Jörg Wagner

Die 50 bekanntesten archäologischen Stätten an der Türkischen Riviera


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Generationen und seinen Nachruhm denkt. Das wird in den einleitenden Worten deutlich, in denen er seine Hinwendung zur epikureischen Philosophie und seine Gründe für die Anbringung der Inschrift erläutert: „Außerdem ist es richtig und gerecht, an die Menschen zu denken, die nach uns kommen (denn obwohl noch nicht geboren, gehören doch auch sie zu uns) und zuletzt fordert die Menschlichkeit, auch den Fremden zu helfen, die unsere Stadt besuchen. Und weil diese Hilfe, die die Inschrift geben soll, eine recht große Zahl von Menschen betrifft, habe ich mich entschieden, die Heilmittel (der Lehre Epikurs) allen zugänglich zu machen.“

      In jeder Sequenz dieser grandiosen Inschrift spürt man den Stolz des Diogenes auf sein Werk, das als Geschenk für die Menschheit gedacht war und zugleich die Erinnerung an seine eigene Person verewigen sollte. Selbst wenn seine Inschrift vermutlich schon nach einem Vierteljahrhundert zerstört wurde, war er in dieser Hinsicht sehr erfolgreich. Ohne diese Inschrift würden wir nichts, absolut nichts über seine Person wissen.

      Den am Projekt des DAI beteiligten Epigraphikern Jürgen Hammerstaedt (Köln) und Martin Ferguson Smith (Durham) verdanken wir eine Rekonstruktion dieser einzigartigen philosophischen Inschrift. Danach boten die oberen drei Steinreihen eine Abhandlung über das Alter, in der Diogenes nachweist, dass ein glückliches Leben und das Alter sich nicht ausschließen. In der vierten Reihe sind Briefe des Diogenes an seine Freunde zusammengestellt, in denen er seine Philosophie erläutert und Kernsätze des epikureischen Denkens verewigt. Die fünfte Reihe handelt von der Physik, also der Vorstellung Epikurs von der Weltentstehung und der unendlichen Zahl der Welten. In der sechsten und letzten Reihe hat er seine Gedanken zur Ethik zusammengestellt; darauf folgt eine Sammlung von Sentenzen, aus denen die Betrachtungsweise des Diogenes deutlich wird, wie „Militärdienst ist hart, auch wenn man andere dabei befehligt“ oder „Der Schlüssel zum Glück ist die körperliche Verfassung, die in unserer eigenen Macht liegt.“

      Von der Fortführung der Forschungen in Oinoanda dürfen wir jederzeit Überraschungen erwarten. So ist bereits im Jahre 2008 ein elfzeiliger Neufund auf ganz großes Interesse gestoßen, in dem Diogenes die Weltschöpfungslehre Platons kritisiert, die seinerzeit als philosophisches Dogma galt. Diogenes lobt zwar Platons Ansicht, dass die Welt aus dem Nichts geschaffen wurde, kritisiert ihn aber, weil er daraus nicht die Konsequenz gezogen hat, dass sie auch wieder untergehen würde. Zugleich lehnt er das von Platon postulierte Einwirken eines gottähnlichen Wesens auf die Schöpfung ab, die nach der Lehre Epikurs ein Werk der Natur sei. So gesehen ist es erstaunlich, dass die Bürger von Oinoanda im Herzen ihrer Stadt das Manifest einer Philosophie anbringen ließen, die eine Einflussnahme der Götter auf das Schicksal der Menschheit konsequent leugnete.

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      Literatur

      P. Scholz, Ein römischer Epikureer in der Provinz. Diogenes von Oinoanda und sein Adressatenkreis, in: K. Piepenbrink (Hrsg.), Philosophie und antike Lebenswelt (2003) 208 – 227; M. F. Smith, The philosophical inscription of Diogenes of Oinoanda, Tituli Asiae Minoris Erg.-Bd. 20 (1996).

      05

      Die Akropolis von Tlos erhebt sich auf einem markanten Felssporn oberhalb der fruchtbaren Ebene des Xanthos und beeindruckt wegen des faszinierenden Blickes hinüber zum Burgberg von Pinara, der Dauerrivalin um die Vorherrschaft im Tal des oberen Xanthos. Nach seiner Lage und seinem Wasserreichtum, seiner lykischen Felsnekropole und seinen kaiserzeitlichen Großbauten präsentiert sich Tlos bis heute als besonders prosperierende lykische Bergstadt.

