Dana Schwarz-Haderek

Equinox


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      »Nichts … vergiss mich nicht!«, bat er plötzlich innigst.

      So ein Blödsinn! Als müsste er sich Sorgen machen, dass ich ihn vergessen könnte. Es wäre wahrscheinlich nachvollziehbarer, wenn ich Angst hätte, dass mein wunderschöner, liebenswerter, unglaublich attraktiver Robert zu viel Anklang bei den englischen Damen fände.

      »Niemals!«, versicherte ich ihm.

      »Gut!«, erwiderte er mit einem ziemlich schiefen Lächeln.

      Mist! Unten riefen meine Eltern nach mir. Ich wollte ungern mit Robert beim Skypen entdeckt werden, ehe ich ihnen von ihm erzählt hatte.

      »Ich muss jetzt leider aufhören«, teilte ich ihm ehrlich enttäuscht mit.

      »Love you!«, erwiderte er einfach und schenkte mir ein schüchternes Lächeln. Dann küsste er seinen Zeige- und Mittelfinger und berührte damit seine Kamera. Ich liebte seine kleinen zärtlichen Gesten.

      »Ich dich auch!«, sagte ich und klickte schweren Herzens auf den Auflegebutton.

      Versonnen lächelnd fixierte ich noch eine Weile meinen Bildschirm, während das Rufen von unten ungeduldiger wurde. Seufzend fuhr ich den Laptop runter und ging zu meinen Eltern hinab, die mich zu einer Runde Scrabble baten. Nun gut, warum nicht. Daniel war mit einem Freund zum Training gegangen und würde sicher nicht vor zweiundzwanzig Uhr zurück sein.

      Wir hatten einen schönen Abend zusammen, tranken eine Flasche Rotwein und ich erfuhr die letzten Neuigkeiten aus dem Bekannten- und Verwandtenkreis, als plötzlich das Telefon klingelte. Meine Mutter nahm ab und kam kurz darauf wieder an den Spieltisch zurück, während mein Vater und ich gemeinsam herumalberten.

      »Florians Auto springt nicht an. Seine Eltern sind gerade im Urlaub und können nicht helfen. Nun kommen Daniel und Florian nicht aus Weimar weg. Einer von uns soll sie nun abholen kommen.«

      »Das kann ich ja machen«, schlug ich vor, denn ich hatte im Gegensatz zu meinen Eltern nur ein Glas Wein getrunken und noch viel Wasser dazu. Ich war definitiv die einzige, die noch fahren konnte.

      »Das wäre prima«, sagte mein Vater. »Nimm den Audi, dann bist du schnell wieder da.«

      »Okay. Bis dann!«, rief ich und holte das Auto aus der Garage. Auf dem Weg nach Weimar hörte ich eine Edvard-Grieg-CD meines Vaters. Bei der Peer Gynt Suite drückte ich auf Endloswiederholung. Ich liebte dieses Stück über alles.

      Nach zwanzig Minuten rollte ich über den knirschenden Kies auf dem Parkplatz von Daniels Ringerklub. Daniel und Florian, Daniels Trainingskamerad und Schulfreund, waren nirgends zu sehen. Anrufen brauchte ich die beiden auf ihren Handys auch nicht, um ihnen mitzuteilen, dass ich da wäre, denn eigenartigerweise hatten sie in ihrem Klubgebäude nie Empfang. Das gefiel mir alles nicht besonders, denn so war ich gezwungen, auszusteigen und in das Trainingsstudio hineinzugehen. Das würde wieder nicht ohne anzügliche Kommentare testosterongeladener, schwitzender Männer, die sich selbst unwiderstehlich fanden, ablaufen. Wie ich das hasste! Seufzend gab ich mir einen Ruck und stieg aus.

      Die warme, feuchte Luft im Studio traf mich wie eine Wand. Ein Übermaß an verschiedenen Gerüchen schwappte gleich hinterher. Verschiedene Nuancen Aftershave waren da noch das harmloseste, denn diese waren gepaart mit dem Kunstledergeruch der Bodenmatten, abgestandener Luft, Schweiß und einigem mehr, das ich nicht näher bestimmen konnte und wollte. Mir wurde leicht übel.

      Daniel und Florian waren nicht zu sehen. Na super! Jetzt musste ich auch noch entweder den Raum durchqueren, um sie zu suchen, oder einen der schwitzenden Kolosse ansprechen. Ich wünschte mir, dass ich diejenige gewesen wäre, die den meisten Wein getrunken hätte. Stattdessen drückte ich mich unentschlossen in der Tür herum und überlegte, wie ich dieser Situation am schnellsten wieder entkommen könnte. An einer Hantelbank entdeckte ich einen Freund von Daniel, der auch schon ein paar Mal bei uns zu Hause war. Wenn ich zu ihm wollte, musste ich einmal durch das gesamte Studio gehen. Ich atmete tief ein – ein kolossaler Fehler, denn sofort stieg die Übelkeit noch drängender in mir auf – und lief los, ohne nach links und rechts zu schauen. Der erste pfiff mir hinterher und lenkte so die Aufmerksamkeit der anderen auf mich. Oh nein, ich kam mir vor wie ein in die Enge gedrängtes, für alle Blicke entblößtes Tier. Noch fünf Schritte …

