seinen Vorgänger gleichen Namens, der immerhin von 1878 bis zum Jahre 1903 den Kirchenstaat viele Jahre kraftvoll regiert habe, überaus hoch zu schätzen und als Vorbild zu verehren.
Kardinal Maurice Obembe wird demnach der vierzehnte Papst mit dem Namen Leo sein. Die Geschichte Leos XIII. kennt er ganz genau.
Er weiß um den „Kulturkampf“, der in den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts in Deutschland zwischen Reichskanzler Otto von Bismarck und Papst Pius IX., Vorgänger Leos XIII., mit erbitterter Härte geführt worden war. Im katholischen Rheinland etwa, das zu Preußen gehörte, wurden sogar fünf von elf Bischöfen ins Gefängnis gesteckt und über Monate gefangen gehalten. Ein Skandal ohnegleichen!
Der Reichskanzler war entschlossen, den Einfluss der katholischen Kirche zu vernichten, was 1874 unter anderem zur Einführung der Zivilehe führte, nachdem man in Preußen zwei Jahre zuvor Ordensangehörige vom Lehrberuf in öffentlichen Schulen ausgeschlossen hatte. Sogar der mächtige Jesuitenorden war aufgelöst worden.
Papst Pius erklärte seinerseits die preußischen Gesetze für ungültig und belegte alle, die sich an ihrer Durchführung beteiligten, mit der Exkommunikation.
Nach dem Tode Pius IX. verhandelte der Reichskanzler direkt mit dem neu inthronisierten Leo XIII., einem intelligenten und harten Verhandlungsgegner. Kompromissbereitschaft der Deutschen war mittlerweile angesagt, denn die Zeiten hatten sich geändert: Bismarck wollte mit dem katholischen Österreich ein Bündnis schließen und im eigenen Land war die „Arbeiterbewegung“ zu einer gefährlichen Bedrohung geworden, so dass man sich den Luxus eines Zerwürfnisses mit Rom nicht mehr leisten konnte.
Mit den Friedensgesetzen von 1886 und 1887 fand der „Kulturkampf“ formell sein Ende; die kirchenfeindlichen Gesetze wurden zum Teil zurückgenommen.
Auch in Frankreich waren seit 1871 antikirchliche Gesetze erlassen worden. Das Parlament vollzog im Jahr 1905 die Trennung von Kirche und Staat. Ähnlich prekär war das Verhältnis zu den Wissenschaften: lag doch Charles Darwins Abstammungslehre der Kirche bleischwer im Magen, weil Darwin dadurch die biblische, zugegebenermaßen kindlich-naive Version von der Erschaffung des Menschen infrage stellte.
Leo XIII. lehnte den „Darwinismus“, der die Evolution der Rassen, auch der menschlichen, propagierte, strikt ab, während er für die sozialen Fragen der neuen Zeit durchaus aufgeschlossen war. Er verfasste auch eine Bulle mit dem Titel „Rerum Novarum“, in der ein Ausgleich zwischen Armen und Reichen gefordert wurde und worin der Papst anmahnte, sich hauptsächlich der Bedürftigen anzunehmen. Damit hatte Leo XIII. immerhin die katholische Soziallehre begründet.
„Gegen die Nacht können wir nichts tun, aber wir können ein Licht anzünden!“
(Franz von Assisi)
Am nächsten Tag ist im Osservatore Romano zu lesen:
„Ausgerechnet diesen sozial gesinnten, starken und durchsetzungsfreudigen Papst wählt der neue Heilige Vater, Leo XIV. zu seinem Vorbild! Damit steht ihm eine Aufgabe bevor, die ihresgleichen sucht: Niemals war die Kluft zwischen den Superreichen und den Habenichtsen so groß wie heute, obwohl man diese Schieflage schon seit vielen Jahrzehnten wortreich beklagt und Besserung anmahnt – bisher vergeblich. Seiner Heiligkeit dafür Gottes Segen!“
Von denen, die über Kirchengeschichte in neuerer Zeit Bescheid wissen, unter anderem die hohen Kleriker in Rom – mag sich manch einer fragen, ob Leo XIV. einerseits die gebotene Standfestigkeit besitzen, andererseits die nötige Unterstützung für sein ambitioniertes Projekt erhalten wird.
Dass er ehrgeizige Pläne hat, schließt man daraus, dass er den letzten Leo als großes Vorbild benennt und ihm nacheifern möchte.
Gerade vom gerechteren Verteilen immenser Vermögen unter unsagbar Armen und Verelendeten kann derzeit nirgendwo auf der Welt auch nur im Ansatz die Rede sein. Ein schlechtes Beispiel dafür ist ausgerechnet die kommunistische Volksrepublik China, die zwar den einst bekämpften Kapitalismus verinnerlicht zu haben scheint – aber eben nur für die Oberschicht, Parteibonzen und ähnliches. Für die Millionen von Wanderarbeitern interessiert sich nach wie vor niemand.
