Jan Heilmann

Lesen in Antike und frühem Christentum


Скачать книгу

VorlageVorlage vorgenommen hat. Vielmehr tritt dem LeserLeser ein selbstbewusster SchriftstellerSchrift-steller gegenüber, der zwar mit einem gewissen rhetorisch zu erklärenden Understatement schreibt, seine Leistungen aber darin durchaus hervorhebt. Daraus ist abzuleiten, dass er sehr wohl qualitative Veränderungen vorgenommen und einen eigenständigen Erzählentwurf konzipiert hat.4 Im Rahmen dieser Studie wird die erste der beiden genannten Passagen näher zu untersuchen sein, weil in dieser ausführlich über die anvisierte Rezeption des Werkes reflektiert wird. Und zwar begründet der Verfasser in 2Makk 2,24 f2Makk 2,24 f, warum er das genannte fünfbändige Werk zu einem Buch5 zusammengefasst hat (2Makk 2,232Makk 2,23), folgendermaßen:

24 a2Makk 2,24 Denn wir sehenSehen die Flut an Zahlen
b und wie schwierig es für diejenigen ist, die sich in den Erzählungen der Historien hinein drehen wollen (εἰσκυκλέω),
c und zwar wegen der Fülle des Stoffes.
25 a2Makk 2,25 Deshalb waren wir darauf bedacht, denen, die lesen wollen, das Vergnügen (ψυχαγωγία)6 zu verbessern,
b denen, die sich daran erfreuen, etwas in ihrem GedächtnisGedächtnis aufzunehmen, die Leichtigkeit,
c allen Lesern aber Nützlichkeit (πᾶσιν δὲ τοῖς ἐντυγχάνουσινἐντυγχάνω ὠφέλειαν).

      Der VerfasserAutor/Verfasser beschreibt zunächst in 2Makk 2,242Makk 2,24 die Defizite, welche er in der Darstellung der fünf BücherBuch des Kyrenäers Jason sieht.7 Dabei verwendet er in 2Makk 2,24b2Makk 2,24 das Verb εἰσκυκλέω m. E. analog zu einigen Beispielen, die ich unter 3.5 behandelt habe, metaphorischMetapher, vermutlich sogar metonymischMetonymie, um die lesende Auseinandersetzung mit den Büchern zu umschreiben. Denn man dreht sich (Medium) schließlich in den Erzählungen der Historien, indem man die fünf BuchrollenRolle (scroll) rollt. Die Formulierung „sich durchrollen“ setzt eine individuell-direkteLektüreindividuell-direkt Form der Rezeption voraus, wobei die Kombination des Roll-Bildes mit der Metapher der Stofffülle (2Makk 2,24c2Makk 2,24),8 die auf die Unübersichtlichkeit des Dargestellten hinweist, implizieren kann, dass der Verfasser davon ausgeht, dass die Bücher diskontinuierlichKontinuitätdiskontinuierlich und womöglich auch selektivUmfangselektiv gelesen worden sind.

      Sodann kontrastiert der VerfasserAutor/Verfasser in 2Makk 2,252Makk 2,25 diese Schwierigkeiten mit den Vorzügen, die er durch seine Kürzungsarbeit für seine LeserLeser vorgesehen hat. Es ist äußerst aufschlussreich, dass er in diesem Zusammenhang drei unterschiedliche Arten der Lektüre differenziert. Für die erste Gruppe, die seinen Text (nur) lesen wollen (ἀναγινώσκωἀναγιγνώσκω), hat er die Zusammenfassung so gestaltet, dass die Lektüre ihnen Vergnügen (ψυχαγωγία) bereiten kann, sie also unterhält.9 Das Lexem ψυχαγωγία ist im antiken literaturtheoretischenLiteraturtheorie Diskurs verknüpft mit der intendierten Wirkung, die Dichter mit ihren Texten erzeugen wollen.10 Der Verweis auf das Vergnügen korrespondiert zudem mit dem Bild in 2Makk 2,292Makk 2,29, wo er den Autoren des Textes mit einem Architekten vergleicht und sich selbst mit demjenigen, der für die Innengestaltung zuständig ist. Weil hier ästhetischesästhetischer Genuss/Vergnügen Vergnügen und UnterhaltungUnterhaltung in den Blick genommen werden, könnte man vermuten, dass eine stimmlicheStimme RealisierungStimmestimmliche Realisierung des Gelesenen impliziert ist.11 In diese Richtung könnte man auch einen Satz im Epilog des Verfassers (2Makk 15,37–392Makk 15,37–39) deuten,12 in dem er darauf verweist, dass die kunstvolle KompositionKomposition13 des Textes, die er mit Mischwein vergleicht, die OhrenOhr der Leser (τὰς ἀκοὰς τῶν ἐντυγχανόντων; 2Makk 15,392Makk 15,39) erfreue. Es ist allerdings auch denkbar – insbesondere weil ja eher die makrostrukturelle Komposition im Blick ist und weniger die Stilistik14 –, dass αἱ ἀκοαίἀκούω hier gleichsam im übertragenen Sinne den Gehörsinn bezeichnet bzw. noch allgemeiner das „geistige Wahrnehmungsvermögen“ meint.15 Zudem ist es im 2Makk – so wie sonst auch bei hellenistischer GeschichtsschreibungGeschichtsschreibung – das Inhaltliche, dass zur Unterhaltung der Leser beiträgt,16 das im Falle des 2Makk „die gesamte Spanne vom Erhabensten bis zum Schrecklichsten [umspannt], wobei das Schreckliche zweifelsohne stärkeren Eindruck hinterlässt.“17 Fest steht dagegen aber in jedem Fall, dass in den selbstreferenziellenselbstreferenziell Passagen, in denen sich der Verfasser zu Wort meldet, keine Evidenz zu finden ist, dass das 2Makk ein VorlesenRezeptionkollektiv-indirekt vor einer Gruppe voraussetzt.

