href="#ulink_b840b7f1-6aa9-5220-bde3-f2742fe2ab58">2 sorgten sich um Männer, die keine Frau hatten. Mit Krankheiten und Seuchen im Gepäck, infizierten sie die bereits ausgezehrten Menschen. Etwa ein Drittel der damaligen Bevölkerung überlebte dies nicht. In Nördlingen waren von 4.000 Einwohnern nur noch 800 übrig. Am 3. Februar 1635 fanden zeitgleich 25 Hochzeiten statt, da es nach der Belagerung eine große Zahl von Witwen gab. Unverheiratete wurden dazu genötigt, den Bund der Ehe einzugehen, um geschäftsfähig zu werden oder es zu bleiben. Im reformierten Glauben wurde die Ehe gestärkt und als von Gott gewolltes höchstes Gut gepredigt.
Frauen waren während dieser Zeit rechtlose und bevormundete Geschöpfe. Bis zu ihrer Heirat unterstanden sie dem Vater, der das Oberhaupt der Familie bildete. Danach war der Gatte ihr Vormund. Das Erbrecht war regional unterschiedlich geregelt. In den meisten Fällen konnten weibliche Nachkommen ohne ihren Ehemann keine Erbansprüche stellen, auch wenn es sich um Nachlässe ihrer eigenen Eltern handelte. Wie sich das Ganze im Adoptivfall verhalten hatte, lässt sich heute nur noch schwer nachvollziehen.
Allein der Beruf, und somit der Stand der Eltern, entschied über die Zukunft der in die Familie hineingeborenen Kinder. Die unterste Gesellschaftsschicht bildeten die Unehrenhaften. Das waren zum einen jene, die als unehrlich galten, wie Schäfer, Müller, Türmer3, Leineweber, und zum anderen Menschen, die Berufe ausübten, die mit Schmutz oder Tod in Berührung kamen, wie beispielsweise Henker, Abdecker, Bader, Totengräber, Prostituierte, Gassenkehrer oder Büttel. Als ebenso unehrenhaft galt das »fahrende Volk«. Hausierer und Schauspieler wurden nicht selten als »gott- und herrenloses Gesindel« beschimpft. Wer einmal unehrenhaft war, der blieb es sein Leben lang. Heiraten von Angehörigen unterschiedlicher Stände war zwar möglich, allerdings verlor der Bessergestellte dadurch seinen Stand. So heirateten Henker meist untereinander, weshalb sie sich auch gegenseitig »Vetter« nannten.
Da auch in größeren Städten wesentlich weniger hingerichtet wurde, als man vermuten könnte, übten Scharfrichter viele weitere Tätigkeiten für den täglichen Broterwerb aus. Sie leerten Abortgruben, waren für die Sauberkeit in der Stadt zuständig oder unterstützten bei Bedarf den Totengräber oder Abdecker. Der Verkauf von »Glücksbringern« in Form von abgetrennten Daumen eines erhängten Diebes oder von Seilstücken vom Galgen brachte so manchen Kreuzer in die Familienkasse. Ihre medizinischen Kenntnisse standen dem Fachwissen eines studierten Medicus oft nicht nach oder übertrafen diese sogar. Durch die Versorgung der gefolterten Delinquenten und das Sezieren von Gerichteten, woran kaum jemand Anstoß nahm, erlangten sie ihre heilerischen Fähigkeiten.
Betäubungsmittel im heutigen Sinne gab es nicht. Es soll sogenannte »Schlafschwämme« gegeben haben, eine Mixtur aus verschiedenen Kräutern, die auf einen Schwamm oder ein Tuch geträufelt wurden. Allerdings war die Dosierung äußerst schwierig und führte nicht selten zum Tod. Als Pflanzen zur Herstellung werden oft Bilsenkraut, Stechapfel, Tollkirsche und Alraunwurzel genannt. Letztere wuchsen laut Aberglauben am besten auf dem Schindanger direkt unter dem Galgen. Genährt von Blut, Sperma und Exkrementen der Gehängten, würden sie prächtig gedeihen.
Der Aberglaube der unwissenden Bevölkerung war so weit verbreitet wie der christliche Glaube selbst. Alles, was nicht rational erklärt werden konnte, wurde dem Teufel zugeschoben und musste Hexerei sein. Nahm sich jemand selbst das Leben, wurde er automatisch zu einem Wiedergänger. Dieser könne, wenn er auferstanden war, allein durch Berührung Menschen töten. Selbstmörder wurden geköpft, mit Gesicht und Bauch nach unten begraben, damit die schädigenden Kräfte ins Erdinnere abgeleitet wurden und so keinen Schaden anrichten konnten. Teilweise wird berichtet, dass Pfähle durch die toten Körper getrieben wurden, um ein späteres Auferstehen zu verhindern. Ein Dornengestrüpp erfüllte aber in der Regel auch diesen Zweck.
