluck von Agnes’ wohlschmeckendem Kräuteraufguss würde er sich noch Zeit nehmen.

      Rainald rannte mit seiner Frau und dem Stallburschen hektisch im Stall umher. Sie hatten sich schon zu Bett begeben, als die Soldaten an seine Tür gehämmert hatten. Er hatte den Stall öffnen und den Soldaten beim Satteln ihrer Pferde helfen müssen. Der Wirt konnte sich vor Müdigkeit kaum