Dana Schwarz-Haderek

Equinox


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Stöhnen. Kaum hörbar. Mir schossen augenblicklich die Tränen in die Augen. Meinen eigenen Schmerz vergessend, wollte ich nur noch seinen erleichtern. Was gäbe ich darum, ihn jetzt in meinen Armen zu halten und seine Pein mit federleichten Küssen hinweg zu küssen! Zu wissen, dass er genauso litt wie ich, war für mich noch viel schwerer zu ertragen, als mein eigenes Elend.

      »Ich liebe dich auch!«, wisperte ich mit letzter Kraft.

      »Bis bald!«, ächzte er kaum mehr erkennbar mit rauer, leiser Stimme.

      »Versprochen!«, verabschiedete ich mich, nur noch mühevoll den letzten Rest meiner Fassung bewahrend.

      Robert legte auf. Ich hörte dem tutenden Freizeichen noch lange zu. Das Telefon an mein Ohr gepresst, liefen mir die Tränen noch einmal hemmungslos die Wangen hinunter. Ich versuchte mein Schluchzen in meinem Kissen zu ersticken. Kristin sollte mich heute Abend nicht noch einmal weinen hören. Ich wollte allein sein. Nach einer Ewigkeit schlief ich ein, das Telefon noch immer am Ohr … als bliebe er bei mir, solange ich selbst nicht auflegte.

       11

      Ich erwachte wenige Sekunden, bevor mein Wecker klingelte. Orientierungslos schaute ich mich um. Als das eindringliche Piepen meines Weckers die schwerelose Stille um mich herum zerriss, schaltete ich ihn schon fast verärgert aus. Aber die wohltuende inhaltsleere Ruhe wollte nicht zurückkehren. Außerdem bohrte sich irgendetwas schmerzhaft in meine rechte Schulter. Genervt wühlte ich in meinem Bett und fand mein Handy. Während ich es ungläubig anstarrte, fiel mir das Telefonat mit Robert am vergangenen Abend ein. Wo er jetzt wohl war? Ich spürte, wie sich schon wieder Tränen in meinen Augen sammelten. Tapfer versuchte ich, sie gemeinsam mit dem immer noch vorhandenen großen Kloß in meinem Hals herunterzuschlukken.

      Ich musste aufstehen und in die Uni gehen. Jetzt. Die Routine am Tag mechanisch zu bewältigen, hatte ich schließlich schon in der letzten Woche gelernt. Nur hatte sich die Lage der Dinge im Vergleich zur letzten Woche erheblich geändert. Eigentlich müsste ich mich mit dieser Einsicht viel besser fühlen. Aber es gelang mir nicht. Missmutig schlich ich ins Bad und putzte mir die Zähne. Nachdem ich mich angezogen hatte, machte ich mir in der Küche einen English Breakfast Tee. Twinings natürlich. Was sonst! Doch selbst dieser wollte mir heute nicht schmecken. Ich steckte mir noch einen Apfel ein. Den konnte ich ja unterwegs in der Straßenbahn essen. Als ich mir gerade die Schuhe zuband, kam Kristin verschlafen aus ihrem Zimmer geschlurft.

      »Guten Morgen«, murmelte ich.

      »… Morgn … Oje! Du siehst ja schrecklich aus! Hast Du überhaupt geschlafen?« Kristin sah mich entsetzt an. Was hatte sie nur? Ich sah doch nicht anders aus als sonst.

      Ich sah sie fragend an und zuckte mit den Schultern.

      »Mensch Eli, ich habe dich noch nie so gesehen! Komm mal her.« Und ehe ich mich versah, umarmte sie mich und sagte: »Nicht vergessen! Arme Ritter! Heute Abend machen wir Soul Food!«

      Ich nickte nur stumm und wand mich schnell aus ihrer Umarmung heraus. Wenn ich jetzt nicht schnell verschwand, würde ich nur wieder weinen.

      »Mach’s gut«, nuschelte ich und schloss schnell die Wohnungstüre hinter mir.

      Als ich unten ins Freie trat, schlug mir die neblig-feuchte, kalte Oktobermorgenluft ernüchternd entgegen und half mir, meine Gefühle vorübergehend zu zügeln. Schnell eilte ich zur Straßenbahn. Vor mich hinbrütend versuchte ich verzweifelt, die schon fast unwirklich erscheinende unbeschwerte, glückliche Stimmung meines ersten und für lange Zeit einzigen gemeinsamen Wochenendes mit Robert wieder einzufangen.

      Als ich in der Beethovenstraße ankam, bot sich mir das aus der letzten Woche gewohnte Bild. Gleich einem Bienenstock schwirrten die Studenten im Hörsaal umher, der sich zunehmend füllte. Die Lautstärke, ähnlich einer summenden Welle, schloss sich über mir und ließ mich bis zum Vorlesungsbeginn wie unter einer Glocke sitzend von Robert träumen. Das Verlangen, ihm nahe zu sein, zerriss mir fast die Brust. Dieses Chaos von Gefühlen war ich einfach nicht gewohnt. Alles war so neu! Einerseits hätte ich vor Glück die Welt umarmen können. Andererseits war ich tieftraurig und konnte mir kaum vorstellen, wie ich durch die nächsten Wochen kommen sollte.

