Karla Weigand

Der Pontifex


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die Hilfe seines Dieners Paddy Lumboa, den er, was sehr selten vorkommt, barsch anfährt, in Anspruch nehmen.

      Betroffenheit, zumindest Verwunderung, macht sich nach seiner Predigt bei vielen seiner Zuhörer breit.

      Dieser Heilige Vater mit dem Ruf des sozial Engagierten, des Besonnenen und um Ausgleich Besorgten, verfolgt anscheinend ganz andere Ziele. Strebt er in Wahrheit nicht nach Balance? An Versöhnung scheint ihm auch nicht besonders viel zu liegen; dafür umso mehr an Kampf und Auseinandersetzung!

      Wie war das noch gleich? Er werde sich nicht davor scheuen, echte Streiter des Glaubens, wahre Krieger für den Katholizismus heranzuziehen und ausbilden zu lassen, kündigte er an. Vokabeln, die nicht gerade für Sanftmut und Güte zu sprechen scheinen …

      „Die Welt muss endlich aufgerüttelt werden! Schluss muss sein mit erbärmlicher Weinerlichkeit und ratlosem Gewährenlassen!“, verrät Leo der staunenden Zuhörerschaft im Petersdom. Nicht den Forderungen der „Lauen“ dürfe die Kirche derzeit nachgeben, sondern sie müsse beherzt zu ihren allzeit gültigen Anforderungen stehen, falls sie überleben wolle! Christsein, ein Auserwählter sein, das gäbe es nicht zum Nulltarif, sondern müsse zumeist mühsam errungen werden.

      „Auf in den Kampf für Christus und seine heilige Kirche! Opfere notfalls freudig dein Leben für den Herrn Jesus und dein ewiges Heil!“, lautet einer der Schlusssätze von Leos erster Predigt als frischgewählter Pontifex.

      Dies wird in Kürze als Botschaft vom Vatikan aus rund um den Globus gehen. Für sehr viele eine veritable Enttäuschung. Auch das Folgende wird nicht bei allen so schnell dem Vergessen anheimfallen:

      „Zur Hölle mit dem verweichlichten Gesäusel von Frieden und Ausgleich! Das andauernde Zurückweichen, die berechtigten Ansprüche an die Gläubigen betreffend, hat die Kirche nicht gestärkt, sondern sie im Gegenteil an den Rand des Abgrunds geführt! Es lebe die harte Konfrontation mit Irrglauben und Unglauben!“

      ‚O je’, mögen sich viele kopfschüttelnd denken. ‚Gegen die Ungläubigen, die es vorziehen, zu wissen, anstatt zu glauben, ist er ohnehin machtlos; aber der Heilige Vater sucht offenbar die Konfrontation mit dem Islam und anderen nichtkatholischen Religionsgemeinschaften! Und gewiss auch mit den Lauen, die der Herr ausspeien wird aus seinem Munde, weil deren Rede nicht auf kraftvolles und überzeugtes ‚ja, ja’ oder ‚nein, nein’ hinausläuft, sondern nur hilfloses Gestammel zuwege bringt: ‚Herr, Herr!’’

      So steht es ja auch in der Heiligen Schrift. Und der Heilige Vater legte noch einiges an Leidenschaftlichkeit nach: „Wer behauptet, Christ zu sein, der beweise es!“, rief Leo XIV. in Sankt Peter mit Inbrunst aus. „Nicht der Beter im stillen Kämmerlein wird die bedrohte und verfolgte Sancta Ecclesia retten, sondern derjenige, der sich nicht scheut, Blut und Leben für die allein seligmachende heilige Kirche zu vergießen und zu opfern!“

      Da zuckten einige regelrecht zusammen. Was meinte der Heilige Vater damit? Redete er etwa einem neuen Kreuzzug das Wort, bei dem das Blut der Ungläubigen vergossen werden soll?

      Aber bereits der nächste Satz aus Leos Mund ließ die meisten Aufgeschreckten ziemlich beruhigt auf ihre Sitze zurücksinken. Hatte der Papst, (der allerdings ein fantastisches Italienisch spricht), in heiligem Eifer womöglich nur die falschen Begriffe gewählt, als er so pathetisch die Floskel vom „Blutvergießen“ in den Mund nahm?

      „Nur wer den eigenen Tod nicht fürchtet und sich Jesus, den Sohn Gottes zum Vorbild nimmt, wird am Ende die Siegespalme erringen und kann den Teufelskreis der Gottlosigkeit durchbrechen, der sich mittlerweile auf dem Erdkreis ausbreitet; und er wird letztlich dafür sorgen, dass nicht irgendwelche ‚Ersatzgötter’ das Sagen haben werden, oder schließlich gar der Islam das Rennen macht!“

      Also ein edler Wettstreit der Religionen und nichts mehr von „Leben opfern“ und „Blut vergießen“ …?

