Herbert Marcuse Kapitalismus und Opposition Vorlesungen zum eindimensionalen Menschen Paris, Vincennes 1974 Herausgegeben von Lisa Doppler, Peter-Erwin Jansen und Alexander Neupert-Doppler Mit einer Einleitung von Roger Behrens © 2017 zu Klampen Verlag ∙ Röse 21 ∙ 31832 Springe Umschlaggestaltung: Groothuis. Gesellschaft der Ideen und Passionen mbH · Hamburg, unter Verwendung eines Marcuse-Portraits (© Ulf Andersen) Satz: Germano Wallmann · Gronau · www.geisterwort.de Druck: Bookfactory Buchproduktion GmbH · Bad Münder ISBN 978-3-86674-688-6
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.dnb.de› abrufbar. Inhalt Um der Hoffnungslosen willen. Marcuses kritische Theorie der Praxis Roger Behrens
Die Pariser Vorträge. Globaler Kapitalismus und radikale Opposition
1 Monopolkapitalismus und Opposition
2 Die Ideologie der postindustriellen Gesellschaft
3 Integration ins etablierte System
5 Neoimperialismus und Klassenkonstitution
7 Kritisches Bewusstsein und Revolte
Die »entfremdete Arbeit« durch Kreativität ersetzen. Interview mit Herbert Marcuse, »Le Monde« 1974
Verschwunden, aber nicht vergessen. Die Reformuniversität Vincennes Lukas Wieselberg
Herbert Marcuse – Nachgelassene Schriften
Zurück nach Paris1 Vorwort Die Anekdote, dass Herbert Marcuse ausgerechnet am 1. Mai 1968 in Paris eintraf und dann von dort am 12. Mai nach Berlin weiterreiste, ist bekannt und wurde immer wieder, vor allem in der bürgerlichen Presse jener Zeit, zu einer Art öffentlichem Geheimnis stilisiert.2 So, als ob die zufällige Anwesenheit des Theoretikers irgendwie die politischen Proteste und Barrikadenkämpfe des sogenannten Pariser Mai ausgelöst hätte, um dann weiterzureisen zu den Revoltierenden nach Berlin oder Berkeley. Marcuse hat freilich die Besetzung der Universität Sorbonne am 3. Mai, die Barrikadenkämpfe am 10. Mai und die wilde Streikbewegung ab dem 14. Mai teilweise als Augenzeuge miterlebt und die weiteren Ereignisse durchaus kritisch zur Kenntnis genommen. Ein Jahr später schreibt er 1969 in seinem Versuch über die Befreiung über die soziale Kraft der Fantasie, wie sie sich in der Wandparole »Die Phantasie an die Macht« an der besetzten Sorbonne ausdrückte: »Die Phantasie solcher Männer und Frauen würde ihre Vernunft bilden und tendiert dazu, den Produktionsprozeß zu einem Schöpfungsprozeß zu machen. Dies ist die utopische Konzeption des Sozialismus. […] Sie war die großartige, reale transzendierende Kraft, die idee neuve bei der ersten machtvollen Rebellion gegen das Ganze der bestehenden Gesellschaft, der Rebellion für die totale Umwertung der Werte, für qualitativ andere Lebensweisen: der Mai-Rebellion in Frankreich.«3 Die letzten zehn Jahre seines Lebens, bis zu seinem Tod am 29. Juli 1979, wurde dieser Kampf um qualitativ andere Lebensweisen zum bestimmenden Thema seiner Philosophie und Veröffentlichungen. Gespeist von älteren Arbeiten, etwa seiner Studie zu Freud Triebstruktur und Gesellschaft (1955) oder seiner Kritik des Sowjetmarxismus (1958), entstanden die vielgelesenen Schriften über Repressive Toleranz (1970), Konterrevolution und Revolte (1972), Marxismus und Feminismus (1974) und das Scheitern der Neuen Linken? (1975). Das Buch jedoch, das in den sozialen Kämpfen dieser Zeit am stärksten wirkte und rezipiert wurde, war zweifellos Der eindimensionale Mensch von 1964. Zehn Jahre nach dessen Erscheinen und sechs Jahre nach dem Pariser Mai kehrte Marcuse nach Paris zurück, um zwischen dem 10. April 1974 und dem 10. Mai 1974 insgesamt sieben Vorlesungen am Vincennes-Campus der Universität Sorbonne zu halten. Mitschriften dieser Vorlesungen, die Peter-Erwin Jansen, einer der fünf Direktoren der Internationalen Herbert-Marcuse-Gesellschaft (Sektion Europa), im Marcuse-Archiv entdeckt hat, werden hier erstmals in deutscher Sprache veröffentlicht und damit der philosophischen und politischen Diskussion zugänglich gemacht. Jansen und sein amerikanischer Kollege Charles Reitz hatten diese Dokumente 2015 unter dem Titel Paris Lectures in den USA publiziert. Die Übersetzung ins Deutsche, die in diesem Band unter dem Titel Kapitalismus und Opposition – Vorlesungen zum eindimensionalen Menschen vorliegt, besorgten Lisa Doppler und Alexander Neupert-Doppler. Von Lisa Doppler stammt außerdem die Übersetzung des Interviews aus dem Französischen, das Herbert Marcuse am 10. Mai 1974 der Zeitung »Le Monde« gegeben hat. Roger Behrens, ein ausgewiesener Experte der Kritischen Theorie im Allgemeinen und der Gesellschaftskritik Marcuses im Besonderen, leistet in seinem Beitrag eine erhellende Einordnung der Pariser Vorträge in den Kontext von Marcuses Gesamtwerk. Wir sind ihm dankbar für die Unterstützung des Projekts, über dessen Hintergründe und Bedeutung wir uns im Folgenden äußern.