Karla Weigand

Der Pontifex


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in die Gegenwart, die keine Dauer hat und geht in die Vergangenheit, die aufgehört hat, zu bestehen.“

      (Kirchenvater Augustinus)

      Im siebzehnten Wahlgang taucht tatsächlich erstmals ein „Kardinal Maurice Obembe“ mit einer stattlichen Anzahl von Unterstützerstimmen auf, während die Nominierungen der beiden asiatischen Kandidaten drastisch schrumpfen. Auch die weißen Anwärter, in der Hauptsache Italiener aus Mailand, Venedig, Padua und Palermo, haben Stimmanteile eingebüßt.

      Der Kirchenmann aus Ostafrika mag ja bisher ein relativ unbeschriebenes Blatt sein – aber immerhin hat er dadurch auch noch keine Möglichkeit gehabt, sich im Kardinalskollegium unbeliebt zu machen oder sich im Vatikan persönliche Feinde zu schaffen.

      Dass ihn einige auch weiterhin ablehnen werden, wird also hauptsächlich seiner dunklen Hautfarbe geschuldet sein – aber damit kann er mittlerweile gut leben. In seinem Inneren weiß er es: „Da ist sie, die von mir erhoffte und sehnlichst erwartete Wende!“

      Ursprünglich rechneten die meisten Teilnehmer mit einem nur kurz andauernden Konklave; hatten doch im Voraus „gut unterrichtete Kreise“ in Rom verlauten lassen, dieses Mal werde man sehr schnell zu einer Einigung gelangen, weil man sich einig sei, einen Asiaten, den Kardinal von Manila, zum Pontifex zu küren. Was sich dann allerdings als Irrtum herausstellt. Von „Einigkeit“ unter den Wahlberechtigten kann keine Rede sein.

      Plötzlich werden immer mehr von ihnen auf den bisher kaum in Erscheinung getretenen Schwarzafrikaner aufmerksam.

      „Warum eigentlich nicht?“, mag sich manch einer der hohen geistlichen Herren fragen. „Ein farbiger Papst wird dieses Mal sowieso von aller Welt gewünscht. Und dieses Kriterium erfüllt der Mann aus Afrika ja nun weiß Gott!“

      Einige, Neider und Missgünstige, werden später zwar, bar jeder Logik und entgegen der Wahrheit, behaupten, die „geheime“ Wahl dieses Kandidaten sei von Anfang an mehr oder weniger eine Farce gewesen, weil das gewünschte Ergebnis im Grunde von Anfang an festgestanden habe.

      Richtig ist zwar, dass dieser Kardinal, der die Wahl, so sie denn auf ihn fiele, auch anzunehmen versprach, die „richtige“ Hautfarbe besaß, jedoch keinesfalls als glücklicher Zufall anzusehen war, sondern es ist quasi eine Art conditio sine qua non gewesen. Galt es doch längst als überfällig, endlich einem Farbigen das höchste Amt, das die Kirchenhierarchie zu vergeben hat, zuteilwerden zu lassen. Aber über Obembes Person waren im Vorfeld nun wirklich keinerlei Festlegungen getroffen worden.

      Zweifellos war es wichtig, die Kirche aus ihrer bedrohlichen Schieflage zu befreien. Wobei man allerdings stillschweigend davon ausgegangen war, einen Ostasiaten zum Pontifex zu küren. Aber ein Schwarzer war letztendlich auch nicht schlecht.

      * * *

      „Und dass die Kirche gerettet werden muss, das sehen die Gläubigen anscheinend – der Himmel mag wissen warum! – durch einen Papst der Dritten Welt am ehesten gewährleistet“, soll sich später in kleinem Kreis einer der enttäuschten italienischen Papstanwärter spöttisch geäußert haben; wofür er mehr oder weniger verärgerte Zustimmung erntete.

      Diejenigen, die sich über das Wahlergebnis mokierten, ließen dabei, ob bewusst oder unbewusst, ganz außer Acht, dass sie damit ja den Heiligen Geist desavouierten, der doch angeblich jede Papstwahl dominierte …

      Das Häuflein weißer Kardinäle, allesamt Italiener, die sich selbst Chancen auf den Papstthron ausgerechnet haben, begründen ihren Standpunkt folgendermaßen: „Gerade weil Mutter Kirche sich in großer Not befindet, hätte man im jetzigen Augenblick Kontinuität bewahren müssen!“

      Offenbar trauen sie einem Schwarzen die Herkulesaufgabe nicht zu, der Kirche ein Revival zu ermöglichen. Was allerdings nach der Wahl keiner mehr laut ausspricht – zumindest nicht, wenn einer mithören kann, der mit Sicherheit „den Neger“ gewählt hat.