      »Hallo Alex, weißt du, wo Daniel und Florian sind?«, sprach ich den Mann an der Hantelbank an. Alex war ein wirklich netter Kerl, aber beim besten Willen keine Schönheit. Er hatte ein etwas zu breites Gesicht und derbe Züge, die nur durch seine immer lachenden Augen gemildert wurden. Verschwitzt und hochrot, wie er gerade war, machte er einen eher furchterregenden statt vertrauenswürdigen Eindruck. Die Pfiffe und zweideutigen Kommentare um mich herum nahmen zu, als die anderen sahen, dass ich mit Alex sprach. Nun galten die derben Witze nicht mehr nur mir allein, sondern schlossen auch Alex ein.

      »Hallo Elisabeth. Was machst du denn hier?«, Alex setzte seine Hanteln ab und schaute mich verwundert an.

      »Ich suche Daniel und Florian«, wiederholte ich mit dünner Stimme. Ich wollte hier nur noch raus! Langsam keimte Wut in mir. Daniel konnte sich auf eine Menge Ärger gefasst machen, mich hier so hängen zu lassen! Das stand fest!

      »Die sind noch duschen, denke ich. Ich gehe mal nachschauen«, er guckte mich aufmunternd an und lief los.

      »Danke«, murmelte ich voller Unbehagen. Er konnte mich doch nicht allein hier in der Höhle des Löwen lassen! Mitkommen war aber auch keine Option. Ich konnte schließlich schlecht selbst in einer Dusche ausschließlich für Herren nachsehen …

      Die Tür, in der Alex verschwunden war, hypnotisierend, versuchte ich meine Umgebung auszublenden und konzentrierte mich darauf, gleichmäßig und vor allem flach zu atmen, um mich nicht von dem Übelkeit verursachenden Geruch übermannen zu lassen.

      Ich musste glücklicherweise nicht lange warten. Nur Sekunden, nachdem Alex im Umkleidebereich verschwunden war, kam er mit Daniel, Florian und einige Schritte dahinter mit einem unbekannten Blonden zurück.

      »Hi, Elisabeth«, nickte Florian mir zu.

      »Hallo Schwesterlein, klasse, dass du uns abholst! Wir waren noch schnell in der Sauna, damit wir während der Wartezeit nicht sinnlos auf dem Parkplatz herumstehen mussten«, erklärte mir mein sorgloser Bruder, als wäre dies das Naheliegendste der Welt. Ich funkelte ihn wütend an und deutete den beiden an, mir zu folgen. Ich wollte einfach nur raus. Der Blonde schaute mich die ganze Zeit interessiert mit leicht geneigtem Kopf an. Wie auf der Fleischbeschau, schoss es mir durch den Kopf. Ich bedachte auch ihn mit einem vor Ärger glühenden Blick und eilte Richtung Ausgang.

      Vor dem Studio stellte ich fest, dass der Blonde uns immer noch folgte und auch Richtung Auto hinterher kam. Wütend und fragend schaute ich Daniel am Auto angekommen an, als Mr. Blondschopf an Daniel gewandt, aber mich fixierend, zu Sprechen begann: »Möchtest du mich gar nicht vorstellen?«

      »Elisabeth, das ist mein neuer Trainer Stephen. Stephen, meine Schwester Elisabeth«, vermittelte mein Bruder unbeeindruckt.

      »Elisabeth. Hoch erfreut!«, antwortete der gegelte Blondschopf anzüglich und drückte mir doch tatsächlich einen eklig feuchten Kuss auf den Handrücken. Ich atmete scharf ein. Wo gab es denn so etwas? Ich war entsetzt und kochte nun komplett vor Wut. Höfliche Entgegnungen verkniff ich mir und zog stattdessen ganz uncharmant meine Hand schnell zurück und wischte sie mir demonstrativ an meiner Hose ab. Widerlich!

      Der Blonde grinste mich anzüglich mit Gewinnermiene an und ich funkelte empört zurück. Was bildete der sich eigentlich ein?

      »Einen schönen Abend noch!«, sagte er dann und fügte an mich gewandt hinzu: »Es war mir eine Ehre. Ich hoffe, du kommst jetzt häufiger hier vorbei. Schöne Mädchen, die uns beim Training bewundern, können wir immer gut gebrauchen.«

      Meine Brechgrenze war fast erreicht. Konnte es noch schlimmer werden? Ich wies die Jungs an, einzusteigen und schlug selbst grußlos die Fahrertür hinter mir zu.

      »Alles okay, Eli?«, fragte mein fröhlicher Bruder.

      »Nein! Nichts ist okay! Und wer war überhaupt dieser Kotzbrocken?«,