die der Partei und die der Staatssicherheit. Sonderbare Verdreifachung aller Vorgänge. Spaltung und Selbstzweifel liefen quer zu diesen drei Ebenen durchs gesamte Gefüge, vor allem seit in der SU mit der Perestrojka begonnen wurde und sich herausstellte, dass die DDRFührung Reformbestrebungen zurückwies.
Sachlich magst Du recht haben, ich glaube Dir jedenfalls, sage ich zu Brie, aber nach den groben Gesetzen von Politik und Medien ist Stasi-Mitarbeit ein Stigma, politischer Aussatz gleichsam. Hast Du nicht diejenigen gefährdet, die, wie Heinrich Fink, Deine Berufung zum Professor gefördert haben, dazu all die Gruppen, mit denen Du Dich seither eingelassen hast? Wie gehst Du damit um, frage ich, und ich frage gleichsam stellvertretend für solche Gruppen wie die Volksuni, nicht als moralischer Richter. M. wiederholt, der Sache nach seien seine Stasi-Aktivitäten harmlos gewesen. Er war vier Jahre im Hochschul-Ministerium tätig und kann nur sagen, dass nicht nur die drei Ebenen der Macht ineinandergriffen, sondern auch allein auf der staatlichen Ebene des Ministeriums viel bedenklichere Dinge sich abspielten. Im Übrigen habe er sich in dem Moment selbst angezeigt, als er für ein akademisches Amt vorgeschlagen wurde. Wichtig ist für ihn, dass seine eignen Studenten sich keineswegs von ihm abgewandt haben. Er möchte nun seinen Fall exemplarisch vor dem Ehrenausschuss der Universität behandelt haben. Der ASTA war schon bei ihm und wird sich in das Verfahren einmischen. Irgendwie muss die Universität, muss der gesamtdeutsche Staat mit der Stasi-Vergangenheit umzugehen lernen. »Du bist gut beraten«, schärft er mir ein, »wenn Du bei allen einigermaßen interessanten akademischen Intellektuellen jüngeren Alters entsprechende Aktivitäten unterstellst«, und ich beginne zu ahnen, wen er meint, ohne ihn zu nennen. Stattdessen nennt er J., der Ende der siebziger Jahre in Leipzig von der Stasi verhört wurde und dem sie so übel mitspielten, dass er von da an über sein oppositionelles Intellektuellenmilieu an sie berichtete. Sein eigner Fall ist dagegen viel leichter. Er ist überzeugt, der Hochschulminister Meyer habe von seiner Stasi-Aktivität gewusst, als er ihn ernannt hat.
24. November 1990
Im letzten »Freitag« spricht Katja Maurer skeptisch-bewundernd vom genialen Trick, mit dem Gorbatschow seine Umbauvorschläge (Präsidialregierung in einem Föderalstaat), die er vermutlich schon des längeren in der Tasche gehabt habe, just in dem Moment hervorzog, als er selbst verloren schien. Sie stellt es so dar, dass selbst Jelzin und andere Gegner nun wieder auf einmal nur von ihm erwarten würden, die nötigen Maßnahmen zum Durchstehen dieses Winters zu ergreifen.
In derselben Nummer schreibt Thomas Rothschild über seinen »Akt« bei der österreichischen Staatssicherheit und über die Nachteile, die ihm daraus erwachsen sind. Gegen die öffentliche Heuchelei im Zusammenhang mit der Stasi. Gestern Abend eine ungewöhnlich offene, improvisierte, unkonsumistische Fernsehdiskussion, vom NDR in Leipzig organisiert, die sich u.a. damit befasste. Die kluge und humane Trauer der Revolutionäre vom Neuen Forum, die ihre Revolution verloren haben. Sie wissen auch, dass sie nicht die Urheber, sondern die Vollzieher waren.
25. November 1990
Gestern Besuch von Paulin Hountondji, der inzwischen Kultusminister seines Landes geworden ist. Er spricht von einem wilden Antisozialismus. Man schüttet jetzt das Kind mit dem Bade aus. Meine Formulierung, dass nun im Prinzip die Möglichkeit wiedergeöffnet sei, gefällt ihm. Er habe mich seinerzeit benutzen wollen, meine Marx-Interpretation gegen die herrschende ML-Ideologie ausspielend. Jetzt völlig unmöglich, Marx eine Ware, die niemand mehr kauft.
