Stefan Thomma

Das Mündel des Apothekers


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      *

      Kopfschüttelnd kontrollierte Riesinger währenddessen die langen Zahlenkolonnen in seinen Geschäftsbüchern.

      »Da stimmt doch etwas nicht!« Die Haushälterin stürmte mit ihrem Wäschekorb ins Haus, dass die Türe, vom Wind angetrieben, ins Schloss knallte. Riesinger erschrak und zuckte zusammen.

      »Herrgott, Elfriede! Jetzt kann ich von vorn anfangen!«

      »Irgendetwas scheint in der Stadt los zu sein«, berichtete sie außer Atem.

      »Was wird schon los sein? Anderen wird der Wind auch Türen und Fensterläden zuschlagen.« Im selben Augenblick stürmten Soldaten in die Offizin. Die Eingangstüre krachte gegen die Wand, dass ein Stück Putz herausbrach und auf den Dielenboden bröselte.

      »Einquartierung!«, rief der Stadthauptmann Stracke.

      »Wie bitte?«, erwiderte der Apotheker entgeistert.

      »Wir haben 500 schwedische Soldaten zu versorgen. Diese sind unter der Führung von Oberstleutnant Deubitz in die Stadt eingezogen. Ich selbst habe das Kommando über 600 Nördlinger Bürger. Habt Ihr nicht gesehen, dass an allen Ecken und Enden Vorbereitungen auf einen Angriff der kaiserlichen Truppen laufen?«

      »Ähm, nein.«

      »Wie Ihr wisst, sind die schwedischen Besatzer Protestanten wie wir. In Regensburg konnten sie die kaiserlich-bayerischen Truppen nicht mehr aufhalten. Vor vier Tagen wurde die Stadt Regensburg übergeben und wir sollen das nächste Ziel sein. Um weiterhin evangelisch zu bleiben, mussten wir die Hilfe von unseren schwedischen Freunden, Feldmarschall Horn und Herzog Bernhard, annehmen. Erste Dörfer im Ries wurden von den Katholischen bereits geplündert.«

      »Und warum erfahre ich das als Ratsmitglied erst jetzt? Wir sollen uns gegen Tausende Kaiserliche stellen?«, entgegnete Riesinger.

      »Ich führe nur die Befehle aus! Unsere Stadt ist nahezu uneinnehmbar. Vergesst das nicht. Und in einigen Tagen erwarten wir 25.000 Mann zur Verstärkung. Das sollte wohl reichen, werter Herr Apotheker. Ihr werdet zwei Offiziere bei Euch aufnehmen!« Nachdem ihn der Apotheker nur anstarrte, fuhr er fort: »Ich kann bei Euch auch vier verlauste einfache Soldaten einquartieren, wenn Euch das lieber ist.«

      »Nein, das ist schon in Ordnung. Sie sollen hereinkommen. Meine Haushälterin wird ihnen ihre Unterkunft zeigen.«

      Elfriede führte die Soldaten die Treppe hinauf, während Katharina und Simon die Offizin betraten.

      »Ah, der junge Mühlbichler hat unsere Tochter ausgeführt«, spottete der Apotheker. Seine Augen formten sich zu schmalen Schlitzen und musterten den Burschen.

      »Für dich ist es besser, du gehst jetzt. Und lass die Finger von Katharina!«

      »Aber er hat doch niemandem was getan. Im Gegenteil, er hat mich beschützt.«

      »Ich denke, wir haben uns verstanden.«

      Die junge Frau ballte ihre Fäuste, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

      Kapitel 2

      Mit einem gewaltigen Knall schlugen die ersten Kanonenkugeln der kaiserlichen Truppen in der Stadtmauer ein. Mütter zerrten ihre Kinder nach Hause und verbarrikadierten sich. Jeder wehrfähige Bürger war in Alarmbereitschaft oder bereits auf dem Wehrgang. In einer nächtlichen Aktion gelang es den kaiserlichen Truppen, die Eger umzuleiten. Die Kornmühle stand dadurch still und Brände konnten nur noch schwer gelöscht werden.

      Nachdem Katharina mit Hilfe von Simon einige Fässer mit Wasser befüllt hatte, eilten sie ins Gerberviertel, um ihrer Freundin, der Hebamme Holzinger, zu helfen.