Aber auch der angeblich sozial fortschrittliche, demokratische Westen lässt in dieser Hinsicht mehr als zu wünschen übrig. Überall sind soziale Kälte und rücksichtsloses Gewinnstreben vorherrschend oder auf dem Vormarsch.
So ist es nur verständlich, dass sich nicht nur die Augen katholischer Gläubiger voll Erwartung und Hoffnung auf den neuen Papst richten. Er hat zwar „keine Armeen zur Verfügung“, wie mal jemand treffend festgestellt hat, aber ein mahnendes Wort von ihm als einer moralischen Instanz gilt immer noch etwas – hofft man zumindest.
„Und er wird jede Träne abwischen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch wird Trauer noch Geschrei noch Schmerz mehr sein. Die früheren Dinge sind vergangen.“
(Johannes, Offenbarung 21, 4)
„Immerhin fünf der mir vorausgegangenen Päpste mit dem Namen Leo zählen zum Kreise der Heiligen, die ich ganz besonders verehre“, betont der Heilige Vater in seiner allerersten Stellungnahme vor laufenden Fernsehkameras.
Die katholische Welt, sofern sie noch existiert, ist begeistert! Der Neue schaut nicht nur fantastisch und für seine immerhin zweiundfünfzig Lebensjahre noch sehr jugendlich aus, er wirkt auffallend athletisch und es steht zu erwarten, dass dieser schwarze Diener Gottes über Jahrzehnte hinweg den irritierten Gläubigen den rechten Weg weisen wird in eine Zukunft voll Frieden und Gerechtigkeit. Auf ihm ruhen im Augenblick die Hoffnungen vieler, in die Jahre gekommener Kardinäle ebenso wie die junger Laienkatholiken. Hoffnungen auf eine Erneuerung, die diesen Namen auch verdient, und auf eine Wiederbelebung einer über zweitausend Jahre alten Institution, die mittlerweile längst bedenklich an Strahlkraft und vor allem massiv an Autorität eingebüßt hat.
Einige seiner letzten Vorgänger auf dem Stuhle Petri, allesamt glühende Marienverehrer, sind zwar darauf bedacht gewesen, besonders die Jugend für die Kirche und ihre Ideale zu gewinnen und zu begeistern. Letzten Endes sind sie gescheitert, die Kirche erneut zu jenem Erfolgsmodell werden zu lassen, welches sie einst (jeglicher berechtigten Kritik zum Trotz) über Jahrhunderte gewesen ist.
Papst Leo XIV., bisher als Kardinal Maurice Obembe, zumindest in Europa nach außen hin sehr unauffällig, gilt offiziell als gemäßigt, auf ehrlichen Ausgleich mit anderen christlichen Glaubensbrüdern bedacht und vor allem als absolut tolerant gegenüber Anhängern anderer Religionen. Ob und wieweit dieser Ruf der Wahrheit entspricht, wird die Zukunft zeigen.
DEMÜTIGE KNIEBEUGE
„Wenn der Gerechte ruft, so hört ihn der Herr.“
(Psalm 34, 18)
Seine Heiligkeit, seit seiner Jugend unter Schlaflosigkeit leidend, vermag auch in den ersten Tagen nach seiner Wahl zum Pontifex in den Nächten keine Ruhe zu finden. Ruhelos und innerlich aufgewühlt wandert er in seinem Schlafzimmer umher, einem Raum, der ihm keineswegs zusagt. Die Größe mag ja noch angehen, aber das Mobiliar? Da wird er schleunigst für eine ihm genehme Ausstattung sorgen.
„Warum nicht mein afrikanisches Erbe betonen?“, fragt er sich laut, während er schon zum zehnten Mal die Strecke von der Tür bis zu den bodenlangen Fenstern durchmisst. Er hat es schon immer gemocht, laut mit sich selbst zu sprechen und gedenkt nicht, dies noch zu ändern. Außerdem ist er allein; abgesehen von Paddy, seinem Leibdiener. Aber der gehört ja gewissermaßen zum Inventar.
„Das ist das Angenehme daran: Vor ihm brauche ich mich nicht zu verstellen und muss mir keinerlei Hemmungen auferlegen.“
Leo XIV. klatscht in die Hände vor Vergnügen, als er überlegt, dass es nun an ihm liegt, das über Generationen gepflegte Gelübde, das alle jeweils ältesten Söhne der Obembe-Familie seit den „Tagen des Elends“ abgelegt haben, zu erfüllen: Vergeltung zu üben für die Schmach, die die Kolonialmacht Deutschland ihnen zugefügt hatte.
Wie hatte es Elisa, die Frau