27. November 1990
Seit Sonntagnacht streiken die Reichsbahner; Frigga hatte größte Mühe, von Berlin wegzukommen. In der Berichterstattung ein auffallender Gegensatz zwischen den westlichen und den östlichen Medien. Im Westen wird die Erklärung der Regierung übernommen, aus der man den Eindruck gewinnen muss, bei der Reichsbahn werde im Vergleich zur Bundesbahn ein halb so großes Schienennetz von doppelt so viel Menschen betreut. In Wirklichkeit sind die Belegschaften nicht nur etwa gleich stark (je rund eine Viertelmillion), sondern es werden bei der Reichsbahn die gesamten Produktions- und Reparaturbetriebe mitgeführt, die man bei der Bundesbahn längst privatisiert hat und hier nun eben gleichfalls privatisieren will. Auch wird im Fernsehen verbreitet, die Reichsbahner verdienten eh schon mehr als die andern. Es wird kaum gesagt, dass dieses »Mehr« von Löhnen ausgesagt wird, die maximal 1500 DM betragen. Davon kann eine Familie in diesen Zeiten der Privatisierungen und Preiserhöhungen nicht annähernd normal leben, das ist unter der Armutsgrenze. Ich verstehe, dass es riesige Menschengruppen in der vormaligen DDR gibt, denen es noch schlechter geht. Aber hier hat sich zum allerersten Mal eine große Gruppe gewehrt, hat das angstschlotternde Sich-Anpassen unterbrochen. Man hielt es nicht mehr für möglich. In fast allen anderen Bereichen herrscht seit Monaten das Rette-sich-wer-kann. Nein, der Streik ist ein Glück, ein Zukunftsvitamin, das Beste, was seit den Demonstrationen vom letzten Herbst und den Runden Tischen passiert ist. Er kommt wenige Tage vor der Wahl. Und die Reichsbahn ist die einzige Branche in der vormaligen DDR, die gebraucht wird, deren Betreiber also überhaupt die Macht haben, wirklich zu streiken. Berlin ist jetzt auf dem Schienenweg abgeschnitten, wie seit der Blockade nicht mehr. Noch verkehrt die S-Bahn.
Achtzigtausend sollten fürs Erste entlassen werden, und statt sich zu desolidarisieren, hoffend, es werde andere treffen, haben die Eisenbahner mit 97 Prozent für den Streik gestimmt, also für die kollektive Verteidigung: Die erste Forderung betrifft den Kündigungsschutz, der dem bei der Bundesbahn Üblichen angeglichen werden soll. Das verunmöglicht keineswegs Entlassungen, schützt nur die dienstälteren Kollegen, die auf dem Arbeitsmarkt keinerlei Chance mehr haben. Erst die zweite Forderung gilt dem Lohn und ist sehr maßvoll: hier will man die Hälfte der Bundesbahnlöhne erreichen. Solche Informationen muss man sich mühsam herausfiltern.
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Laut Gorbatschows Vorschlag eines neuen Unionsvertrags wird UdSSR künftig »Union der souveränen Sowjetrepubliken« bedeuten. Das Sozialistische verschwindet aus dem Namen. Der Kongress der Volksdeputierten wird in dem Entwurf nicht erwähnt; daraus schließt Werner Adam ein bisschen sehr schnell, dessen derzeitige Sitzung könne die letzte gewesen sein. Außer Militär- und Außenpolitik soll die Unionsregierung »gemeinsam mit den Republiken die Strategie der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und die Schaffung von Bedingungen zur Entwicklung eines unionsweiten Marktes auf der Grundlage einer gemeinsamen Währung« betreiben. Ein ungeheuer kompliziertes Mächtegerangel zwischen Republiken und Union zeichnet sich ab. Die Union verfügt noch nicht einmal über einen eigenen Unionsdistrikt wie die USA. Ein Verfassungsgericht soll die Konflikte schlichten. In den USA ist die heutige Struktur aus einem Bürgerkrieg hervorgegangen. Ob ein neuer Bundesstaat ohne eine derartige Kriegsgeburt zur Welt kommen kann? Aber hier gibt es – vielleicht außer der Armee, deren Belastbarkeit aber höchst ungewiss ist – keinen Akteur, der den Nordstaaten entspräche.
29. November 1990
Gorbatschow hat die Reise zur Entgegennahme des Nobelpreises absagen müssen.
Mit Wanja von Heiseler telefoniert, der mich zu einem Seminar nach Moskau einlädt. Mit der Überzeugung eines Ordenspaters beschied er mich, dass die Unterscheidung zwischen ziviler und bourgeoiser Gesellschaft fehl am Platze sei. Dass es die Bürger (Bourgeois) waren, die das Konzept società civile eingeführt hätten, sei wesentlich. Ich verweise auf die koinonía politikè, das bringt ihn dazu, mich zu belehren, dass es im alten Athen Ware und Geld gegeben hat usw. Ich merke, dass ich keine Lust habe, solche Diskussionen zu führen, und mache meine Teilnahme an der moskauer Tagung davon abhängig, dass Leute eingeladen werden, die auf dem Feld mit nennenswerten Arbeiten hervorgetreten sind. Wanja bleibt ein marxistisch-leninistischer Ordensgeistlicher, grade auch in der Abkehr vom ML. Da macht sich ein Haltungselement vor aller konkreten Theorie und Politik geltend, das aus dem stalinschen Parteityp fortlebt.
1. Dezember 1990
Gorbatschow vorm ZK: Er habe die Bedeutung der Arbeiterklasse für die Perestrojka unterschätzt. Spricht sich kategorisch gegen die Privatisierung des Bodens aus.
Der Krieg gegen den Irak rückt näher. Der UNO-Sicherheitsrat folgte dem