Herbert Hoffmann

Esoterische Osteopathie (1908)


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Weite des osteopathischen Suchens

      Osteopathie zu definieren bedeutet auch stets jene humanistisch-philosophische Fragen mit einzuschließen, die sich seit Jahrtausenden stellen. Stills Interpretation wurde als Grundlage der Betonung zweier Aspekte herangezogen: des Fassbaren, Kontrollierbaren im Leben (repräsentiert in der deterministischen Wissenschaft) und des weniger Fassbaren bzw. Unfassbaren (repräsentiert durch Esoterik und Metaphysik). Somit ergibt sich ein Spannungsfeld zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten, zwischen dem Empirischen und dem Mysteriösen. In einer weiteren Ansprache, die zumeist nicht in diesem Zusammenhang genannt wird, beleuchtet Still sein Ringen um das Verständnis der Lebensaspekte allgemein und bezogen auf die Natur der Person im Patienten. Er diskutiert dabei auch das offensichtliche Mysterium von Leben und Tod:

       »Als ich das große Thema Osteopathie betrachtete und mich mit den Werken Gottes vertraut machte, des ›Unerkennbaren‹…

       Nimm die Hand eines Menschen, sein Herz, seine Lungen oder die ganze Kombination, und es geht ins Unerkennbare. Ich wollte, dass dies zu dem Erkennbaren gehörte.

       Meine erste Entdeckung war diese: Jeder einzelne Streich Gottes war für mich das Unerkennbare.

       Der Streich des Todes, was wisst Ihr darüber? Ich weiß nichts, also ist er unerkennbar.« 11

      Hier drückt Still, der pragmatische Anatom und Erfinder, seinen Respekt und Wissensdrang bezogen auf die Grenze zwischen Wissenschaft, Metaphysik und Religion. Hier argumentiert er ganz im Sinne Herbert Spencers (1820 – 1903)12, was noch viel zu wenig gewürdigt wird.

      Spencer, einer der populärsten Philosophen seiner Zeit, nimmt zu dieser Thematik Stellung, was insofern von Bedeutung ist, da er ein systemischer Philosoph war, d. h. er versuchte stets generelle Aussagen auf alle Aspekte des Lebens zu übertragen. So umfasst seine Arbeit spekulative Philosophie ebenso wie Physik, Biologie, Soziologie und andere Gebiete, wobei darin enthaltene Hypothesen zu Interaktionen auf den Fundamenten der Newtonschen Physik ruhen. Tatsächlich beschreibt er das Verhältnis zwischen Bekanntem und Unbekannten ebenso, wie Still das später tat.

      In seinem epochalen Werk Die Ersten Prinzipien der Philosophie nähert er sich der Wissenschaft des Bekannten zunächst durch eine Unterscheidung zum Unbekannten, welches er als »Absolutes, welches nicht nur das menschliche Wissen, sondern auch und dessen Konzeption transzendiert«, beschreibt. Im Unterschied hierzu beschreibt er die »Gesetze des Unbekannten als Ausprägung der ultimativen Prinzipien sämtlicher Manifestationen dieses Absoluten.«

      Stills Sprache zufolge war er sich dieser Thematik wohl bewusst. Als Aussöhnung der Gegensätze entwirft er das Konzept des Körpers als begreifbarer Ausdruck eines Schöpfers (der Natur). Spencer hingegen behauptet, dass ein vollständiges Verständnis der Natur weder durch spirituelle Erleuchtung noch durch empirische Studien möglich sei.

       »Wie zuvor implizit gesagt, besitzen sie keine eher materialistischen oder eher spiritualistischen Implikationen. Der Aufbau der Korrelation und Äquivalenz zwischen den Kräften der äußeren und der inneren Welt dient dazu, die einen den anderen anzupassen, wie wir mit dem einen oder anderen Begriff gestartet sind. Doch wer die Lehre in diesem Werk angemessen interpretiert, wird erkennen, dass keiner dieser Begriffe als letzter fungieren kann. Er wird begreifen, dass zwar die Relation von Subjekt und Objekt die antithetischen Konzeptionen von Geist und Materie erforderlich macht. Gleichwohl ist weder die eine noch die andere mehr als ein Zeichen der Unerkennbaren Wirklichkeit, die ihnen beiden zugrunde liegt.

       »Er wird begreifen, dass zwar die Relation von Subjekt und Objekt die antithetischen Konzeptionen von Geist und Materie erforderlich macht. Gleichwohl ist weder die eine noch die andere mehr als ein Zeichen der Unerkennbaren Wirklichkeit, die ihnen beiden zugrunde liegt.« 13

      Still, Spencer und Coues suchen darüber hinaus nach einem Weg, um »jene unbekannte Realität, die hinter Beidem steht« zu erklären. Am Ende seines Kapitels über Biogen bzw. Lebenskraft schließt Still:

       »Wir haben nun ein paar Gedanken auf den Lauf des Lebens verwendet, in der Hoffnung, dass der Osteopath dieses Thema wieder aufnehmen und ein paar Meilen weiter reisen wird zum Ursprung dieser großen Quelle des Wissens, und dass er die Ergebnisse zur Erleichterung für die Leidenden anwenden kann, die bei ihm Rat und Hilfe suchen.« 14

      Das Lesen von Hoffmann scheint sich im vorliegenden Werk genau auf diesen Text zu beziehen. Seine Esoterische Osteopathie und ihre Bedeutung für die Behandlung des Verstandes (individuelle Bewusstheit) und des Geistes (absolute Bewusstheit eines Schöpfers) ist ein weiterer Versuch das oben erwähnte Spannungsfeld anzugehen.

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