      Die Vorlesung verging wieder erstaunlich schnell. Professor Rosenberg zeigte zunehmend die Gabe, die Massen subtil, aber effektiv zu disziplinieren und durch ihre unaufgeregte, kompetente Vortragsweise zum Zuhören zu motivieren. Mit einem augenzwinkernden Hinweis auf das kurz bevorstehende Allerheiligen bzw. für die Vorlesungszwecke besser passende Halloween leitete sie ins heutige Thema ein. Ich hatte mir in der vergangenen Woche die Texte für die nächsten Veranstaltungen in der Bibliothek kopiert und konnte so ihren Analysen zu Washington Irvings »The Legend of Sleepy Hollow« gut folgen. Erstaunlich, schoss es mir dabei durch den Kopf, dass die Geschichte nicht wirklich viel mit dem angeblich auf ihr basierenden, gleichnamigen Film zu tun hatte, den ich irgendwann einmal im Kino gesehen hatte. Mit dem Hinweis, die Textbesprechung in der nächsten Vorlesung fortsetzen zu wollen, verabschiedete sie sich, und ich schnappte mir schnell meine Sachen, wohl wissend, dass die Zeit, um zu meinem Linguistikseminar mit Jason und Theresa zu gelangen, gerade ausreichend war. Der Gedanke an Jason und Theresa hob meine Stimmung beträchtlich. Die beiden waren schon letzte Woche eine gute Ablenkung und ich freute mich auf ihre frische, unbeschwerte Art. Ich eilte durch den niedergehenden Nebel. Das Wetter war wieder von der Ohne-Robert-Sorte. Irgendwie seltsam, diese Analogie …

      »Hallo ihr zwei!«, begrüßte ich Jason und Theresa, die, die Köpfe zusammengesteckt, vertraut miteinander erzählten, als ich zu ihnen stieß. Komisch, dass sie kein Paar waren. Sie passten so gut zueinander. Nur hatte das Theresa bisher wohl nicht bemerkt. Jasons Begeisterung für Theresa war dagegen für jeden offensichtlich, … außer eben für Theresa.

      »Hi, na, wieder aufgetaucht?«, zwinkerte Theresa mir zu.

      »Hallo Elisabeth«, erwiderte Jason freundlich meinen Gruß.

      »Wie war das Konzert von Midnight Ego? Erzählt mal«, forderte ich meine beiden Kommilitonen und Freunde ohne Umschweife auf. Um die unvermeidlichen Fragen nach Robert und mir zu vermeiden, ging ich lieber in die Offensive und versuchte, das sich entwickelnde Gespräch von vornherein in für mich sicherere Gewässer zu steuern.

      »Oh, cool! Die haben die Menge noch mal richtig gerockt. Unglaublich! Dabei war die Stimmung bei Alluvial Forest schon zum Überkochen. Aber Midnight Ego haben echt noch eins draufgesetzt! Eigentlich schade, dass ihr das verpasst habt!«, schwärmte Theresa.

      »Ja, das war echt mega!«, bestätigte Jason und fügte hinzu: »Sie haben fünf Zugaben gespielt. Drei davon waren noch unreleased.«

      »Und das Allerbeste war, das wir dank Charlotte danach mit zur Aftershowparty durften! Und da ging es erst recht ab!«, sprudelte Theresa begeistert hervor.

      »Wir waren erst um vier Uhr dreißig zu Hause …«, erzählte Jason.

      »Dort sind wir gar nicht erst ins Bett gegangen, sondern haben noch miteinander erzählt, bis es hell wurde«, beendete Theresa Jasons Satz und schaute ihn dabei auf eine Weise an, die nicht mehr nur rein freundschaftlich war. Vielleicht war da doch mehr, als ich bisher wusste? So wie Jason Theresa anbetete, würde ich ihm das Glück, mit ihr voranzuschreiten, nur gar zu sehr gönnen. Jason hatte Theresas Blick nicht bemerkt, sondern nickte nur bestätigend in meine Richtung.

      »Was habt ihr denn noch gemacht, nachdem ihr gegangen seid?«, begann Theresa gerade zu fragen, als Dr. Gallington dankbarerweise den Raum betrat und mit seiner unmöglichen, mürrischen Art das Seminar begann. Es zog sich wieder kaugummiartig in die Länge wie schon beim letzten Mal. Aber heute hatte ich keine Zeit, mich in meinen Gedanken zu verlieren oder mit Jason und Theresa zu plaudern, denn Mr. Gallington gab Textbeispiele aus, mischte die Sitzanordnung neu und forderte von jeder Gruppe eine inhaltliche Kurzvorstellung des Gelesenen nach fünfundvierzig Minuten. Oh Mann, hätte er nicht wenigstens die Sitzanordnung beim Alten belassen können? Ich kannte die anderen Leute doch kaum. Die Texte waren mehr als langatmig. In meiner Gruppe waren neben mir noch zwei Mädchen und zwei junge Männer. Einer der Studenten war ähnlich zurückhaltend wie