      Tlos – Erinnerung an den mythischen Helden Bellerophon

      Lykien

      Für die Geschichte von Tlos überliefern die antiken Quellen wenig, sodass man in erster Linie auf Bauten und Inschriften angewiesen ist. Der Fund eines Bronzebeils aus dem 2. Jt. v. Chr. lässt uns dort aber eine der ältesten Siedlungen Lykiens vermuten. Reliefgeschmückte Gräber, Inschriften und Münzen mit dem lykischen Namen Tlava bestätigen für das 4. Jh. v. Chr. eine erste Blüte der Stadt. Im 2. Jh. v. Chr. scheiterte der Versuch eines gewissen Eudemos von Xanthos, in Tlos eine Tyrannenherrschaft zu etablieren, dank der Hilfe anderer Mitglieder des Lykischen Bundes. Tlos selbst gehörte zu den sechs wichtigsten Städten dieses Bundes und hatte in der Bundesversammlung den Status einer Metropole mit drei Stimmen.

      Weitere Nachrichten gibt es erst nach dem verheerenden Erdbeben des Jahres 141 n. Chr., als die Stadt dank des Mäzenatentums reicher Lykier wie Opramoas von Rhodiapolis und Licinius Langus von Oinoanda schnell wieder aufgebaut wurde und neue Prunkbauten erhielt. Nach der großen Stiftungsinschrift am Grabbau des Opramoas in Rhodiapolis war Tlos nach Myra die meistgeförderte Stadt. Damit versiegen die historischen Quellen, wenn wir einmal davon absehen, dass Bischöfe von Tlos an den Konzilen von Kalchedon (451 n. Chr.) und Nikaia (787 n. Chr.) teilgenommen haben. Im 19. Jh. schließlich errichtete ein Feudalherr namens Kanlı Ali („Blutiger Ali“) mit antiken Spolien, darunter einige Inschriften, auf der Akropolis eine Festung, von der er die Bauern der Umgebung einer Schreckensherrschaft unterwarf.

      Ein Gang durch die Ruinen

      Bei der Besichtigung von Tlos empfiehlt es sich, die Felsnekropole im Nordosthang des Akropolisfelsens zunächst rechts liegen zu lassen und direkt die Akropolis zu erklimmen (Abb. 13), von der man sich für den Rundgang durch das Stadtgebiet einen guten Überblick verschaffen kann. Von der Felsspitze über der osmanischen Burg breitet sich wie auf einem Reißbrett die antike Stadt aus. In der Senke zwischen Akropolis und dem kaiserzeitlichen Stadtzentrum liegt das Stadion mit mehreren Sitzreihen am Akropolishang, gegenüber erhebt sich ein langgestreckter Hallenbau, wohl eine Markthalle; dahinter schließen sich weitere Großbauten an: das Theater, zwei Thermen, eine Palästra, der Tempel des Kronos und eine Basilika sowie die Agora. Damit durfte sich Tlos einer großzügigen Ausstattung mit öffentlichen Bauten rühmen, der ein planerisches Konzept zugrunde liegt und die in Lykien nur mit Patara zu vergleichen ist.

      Steigt man von der Akropolis hinunter und in den steilen Pfad zur Felsnekropole ein, so ist Vorsicht angeraten. Die Gräber zeigen ausgezeichnete Kampfdarstellungen und über vielen Eingängen kurze Grabinschriften in lykischer und griechischer Schrift. Gleich beim oberen Einstieg befindet sich eine Gruppe von Felsgräbern vom Typ der mit Rundhölzern flachgedeckten lykischen Häuser. Zwischen den kassettierten Grabfassaden erweckt ein seitlich des obersten Grabes angebrachtes Relief mit dramatischen Kampfszenen aus dem 5. Jh. v. Chr. besondere Aufmerksamkeit. Das Bildfeld ist in zwei Frieszonen unterteilt, in denen von rechts unten nach links oben zwei Krieger in fünf Phasen eines Zweikampfes dargestellt sind. Die Bildfolge führt von einem gleichwertig scheinenden Kampf zu einer zweiten Szene, in der sich die Niederlage des linken Kriegers bereits abzeichnet. Im dritten Bild ist dieser in einer Fluchtbewegung auf seine Knie gestürzt, während sein Gegner ihm den schützenden Schild entreißt. In den letzten Bildern halten die überlegenen Krieger den erbeuteten Schild als Zeichen ihres Sieges über die tot zu ihren Füßen liegenden Kontrahenten, aber es gibt einen Unterschied. Während der Sieger im vorletzten Bild den Schild noch hochführt, hat er im letzten bereits die triumphale Siegespose eingenommen. Diese Bildfolge zeigt einen antiken Comic mit tödlichem Ausgang, aber diese fünf Bilder zeigen nicht dasselbe, sondern jeweils ein anderes Kriegerpaar, was man an den unterschiedlichen Helmen deutlich erkennen kann.

      Am Fuß der Felsnekropole liegt das