war. Dann tauchte das Internet auf und alles änderte sich, erst langsam und dann mit einer Geschwindigkeit, die nur noch von der Zerstörungskraft übertroffen wurde, mit der sich die Online-Plattformen die Geschäftsmodelle etablierter Unternehmen kaperten. Mittels Technologie setzten sie sich zwischen die Lieferanten-Kunden-Beziehung. Sie dockten an der sensibelsten Stelle im System an, dem Kaufprozess, und nutzten die Technologie als Bypass, um diesen Prozess zu unterbrechen. Die entstandene Lücke wurde mit unterschiedlichen Leistungsversprechen gefüllt und damit war die Lieferanten-Kunden-Beziehung gestört. Durch die Vorteile, die durch diese Online-Plattformen entstanden, wurden die Vorteile der persönlichen Beziehung abgewertet. An deren Stelle traten nun mehr oder weniger rationelle Vorteile wie Preis, Verfügbarkeit und die Bequemlichkeit, alles von zu Hause oder am Arbeitsplatz zu erledigen. Im gleichen Tempo wie das Internet und damit die Digitalisierung Einzug in unser Leben hielt, stieg auch die Emanzipation des Kunden. Informationen über Produkte, Preise und Qualität waren kein Luxus mehr, sondern frei verfügbar. Unterhielt man sich früher auf Messen über die Produkte, deren Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten und musste vor Ort unterschiedliche Anbieter vergleichen, reicht heute ein Klick im Netz, um Kundenerfahrungen abzurufen.
Aber nicht nur die Kunden haben sich emanzipiert und sind autonomer in ihren Entscheidungen geworden. Auch die bestehenden und vor allem die potenziellen Mitarbeiter konnten nun das Image des Unternehmens als Arbeitgeber öffentlich bewerten. Damit wurde nun die Unternehmens- und vor allem die Führungskultur für jeden potenziellen Bewerber einsehbar und Mitarbeiter konnten ihrem Frust freien Lauf lassen. Die Folgen dieser neuen Möglichkeit wirkten sich unterschiedlich aus. Während die vorausschauend denkenden Unternehmen nun das Thema Mitarbeiterzentrierung in den Mittelpunkt ihrer Kultur stellen, engagierten die tendenziell rückwärtsgewandten Unternehmen Detekteien, um die Mitarbeiter auszuspionieren, die schlecht über das Unternehmen urteilten, in dem sie arbeiten. Ein weiterer Hinweis, wie sehr das Internet und seine Möglichkeiten die Wirtschaftswelt verändert haben.
Wir beobachten heute, nicht zuletzt durch die Isolation des Individuums durch die Corona-Krise, ein neues Bedürfnis nach Nähe und persönlichen Begegnungen. Zwar haben wir uns an den digitalen Alltag gewöhnt, aber wir werden immer kritischer gegenüber den Unternehmen, die uns nur als angereicherten Datensatz kennen und zu denen wir keine Beziehung herstellen können, da wir als physisches Wesen in deren Data Lakes nicht existieren. Schon länger reagieren Plattformen in unterschiedlichen Branchen mit Call Center Services und proaktivem Kontakt zum Kunden. Doch diese Qualität der persönlichen Beziehung reicht nicht aus, um den Wunsch nach Vertrautheit und Austausch zu befriedigen. Eine Stimme kann kein gemeinsames Treffen ersetzen und selbst wenn audiovisuelle Plattformen, wie Zoom, MS Teams etc., schon viele Möglichkeiten bieten, können sie den persönlichen Kontakt nicht ersetzen.
Welches Fazit können wir aktuell aus den oben geschriebenen Zeilen ziehen? Kundenzentrierung und Mitarbeiterzentrierung sind zwei Begriffe, die durch die Digitalisierung der Wirtschaft entstanden sind und die, nicht zuletzt aus diesem Grund, ausschlaggebend für erfolgreiche Unternehmen sind. Das eine funktioniert nicht ohne das andere und das bedeutet ein enormes Umdenken an der Spitze der Unternehmen. Heute geht es um die besten Mitarbeiter, die mit den besten Kunden im Sinne einer gemeinsamen Wertschöpfung zusammenarbeiten. Ob der Tante-Emma-Laden eine Renaissance erfahren wird, wissen wir nicht, aber es zeichnet sich ab, dass die Menschen immer mehr Wert auf gute Qualität und persönliche Beratung legen. Die Chancen, die sich durch die Digitalisierung ergeben, werden nur partiell dazu genutzt, um das Lieferanten-Kunden-Verhältnis zu optimieren. Im Mittelstand herrscht zum Teil eine fast noch naive Sicht auf das tatsächliche Gefahrenpotenzial, das durch die Digitalisierung entstanden ist. Gleichzeitig nehmen wir eine zunehmende Disruption auch kleinerer Geschäftsmodelle wahr, die vor allem den Mittelstand betreffen. Während sich große Plattformen wie Amazon, Google, Alibaba und Co. in Zukunft auf die großen Geschäftsfelder wie Versicherungen und Finanzdienstleistungen, den Reisemarkt und das Gesundheitswesen stürzen werden, sehen wir immer mehr Spezialanbieter, die sich in Nischen breitmachen. Diese Nischen werden typischerweise von einer kleinen Anzahl mittelständischer Unternehmen bedient, die einen speziellen Markt unter sich aufteilen. Der klassische Zwischenhandel wird das erste Opfer dieser neuen Unternehmen der Digitalökonomie sein, denn er ist ersetzbar. Wenn der Lieferant seine Produkte mit höherem Gewinn am Markt verkaufen kann, weil er diese Vertriebsstufe ausschaltet, wird er es tun. Selbst wenn er es nicht freiwillig macht, wird er dazu gezwungen werden, sobald der erste Hersteller seiner Branche damit beginnt, den Anwender oder Kunden direkt zu adressieren. Spielt er nicht mit, wird er keine marktfähigen Preise mehr erzielen und damit vom Markt verschwinden. Die Frage ist, wie schnell diese Unternehmen reagieren und ihre eigenen Plattformen bilden, oder ob es wieder ein kleiner und unbedeutender Anbieter digitaler Dienstleistungen sein wird, wie es Amazon vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten war.