      Der zweiten Gruppe, die der VerfasserAutor/Verfasser in 2Makk 2,25b2Makk 2,25 antizipiert, möchte er dabei helfen, dass sie besser auswendigAuswendiglernen lernenLernen können, wobei hier m. E. weniger an das Auswendiglernen des Wortlautes des Textes, sondern vielmehr an das Lernen der im Text dargestellten Sachverhalte gedacht ist. Bezüglich der zweiten Gruppe bleibt unklar, welchen genauen Zugang zum Text der Verfasser vor Augen hatte.

      Zuletzt verweist er in 2Makk 2,25c2Makk 2,25 auf die übrigen LeserLeser, diejenigen, die dem Text begegnen (das PartizipPartizip von ἐντυγχάνω meint in unspezifischer Weise die potentielle, anonyme Leserschaft eines veröffentlichtenPublikation/Veröffentlichung BuchesBuch; in 2Makk 6,122Makk 6,12 spricht der VerfasserAutor/Verfasser sie noch einmal direkt an);18 für diese soll die Zusammenfassung nützlich sein. Das Lexem ὠφέλεια ist dabei semantisch so offen, dass hier die Nützlichkeit in Bezug auf ganz verschiedene LeseinteressenLese-interesse und -ziele und für ganz verschiedene Lesergruppen potentiell miteingeschlossen ist; und damit auch verschiedene LeseweisenLese-weise, wie diskontinuierlicheKontinuitätdiskontinuierlich Lektüren, selektiveUmfangselektiv sowie iterativeLektüreMehrfach-Frequenziterativ und singuläreFrequenzsingulär Zugriffe auf den Text usw. impliziert sein könnten.

      Die Vielfalt der antizipierten Rezeptionsmodi wird sodann in der SymposienanalogieSymposion in 2Makk 2,26 f2Makk 2,26 f deutlich. Und zwar vergleicht der VerfasserAutor/Verfasser seine sorgfältige und anstrengende Kürzungsarbeit, die mit Schweiß und Schlaflosigkeit (ἀγρυπνία) verbunden war (2Makk 2,262Makk 2,26 f), mit der Arbeit, die man mit der Ausrichtung eines Symposions hat, bei dem man den einzelnen Gästen gerecht werden möchte (2Makk 2,272Makk 2,27). Mit dem Hinweis auf die Schlaflosigkeit (ἀγρυπνία) stilisiert sich der Verfasser, wie schon der Übersetzer von Sir, zudem als nächtlich arbeitender Gelehrter (s. o. zum Topos der lucubratiolucubratio).19

      Der Hinweis auf Vergnügen und Nützlichkeit in 2Makk 2,252Makk 2,25 entspricht, wie L. Alexander es formuliert, dem „‚profit with delight‘ topos“,20 der in der griechisch-römischen LiteraturtheorieLiteraturtheorie weit verbreitet ist. Interessant ist dabei, dass in der Hauptquelle, die für diesen Topos herangezogen wird21 – eine Passage aus der ars poetica des HorazHoraz – ebenfalls ein, insbesondere bezüglich der Interessen, heterogenes, anonymes und überregionales, LesepublikumLese-publikum von Büchern explizit thematisiert wird; und zwar von Büchern, die mit ökonomischem Interesse über den BuchhandelBuch-handel vertrieben wurden (vgl. Hor. ars. 341–346). Wenn nun der VerfasserAutor/Verfasser einerseits unterschiedliche Rezeptionsmodi für sein Werk antizipiert (s.o. S. 123 schon Polyb.Polybios 11 prooem. 2) und sich andererseits an den Standards der hellenistischen GeschichtsschreibungGeschichtsschreibung orientiert22 und als selbstbewusster SchriftstellerSchrift-steller auftritt, kann man Folgendes schlussfolgern: Der Übersetzer hat sein BuchBuch, wie schon Jesus SirachSir,