      „Mimikama!“soll der neue Heilige Vater leise auf Suaheli gemurmelt haben, was „Gefällt mir!“ bedeutet, nachdem die Stimmen nach dem neunzehnten und letzten Wahlgang ausgezählt waren und das positive Ergebnis – immerhin fünfundachtzig Prozent! – den wahlberechtigten Kardinälen bekannt gegeben wurde. Das will zumindest ein kenianischer, etwas geschwätziger Teilnehmer gehört und sofort ausgeplaudert haben.

      Natürlich nahm der Gewählte ohne das geringste Zögern das schwere Amt an.

      I. BUCH

      INTROITUS

      „Willkommen im Hause des Herrn!

      Die Gemeinde versammelt sich, getreu dem Worte Jesu: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen.“

      Die Schar der Frommen und hauptsächlich der Neugierigen, die sich auf dem Petersplatz versammelt hat, ist aufs höchste gespannt, kaum dass der ranghöchste Kardinal von der über dem Mittelportal des Petersdoms gelegenen Benediktionsloggia aus, die ersehnte Nachricht verkündet:

      „Habemus Papam!“

      Darauf bricht an diesem Frühlingstag des Jahres 2039 der übliche Jubel los, der sich allerdings im Augenblick des Erscheinens des neuen Heiligen Vaters abrupt abschwächt – um unmittelbar darauf, gewissermaßen nach einer Schrecksekunde – sogar völlig zu versiegen.

      Ach, du gütiger Himmel! Ein Schwarzer! Oh, Gott!

      Ein unüberhörbares Raunen geht durch die Menge. Mit einem Chinesen oder Ähnlichem haben die Leute ja insgeheim gerechnet. Und jetzt ist es also ein Schwarzafrikaner geworden …

      Nach kurzem Zögern bricht erneut donnernder Jubel los, als die Menschen die imposante Gestalt genauer ins Auge gefasst haben. Das geradezu hysterische Geschrei, das die recht überschaubare Anzahl an Besuchern aus dem In- und Ausland veranstaltet, soll vermutlich darüber hinwegtäuschen, dass das Ereignis dieses Mal nicht übermäßig viele Zuschauer nach Rom gelockt hat.

      Wenn früher anlässlich einer Papstwahl der Petersplatz schier aus allen Nähten platzte, weil er die Menschenmassen kaum noch zu fassen vermochte, ist am heutigen Tag die Zahl der Jubler bestenfalls ausreichend. Die meisten werden diesen Event vermutlich bequem am Bildschirm verfolgen – wenn überhaupt.

      Der hochgewachsene, breitschultrige Kardinal, zweiundfünfzig Jahre alt, viel jünger aussehend, kerngesund und körperlich topfit, ist sichtlich zufrieden, als er sich den auf dem Platz Ausharrenden auf dem dafür vorgesehenen Ehrenbalkon des Petersdoms präsentiert. Im Fernsehen und auf sämtlichen Fotodokumenten heben sich die weißen Augäpfel sowie kräftige, gesunde, weiße Zähne von einem stolzen, geradezu aristokratisch anmutenden Gesicht, schwarz wie Ebenholz, deutlich ab.

      Wer in seiner unmittelbaren Nähe stünde und explizit darauf achten könnte, dem würde möglicherweise auffallen, wie stereotyp dieses breite Lächeln ist und dass es seine schönen schwarzen Augen mit den langen Wimpern keineswegs erreicht … Wie ein siegreicher Feldherr erhebt er kurz darauf beide Arme gen Himmel und erteilt, wie es für Päpste Sitte ist, dem unten auf dem Platz frenetisch jubelnden Häuflein der Gläubigen den Segen „urbi et orbi“.

      Nachdem viele niederknieten und alle sich bekreuzigten, lässt man den frisch Gekürten, der sich Leo nennt, erneut mit freudigem Beifall hochleben. Wer kann in diesem Augenblick ahnen, was in dem schwarzen Mann mit den edlen Gesichtszügen vorgeht?

      Kardinal Obembe, der die Wahl wie versprochen ohne einen Augenblick des Bedenkens annahm, genießt seinen Sieg. Hat er doch sein ganzes bisheriges Leben auf dieses eine Ziel hin bewusst und hartnäckig ausgerichtet, auch großen, vor allem inneren Widerständen zum Trotz – und zwar von frühester Jugend an.

      „Wer einen Fluss überquert, muss die eine Seite verlassen!“

      (Mahatma Ghandi)

      Dass diese Weisheit ihre Berechtigung hat, weiß der neue Heilige Vater nur zu gut. Auf vieles hat er verzichtet; so auch auf einen Beruf, der ihm tatsächlich zugesagt hätte …

      Der neue