1 Ein Marketender begleitet und versorgt Soldaten und Truppen mit Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs.
2 Früherer Name für Prostituierte.
3 Turmwächter.
Prolog
Augsburg, 10. November Anno Domini 1620, abends
Im flackernden Schein des Talglichts erschien der Gebärstuhl wie ein Folterinstrument, auf dem die völlig entkräftete Frau schon seit Stunden saß. Ein Sturm von Schmerzen fegte wie Hagelschlag über ihren Körper hinweg, als die Wehen erneut einsetzten. Ihr Atem quoll in weißen Schwaden aus dem Mund, den sie für einen weiteren Schmerzensschrei aufgerissen hatte.
Die Lehrmagd der Hebamme kniete weinend und vor Kälte zitternd am Boden und betete. Ihre erste Geburt hatte sie sich bei Gott einfacher vorgestellt. Wenn die erfahrene Geburtshelferin jetzt nicht bald käme, würde der Tod der Gebärenden und ihres Kindes unausweichlich eintreten.
Schweiß tropfte der Wöchnerin aus dem Haar. Trotz geschlossener Fenster spürte sie einen Windstoß, als der Novembersturm wieder Fahrt aufnahm. Elena war die Kälte jedoch gewohnt. Seit Kriegsbeginn lebte sie in einem Zelt und zog mit dem Tross der kaiserlichen Truppen. Im letzten Winter kam sie mit etwas Glück beim Augsburger Stadtmedicus unter. Er überließ ihr eine spartanisch eingerichtete Kammer, die über einen separaten Eingang zu erreichen war. Bei seinen wohlhabenden Freunden konnte sie sich einiges verdienen. Doch nachdem der feiste Tuchhändler ihr beiwohnte, blieb das Monatsblut aus. Er versicherte ihr, sie zu unterstützen, und bezahlte im Voraus ihre Unterkunft.
Elenas kraftlose Schreie wichen einem Wimmern, als die Türe krachend aufgestoßen wurde und die Hebamme hereinstürmte. Mit ihr drängten sich dutzende Schneeflocken in die Kammer.
»Heilige Maria und Josef sei Dank! Sie ist da!«, rief die Magd und wischte sich die Tränen von den Wangen.
»Ich hoffe, ich komme noch nicht zu spät!«, keuchte Martha Stützle. »Die Wege sind kaum passierbar.«
»Sie hat keine Kraft mehr, sich noch länger auf dem Stuhl zu halten. Das Kind will aber einfach nicht kommen!«
»Ist es ihre erste Geburt?«, erkundigte sich die Hebamme, während sie den Bauch von Elena abtastete.
»Ja. Und ich hab extra eine Axt unter den Gebärstuhl gelegt, um böse Geister zu vertreiben und ihre Entbindung zu erleichtern.«
»Die mag wohl die Geister vertrieben haben, aber gegen eine Steißlage hilft sie halt nicht.«
Mit wenigen Handgriffen hatte die erfahrene Geburtshelferin die Lage des Ungeborenen korrigiert.
»So, und jetzt pressen!«, wies sie die Wöchnerin an.
Elena nickte mit geschlossenen Augen fast unmerklich. Mit fest aufeinandergepressten Lippen folgte sie den Anweisungen von Martha, die schon Hunderte von Frauen entbunden hatte. Immer wieder forderte sie die Gebärende auf, zu pressen.
»Ich kann nicht mehr!«, stöhnte Elena.
»Wenn du jetzt aufgibst, stirbst nicht nur du, sondern auch dein Kind. Reiß dich zusammen! Und noch einmal!« Ein letztes Mal sammelte die Hübschlerin all ihre Kräfte. Das Greinen eines Neugeborenen erklang. Erschöpft nahm Elena ihr Kind entgegen.
»Es ist ein gesunder Junge.« Wieder setzten die schon bekannten Schmerzen ein.
»Bekomme ich noch ein Kind?«
»Nein, das ist nur die Nachgeburt. Gleich hast du alles überstanden.« Doch erneut erklang das Greinen eines Kindes, das schnell in Leinen gepackt, Marthas Lehrmagd übergeben und aus der Kammer geschafft wurde.
»Wo ist mein zweites Kind?«
»Du hast nur eines auf die Welt gebracht, meine Liebe. Ich habe dir doch erklärt, dass die erneuten Wehen von der Nachgeburt ausgelöst wurden.«
»Aber ich habe es doch gehört! Was habt ihr mit meinem Kind gemacht?«, schrie Elena panisch und versuchte aufzustehen.
»Du