Georges Simenon

Die Phantome des Hutmachers


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dem ersten Jahr der Erkrankung von Mathilde, die es nicht aushielt, den ganzen Tag lang Schritte über sich zu hören.

      Einen Prozess hatte man anstrengen müssen, um die Leute aus dem Zweiten loszuwerden. Und noch viel größere Schwierigkeiten als das hatte es gegeben!

      Vergaß er auch nichts? Die Scheite brannten. Die Rollos waren ordentlich zu. Das Deckenlicht, es war ihm eh zu grell, konnte er noch löschen, anlassen nur die Lampe, die auf dem Sekretär stand, denn zu allen Zeiten schon war in einer Ecke dort ein kleiner Sekretär gewesen, voll mit winzig kleinen Schubladen, und jetzt war das ganz praktisch.

      Er nahm den Packen Zeitungen, die Schere, stopfte seine alte Meerschaumpfeife. Zwei-, dreimal drehte er sich zum Fenster und dachte an Kachoudas.

      »Armer Kerl!«

      Anfangs war die Verfertigung der Briefe eine Geduldsarbeit gewesen, denn da hatte er ja jeden Buchstaben noch einzeln ausgeschnitten. Inzwischen kannte er die Zeitung so gut, dass er wusste, in welcher Rubrik er sich fast sicher sein konnte, die benötigten Wörter zu finden. In Mathildes Nähkorb hatte er außerdem eine Stickschere ergattert, die keine unsauberen Stellen hinterließ.

       Die Sechste ist tot, junger Mann, und wieder wird die Stadt ihr Los beklagen.

      Es war ihm zur Gewohnheit geworden, sich unmittelbar an Jeantet zu wenden.

       Bedenken Sie, dass Mademoiselle Mollard seit mehreren Jahren an einer Herzkrankheit litt, dass sie arm war, dass sie allein lebte, dass sie keinen hatte, der sie gepflegt hätte, und dass sie gezwungen war, den Kindern ihrer Freundinnen Klavierunterricht zu geben. Ihr Schwager, der Architekt, der beileibe genug verdient, hat sich ja immer geweigert, ihr unter die Arme zu greifen.

       Natürlich habe ich sie nicht deswegen umgebracht. Ich habe sie umgebracht, so wie die anderen, weil es sein musste. Aber das will keiner begreifen. Wieder wird man sagen und schreiben, ich sei ein Verrückter, ein Wahnsinniger, ein Sadist, ein Besessener, aber das stimmt nicht.

       Ich tue, was ich tun muss, und damit basta. Würde man sich davon überzeugen, vermiede man diese stupide Panik, die die Leute davon abhält, aus dem Haus zu gehen, und die allen Handel in Mitleidenschaft zieht.

       Vorausgesetzt, niemand begeht eine Dummheit, steht nur noch eine auf der Liste. Genau sieben werden es sein, und daran werden alle Ermittlungen der Welt nichts ändern.

       Zum Beweis, junger Mann, kündige ich Ihnen schon jetzt an, dass es am Montag sein wird.

      Die Adresse war einfach zusammenzusetzen, denn hierzu genügte es, Jeantets Namen unter einem Artikel sowie die über den Kleinanzeigen abgedruckte Adresse des Verlags auszuschneiden.

      Louise war eben in ihr Zimmer gekommen und schnaubte wie üblich.

      Monsieur Labbé klebte den Brief zu, pappte eine Marke darauf und steckte den Umschlag in die Tasche seines Jacketts, das auf einem Bügel hing. Nachdem er morgen früh die Platten von den Fenstern genommen hatte, würde er warten, bis Valentin kam, und dann seine gewohnte Runde durch die Stadt drehen, regnete es oder regnete es nicht.

      Was er so verblüffend fand, war, dass er nichts an seinen Gewohnheiten hatte ändern müssen. Immer schon war er am Morgen durchs Viertel spaziert, herum um ein oder zwei Häuserblocks, so wie er sich am Abend stets ins Café des Colonnes begeben hatte.

      Es war halb zehn. Er hatte noch eine gute Stunde, deshalb setzte er sich mit dem Gesicht zum Feuer, die Beine ausgestreckt, einen Wälzer mit angegilbten Seiten auf den Knien.

      Es war einer der Bände der Berühmten Fälle des 19. Jahrhunderts. Vor fünf Monaten hatte er im Auktionslokal zwanzig Einzelbände ersteigert. Sieben davon blieben ihm noch zu lesen.

      Er paffte in kurzen Zügen. Es war warm. Louise war wohl endlich eingeschlafen. Er hörte nichts mehr außer dem monotonen Geräusch des Regens, manchmal einem Prasseln der Scheite, und es gab auch niemanden, der ihn bei seiner Lektüre störte.

