sagen?«
»Ein scharfer, spitzer Gegenstand mit geriffelter, recht breiter Klinge. Für mein Dafürhalten eine Art Fahrtenmesser, wie es früher die Jungen hatten, vielleicht auch heute noch.«
»Nur ein Stich mitten ins Herz, präzise ausgeführt«, wiederholte Hella. Das Werk eines Profis, eines Auftragsmörders – mit einem Fahrtenmesser?
»Ein von oben geführter Stoß, dem Eintrittswinkel nach zu urteilen«, ergänzte die Gerichtsmedizinerin. »Der Täter hat etwa die Größe seines Opfers, so viel kann ich noch sagen. Gibt es bereits Spuren?«
»Noch nicht«, antwortete Hella, »bislang wissen wir nur, wer der Tote ist. Ich danke Ihnen jedenfalls so weit.«
»Der Bericht liegt spätestens mittags auf Senges Schreibtisch«, sagte Dr. Weinreb und deckte den Toten wieder zu.
Die ersten Worte des Kriminalrats passten eher zu einer Morgenandacht als zu einer Lagebesprechung. Er erwarte von jedem, dass er sich seiner Verantwortung bewusst sei und vollen Einsatz zeige, schließlich handele es sich um eine Ikone der Region. Jelinski sei mehr als ein Museumsdirektor und Straßenkünstler gewesen, ein Kulturmagnet, der …
Zuerst konnte es Senge nicht schnell genug gehen und jetzt verschwendete er ihrer aller wertvolle Zeit, dachte Hella. Endlich ließ er es gut sein und übergab ihr das Wort.
»Ich komme soeben aus der Gerichtsmedizin. Der Bericht ist fast fertig, folgende Erkenntnisse sind spruchreif: Die Leiche weist keine Spuren eines Kampfes auf, der Tod wurde durch einen einzigen Stich von hinten mit einem Messer direkt ins Herz herbeigeführt. Über die Klinge ist zu sagen, dass sie gezackt war wie die eines Fahrtenmessers …«
»Was vermuten lässt, dass er vom Täter überrascht worden ist. Wahrscheinlich hat er ihn nicht einmal gehört«, fuhr ihr Tom Seipold ins Wort. »Sonst hätte er sich gewehrt und es wären unweigerlich Spuren entstanden. Der Mörder muss sich angeschlichen haben. Vielleicht ein Killer, der auf Jelinski angesetzt war?«
»Sehr gut, Tom. Die Spur sollten wir unbedingt verfolgen«, platzte Senge heraus, nahm sich aber sofort zurück. »Natürlich nur, wenn Hella einverstanden ist.«
»Ein Ansatz, der verfolgt werden sollte, danke, Tom«, bestätigte Hella, ohne den Kriminalrat eines Blickes zu würdigen. »Bislang ist auch nicht auszuschließen, dass Jelinski in dunkle Geschäfte verwickelt war, und bitte bring doch in Erfahrung, wie es um seine Finanzen stand.«
Sie sollten ihr Teamwork haben, auch wenn Hella anderer Ansicht war. Wenn jemand Jelinski hätte beseitigen wollen, dann eher auf weniger aufsehenerregende Art und Weise. Hätte der Täter beide Identitäten gekannt, wäre er unauffälliger vorgegangen oder hätte es wie einen Unfall aussehen lassen. Sie ging auch nicht davon aus, dass die Tötung geplant war. Andererseits durfte nicht die geringste Spur vernachlässigt werden, das verlangte die solide Polizeiarbeit von ihnen, und der Druck von außen war viel zu groß, sich auch nur den kleinsten Fehler zu erlauben.
»Konnten Sie bereits Personen ermitteln, die mit Jelinski noch alte Rechnungen offen hatten, Tom?«
»Eigentlich alle, die er als Straßenherz durch den Kakao gezogen hat. Den ehemaligen Oberbürgermeister, den Kulturdezernenten, den Sozialbeauftragten, eine Speditionsfirma, auf deren Transporter er ein Graffiti mit Flüchtlingen gesprüht hatte, obwohl die mit den Toten in dem Kühlwagen in Österreich absolut nichts zu tun hatte. Die Aktion habe der Firma damals sehr geschadet, doch die Sache sei ausgestanden, hat der Chef mir am Telefon gesagt. Er stehe aber jederzeit für eine Befragung zur Verfügung.«
»Sehr gut, gehen Sie bitte den Spuren weiter nach. Auch die anderen Herrschaften sind als Zeugen offiziell zu befragen. Noch etwas: Gibt es eine Stellungnahme von der Wohnungsgesellschaft in der Weststadt, und was könnte es mit dem Haifischbild auf sich haben?«
»Ich konnte noch niemanden erreichen. Aber ich bleibe dran.«
»Danke, Tom«, erwiderte Hella. Sie fühlte sich gut dabei, den Kollegen so sehr zu beschäftigen, dass er ihr nicht in die Quere kommen konnte oder einen Grund zur Beschwerde hatte. »Und was hat Kollege Fischbach ermittelt?«
Nachdem er sich ausführlich geräuspert hatte, zog Kai Fischbach einen Spickzettel aus der rechten Hosentasche. »Ich habe drei Firmen angerufen, die Fassadenmalerei gewerblich anbieten. Einer der Geschäftsführer war selbst einmal im Underground unterwegs, ist aber mittlerweile seit Jahren ganz legal in dem Job tätig. Er hat mir einen Namen gegeben, will aber am Ende nicht als Spitzel dastehen …«
»Kein Problem, wer nichts mit dem Delikt zu tun hat und sich kooperativ zeigt, hat nichts zu befürchten. Dann also los!«, beendete Hella die Besprechung.