Wenn man alle Fakten zusammenzählt, kann man nicht umhin, Kundenzentrierung als beste Option zu sehen, sein Geschäftsmodell weiterzuentwickeln und sein Unternehmen zukunftsfähig zu gestalten. Das Beste aus allen Welten in einer Organisation zusammenzuführen ist sicher nicht einfach, aber es ist möglich. Was meinen wir mit »das Beste aus allen Welten«? Kurz gesagt: Kundenzentrierung, Digitalisierung und Mitarbeiterzentrierung in allen Unternehmensbereichen barrierefrei und profitabel für alle.
Wie kam es nun vom Tante-Emma-Laden zur Customer Centricity Company? Dazu werfen wir einen Blick in die jüngste Vergangenheit, an den Beginn der Digital-Ökonomie.
Am Anfang war die IP-Adresse …
Am Beginn der Digitalökonomie bildeten IP-Adressen, die den Kunden und seine Bewegungen im Netz abbildeten, den Grundstein, um mit ihm in Kontakt zu treten. Schnell wurde klar, dass die IP-Adresse allein überhaupt keinen Wert darstellt, wenn sie nicht personalisiert wird. Also wurden Technologien entwickelt, die diese Adressen mit Profildaten hinterlegten. Der dadurch ausgelöste Datenhunger wurde durch immer komplexere Software gestillt und neue Geschäftsmodelle bahnten sich ihren Weg. Gleichzeitig mit tausenden von Kunden in einen vertrauensvollen, digitalen Dialog zu treten, war eine neue Herausforderung und viele Unternehmen scheuten sich davor. Gefordert wurden neue Kompetenzen, die in den wenigsten Unternehmen verfügbar waren. Die digitalen Verkaufskanäle eroberten zuerst den B2C-Markt und disruptierten den klassischen Handel, indem sie einfach den Verkaufsprozess unterbrachen. Das Motto dieser neuen Unternehmen, allen voran Amazon, war: »Kill the middleman«, also die Eliminierung des Zwischenhandels. Direkt vom Erzeuger zum Endverbraucher und die damit einhergehenden Preisvorteile wurden gleich mitverkauft. Je höher die Personalisierung der IP-Adressen wurde, umso schneller wurden Algorithmen entwickelt, um die Kundenprofile mit vorausschauenden Prognosen zu füttern. Wenn also jemand Öko-Windeln in der Größe Small online bestellt, ist offensichtlich ein zwei- bis dreijähriges Kind im Haushalt. Für den Algorithmus bedeutet diese Information, den Datensatz mit neuen Informationen anzureichern. Gleichzeitig kennt der Datensatz die Adresse, leitet davon das Haushaltsnettoeinkommen, die Bildung der Bewohner, die präferierten Nahrungsprodukte etc. ab und testet diese durch personalisierte Angebote, die auf unterschiedlichen Websites ausgespielt werden. Daraufhin wird beobachtet, welche Customer Journey die IP-Adresse nimmt, an welchen Touchpoints sie sich länger aufhält, wo sie den Prozess abbricht, welche verlinkten Websites oder Landing Pages aufgerufen werden und wie häufig welche Keywords in Suchmaschinen eingegeben werden. Wenn Sie glauben, dies beschreibt einen komplexen Prozess, dann muss ich Sie enttäuschen. Das Beschriebene ist noch nicht einmal ein Prozent dessen, was in Millisekunden durch Ihre Bewegungen im Netz an analytischer Arbeit ausgelöst wird. Die digitalen Unternehmen haben verstanden: Wer die Daten besitzt, hat die Macht. Auf diese Weise wurden Geschäftsmodelle in einer Geschwindigkeit disruptiert bzw. eliminiert, die atemberaubend war. Wer hätte gedacht, dass sich Taxiunternehmen durch ein Unternehmen disruptieren lassen, das noch nicht einmal ein einziges Auto besitzt? Als Uber seinen Siegeszug begann, wurde die Idee von den meisten Taxiunternehmen belächelt. Heute ist ihnen das Lachen vergangen und nur gesetzliche Regularien führen dazu, dass diese Branche noch einigermaßen überlebensfähig ist. Wie Pilze schossen Unternehmen auf den Markt, die nur einen einzigen Zweck verfolgten, bestehende Geschäftsmodelle ins Internet zu verlagern und damit den Kunden auf ihre Seite zu ziehen. Vielen ist das gelungen und es werden jeden Tag mehr. Der führende Immobilienmakler hat keine einzige Immobilie,