      »Wir müssen uns beeilen!«, trieb Mühlbichler sie an. »Es ist nur noch ein klägliches Rinnsal im Flussbett.«

      »Ja, und die Leute wühlen den ganzen Dreck auf beim Abschöpfen. Hoffentlich ist das Wasser noch genießbar, bis wir bei Mathilda sind.«

      »Die Felder außerhalb der Stadt sind auch komplett verwüstet. Überall sieht man Laufgräben und Geschützstellungen.«

      »Glaubst du, die Tore halten den Geschützen stand?«

      »Die Schweden haben direkt vor die Stadteingänge Hügel aus Erde und Kuhmist aufgeschüttet. Das soll die Geschosse so weit abbremsen, dass sie keinen Schaden mehr anrichten.«

      »Auf Ideen kommen die«, staunte Katharina.

      »Schaut nur!«, rief sie zu Simon und Katharina, »die haben mir doch glatt ein Loch ins Dach geschossen. Na, denen werde ich jetzt helfen. Auf alte Weiber mit Kanonen schießen.«

      »Was hast du vor, Mathilda?«, fragte Katharina.

      »Den katholischen Herren da draußen werde ich jetzt ein leckeres Süppchen kochen!« Achselzuckend sahen sich Simon und Katharina an. Über Mathildas Feuer hing ein Kessel, in dem eine Mischung aus Harz, Öl und Tierfett brodelte.

      »Kommt her und helft mir!« Gemeinsam schleppten sie den schweren Kessel die Treppe zum Wehrgang hinauf. Frauen warfen mit Steinen nach den Belagerern, die mit Sturmleitern versuchten, die Stadtmauer zu überwinden.

      »Macht mal Platz für ein schweres Geschütz!«, bat Mathilda die Steinewerferinnen. Nachdem sie den Kessel abgestellt hatten, rief die Hebamme zu den Angreifern: »Seht mal her, ihr Hübschen!«, und walkte ihre großen Brüste unter ihrem Kleid. »Schaut es euch genau an! Ihr werdet es nur einmal sehen!«, spottete sie und kippte den Inhalt des Kessels auf die Soldaten hinab. Brüllend vor Schmerz wälzten sich die Getroffenen auf dem aufgeschütteten Dunghaufen. »Und das ist für das Loch in meinem Hausdach«, schimpfte sie weiter und schleuderte einen faustgroßen Stein hinunter. Sie traf einen Soldaten am Brustbein, der atemringend zusammenbrach. »Kommt, wir machen noch mal eine Mischung an«, lachte Mathilda und stapfte mit ihrem Kessel die Treppe hinab.

      »Was ist los mit dir, Mathilda?«, fragte Katharina besorgt, als sich die Hebamme, geplagt von Schwindel, am Türstock festhielt.

      »Es geht bestimmt gleich wieder«, beschwichtigte sie. »Ich bin schließlich keine zwanzig mehr. Der Kessel war mir wohl zu schwer.« Mathilda tropfte der Schweiß von den Haaren, die unter ihrer Haube herauslugten.

      »Du bist blass, als hättest du dich übergeben! Leg dich lieber etwas hin.« Simon reichte ihr einen Becher Wasser, den sie in einem Zug austrank.

      Katharina wischte mit einem Tuch den Schweiß von ihrer Stirn. Erschrocken zog sie die Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt.

      »Du hast ja Fieber! Und was ist das für eine Schwellung an deinem Hals?«

      »Mir geht es seit heute Morgen schon nicht so gut.«

      Ein junges Mädchen stürmte in die Kate, dass alle drei erschrocken hochfuhren.

      »Wir brauchen eine Hebamme! Dringend!«, rief sie.

      »Bist du nicht die Kleine vom Bäcker aus der Judengasse?«, fragte Katharina.

      »Ja. Meine Mutter liegt seit gestern Nacht in den Wehen.«

      »Seit gestern Nacht? Und warum braucht ihr dann erst jetzt eine Hebamme?«

      »Der alte Geizkragen wollte sich bestimmt wieder meinen Lohn sparen!«, krächzte Mathilda. Das Mädchen blickte beschämt zu Boden und stocherte mit ihren nackten Füßen in den Binsen. »Sag ihnen, ich mach mich gleich auf den Weg.«

      »In deinem Zustand kannst du unmöglich dort hin!«, schimpfte Katharina.

      »Dann