      Monsieur Labbé war ruhig, ja gelassen. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick auf den Wecker.

      »Noch zwanzig Minuten!«

      Noch zehn. Noch fünf. Um halb elf klappte er seufzend sein Buch zu, erhob sich und ging ins Badezimmer. Um Viertel vor elf legte er sich im rechten Bett schlafen.

      Früher hatte nur ein einziges Bett in dem Zimmer gestanden, ein sehr schönes Bett, das zu den anderen Möbeln im Raum gepasst hatte. Nach Mathildes Erkrankung hatte man es über die Straße – es gab ja keine Treppe zwischen den beiden Stockwerken – in die obere, leerstehende Wohnung getragen und es durch zwei von einem Nachttisch getrennte Betten ersetzt.

      Er drehte sich um und versicherte sich, dass die noch rote Glut im Kamin nicht auf den Teppich fallen und ihn in Brand setzen konnte.

      Gegenüber arbeitete Kachoudas immer noch. Er war ein armer Schlucker. Er machte alles selbst, einschließlich der Unterhosen und der Westen, die die wichtigeren Schneider Heimarbeiterinnen anvertrauten.

      Jetzt, da das Zimmer im Dunkeln lag, konnte Monsieur Labbé durch das Rollo hindurch das helle Rechteck auf der anderen Straßenseite sehen.

      Ehe er einschlief, sagte er halblaut, denn etwas zu sagen war immer gut:

      »Gute Nacht, Kachoudas.«

      Seinetwegen brauchte der Wecker nicht zu läuten; er wachte um halb sechs in der Früh von selbst auf. Die dicke Louise schlief noch, vergraben in ihrem feuchten Bett; mit Sicherheit hörte sie ihn, wenn er aufstand, vom Treppenabsatz Scheite holte, die Tür wieder schloss, sich ein Feuer anmachte. Einen Augenblick später an diesem Morgen fiel ihm auf, dass etwas fehlte, und das war das Geprassel des Regens, das Geräusch des Wassers in der Dachrinne. Noch war es zu dunkel, den Himmel zu sehen, aber man ahnte den Seewind, der die Wolken ins Landesinnere jagte.

      Er musste sein Bett machen, das Zimmer aufräumen, den Kübel mit der Kaminasche nach draußen stellen – für alles das verfügte er über präzise Bewegungen, die er in einer minutiös einstudierten Abfolge ausführte.

      Er redete ein bisschen vor sich hin, sagte irgendwas, sah bald schon das Fenster gegenüber hell werden. Das war nicht Kachoudas, der schlief noch, aber dessen Frau, die im Haus für Feuer sorgte, die Werkstatt fegte, Staub wischte.

      Er hörte Karren vorbeifahren, die unterwegs waren zum Markt, dann andere, die unten in der Straße haltmachten, die Stimmen der Bäuerinnen, das Aufprallen der Körbe und Säcke, die man auf den Boden fallen ließ.

      Es war Samstag. Er nahm sein Bad, zog sich an, während sich unmittelbar hinter der Waschraumwand Louise wusch.

      Sie ging als Erste nach unten, um Kaffee zu machen und damit das Feuer brannte, wenn er seinerseits hinunterging.

      »Guten Morgen, Louise.«

      »Guten Morgen, Monsieur.«

      In der Hutmacherei steckte er ein Streichholz in das kleine Loch im Gasofen. Die Straßengeräusche wurden lauter, doch es war noch nicht Zeit, die Fensterplatten abzunehmen.

      Zunächst hatte er sein Frühstück zu sich zu nehmen, dann Mathilde das ihrige nach oben zu bringen. Der Himmel fing an blass zu werden. Monsieur Labbé rollte den Sessel, den er stets im selben Winkel an denselben Platz stellte, bis ans Fenster, wo er sicherging, dass der Holzkopf aus dem Hinterzimmer seines Ladens nicht runterfallen konnte.

      Licht ausmachen. Rollo hochziehen. Alles war grau, fast weiß. Der Regen war zu Nebel geworden, sodass man Kachoudas’ Lampe nur durch einen Schleier sah.

      Die Fensterscheiben waren beschlagen. Würde es endlich Frost geben? Die Bäuerinnen auf der Straße, dick in Tücher eingemummelt, hielten beim Aufstellen ihrer Körbe ab und an inne, um sich mit blau angelaufenen Händen unter die Achseln zu klopfen. Es war eine darunter, eine kleine Alte, die stellte sich seit vierzig Jahren an denselben Platz und hatte einen Kohlenofen angezündet. Zu dieser Jahreszeit verkaufte sie Kastanien und Nüsse.

      Kachoudas hatte noch nicht Platz auf