      Die markigen Worte fallen bei einigen der anfangs geschockten geistlichen Zuhörer erstaunlicherweise auf fruchtbaren Boden. Angesteckt und überwältigt von den kraftvollen Einlassungen des charismatisch wirkenden Papstes würden diese wenigen alles, wirklich alles, dafür tun, um seine Botschaft zu verbreiten.

      So in etwa hören sich zumindest ihre allerersten Kommentare an. Genau das nehmen sich diese wenigen kirchlichen Würdenträger vor, getragen von einer nie gekannten Euphorie, die der frisch gekürte Heilige Vater in ihnen geweckt hat. Allerdings gibt es auch zahlreiche Kenner des menschlichen Herzens, das man in aller Regel zu Recht geschlagen weiß mit Trägheit, Klein- und Wankelmut; und diese Kenner ahnen, dass die Wirkung dieser päpstlichen Ansprache mehr oder weniger im Sande verlaufen wird.

      Ob „der Neue“ sein Pulver etwa schon verschossen hat?

      EHRFURCHTSVOLLER ALTARKUSS

      „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt.“

      (Psalm 121)

      „Ecclesia semper reformanda!“

      „Dass die Kirche immerfort reformiert werden müsse, ist eine Binsenweisheit, aber was Leo XIV. in seiner Predigt einfordert, ist kein Fortschritt, sondern das genaue Gegenteil!“, behaupten die Gegner. Und überhaupt:

      „Tatsächlich würde es einer übermenschlichen Anstrengung bedürfen, um das schwerfällige Rad der Geschichte kraftvoll zurückzudrehen, um damit den schleichenden, sich neuerdings zunehmend beschleunigenden Niedergang der Kirche aufzuhalten.

      Eine einzige Ansprache, und sei sie noch so aufrüttelnd, vermag solches nicht zu leisten. Da müsste schon Gewichtigeres hinzukommen …“, meinen die Skeptiker.

      „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig. So werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht.“

      (Matthäus, 11, 28–30)

      Es ist kein Geheimnis: Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Mitgliederschwund der katholischen Kirche geradezu beängstigend. Und er hält noch immer an, ja, er scheint derzeit noch an Popularität zu gewinnen.

      Die „Vernünftigen“, jene Leute, die sich dafür halten und nicht bereit sind, sich „intellektuell gängeln“ zu lassen, ja, die es sich verbitten, wie Kleinkinder behandelt zu werden, indem man sie mit Märchen von „vaterloser Zeugung“, Jungfrauengeburt, Auferstehung von den Toten, dubiosen „Himmelfahrten“, der „Dreifaltigkeit(?) Gottes“ und fragwürdigen „Wundertaten“ abspeisen möchte, treten in Scharen aus der kirchlichen Gemeinschaft aus, wollen diesen Schritt demnächst vollziehen – oder werden erst gar nicht Mitglied.

      „Dazu kommt, dass ‚der moderne Mensch’ es heute nicht mehr hinnimmt, in seiner ganz privaten Lebensführung eingeengt und bevormundet zu werden, indem man ihm beispielsweise außereheliche sexuelle Beziehungen verbietet, ihm aber gleichzeitig Scheidung und spätere Wiederverheiratung als ‚schwere Sünde’ ankreiden will und ihn obendrein ‚zur Strafe’ von allen Sakramenten ausschließt“, moniert sogar ein als erzkonservativ angesehener Erzbischof aus Palermo, von dem gleichzeitig bekannt ist, dass er beste Beziehungen zur Mafia, der „Ehrenwerten Gesellschaft“, unterhält …

      „Irren ist menschlich! Das weitere Zusammenleben mit einem im Verlauf der Ehe sich als unpassend erweisenden Partner sowie der Verzicht auf eine Verbindung mit einem anderen geliebten Menschen, darf nicht verlangt werden, weil es die Betreffenden nur unglücklich macht. Und“, doziert Vincente Camilleri mit erhobenem, von der Gicht verkrümmtem Zeigefinger, „es gilt vor allem, das Unglücklichsein während der begrenzten Lebenszeit zu vermeiden!“

      Damit bestätigt der hohe geistliche Herr die Maxime der säkular eingestellten Menschheit: „Jeder hat das Recht, glücklich zu sein!“ Sogar vom letzten Dalai Lama ist überliefert, er glaube, „der einzige Sinn des Menschen auf Erden ist, glücklich zu sein!“

      Das Gleiche behaupten mittlerweile selbst viele katholische