Der verabredete Treffpunkt stellte sich als ziemlich schmieriges Bistro in der Nähe der Hagenbrücke heraus. Sie erkannten ihren Mann an dem Pferdeschwanz und den mit Tattoofarbe geschwärzten Oberarmen. Er frühstückte an einem der Tische in Fensternähe. Sie setzten sich zu ihm.
»Nennen Sie mich Indigo-Jay«, stellte sich der sehnige Fünfziger vor, als Hella fragte, wie sie ihn anreden sollten. Er schlürfte laut seinen Kaffee und wischte sich dann mit der Rechten über den Mund. Seine Hände waren muskulös, breite Finger mit angestoßenen, schwarz umrandeten Fingernägeln. »Ich arbeite in einer Großgärtnerei und als Aushilfe auf dem Hauptfriedhof, falls Sie das interessiert. Aber machen Sie sich keine falschen Hoffnungen. Ich werde niemanden verpfeifen. Mit dem Mord habe ich nichts zu tun. Wenn ich meinem alten Kumpel nicht noch etwas schuldig gewesen wäre, dann …«
»Schon gut, schon gut«, beruhigte ihn Fischbach. »Wir brauchen nur ein paar Informationen.«
»Was können Sie uns über Straßenherz sagen? Kannten Sie ihn?«, kam Hella gleich auf den Punkt.
»Niemand in der Szene kannte ihn, soviel ich weiß. Niemand hat je sein Gesicht gesehen. Ansonsten wäre er längst aufgeflogen. Ist doch logisch, oder?«
»Aber vielleicht läuft man sich über den Weg auf der Suche nach den besten Plätzen …«
Indigo-Jay sah Hella kurz in die Augen, warf dann den Kopf nach rechts und starrte versteinert aus dem Fenster. »Ich verstehe nicht, was die alle an diesem Straßenherz finden. Jedes Mal dieser Hype, wenn wieder einmal eines seiner simplen Abziehbilder irgendwo aufgetaucht war. Einfach nur billig. Mit echter Straßenkunst hat das nichts zu tun.«
»Klingt fast, als wären Sie neidisch auf ihn gewesen?«
Indigo-Jay riss seinen Blick vom Fenster los und reckte seinen Oberkörper ein Stück vor, sodass Hella seine Alkoholfahne durch den Kaffeedunst hindurch riechen konnte.
»Hab ich mir doch gedacht, dass ihr nur darauf wartet, einem das Wort im Mund herumzudrehen«, knurrte er.
»Noch einmal. Was können Sie über Straßenherz sagen? Sind Sie ihm jemals begegnet oder kennen Sie jemanden, der wusste, wer er war?«
Der Mann mit dem Pferdeschwanz schien mit sich zu hadern, ob er weiter mit ihnen reden sollte. Aber dann: »Ich bin nur noch selten aktiv, kenne aber die guten Plätze. Manchmal bin ich nachts unterwegs, allein um das Feeling zu spüren. Das Feeling ist alles. Aber davon haben Sie ja keine Ahnung.« Er nahm einen großen Schluck aus der Tasse, bevor er fortfuhr: »Eines Nachts bin ich sozusagen über ihn gestolpert und konnte ihn bei der Arbeit beobachten …«
»Hat es Ihnen nicht in den Fingern gejuckt, herauszufinden, wer er war?«, fragte Fischbach.
»Ich wusste erst am nächsten Morgen, wem ich da begegnet war, als alle Zeitungen sein neuestes Kunstwerk anpriesen. Der Mann trug natürlich Maske. Ich konnte ihn nicht erkennen.«
»Sie haben sich also Ihrem Kollegen nicht weiter genähert?«, setzte Hella nach.
»Nein, offenbar spürte er auch, dass er beobachtet wurde. Jedenfalls sprang er plötzlich auf, drehte sich mit gezücktem Messer um sich selbst, als würde er einen Angriff erwarten. Er brauchte eine ganze Weile, bis er wieder runterkam. Ich selbst wollte auch keinen Ärger und hab mich aus dem Staub gemacht.«
Mehr war aus Indigo-Jay nicht herauszuholen,