Alfred Bekker

Elbkiller: 7 Hamburg Krimis


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      Spengler starrte seinen Chef sprachlos an. „Woher wissen Sie das?“

      Brock spannte seinen Assistenten nicht länger auf die Folter und berichtete ihm, was er an neuen Erkenntnissen besaß, darunter auch die Tatsache, dass der Unfall vom letzten Hafengeburtstag entgegen ihrer ersten Annahme tatsächlich ein Unfall gewesen war. Leichtsinnig, vermeidbar, aber eben doch nur ein Unfall.

      „Ich will nicht behaupten, dass es den Richtigen getroffen hat“, bemerkte Spengler, „doch ein wirklicher Verlust für die Menschheit war dieser Tod nicht.“

      „Darüber sollten wir nicht urteilen. Was haben Sie noch?“

      Spengler blätterte in einem der Ordner. „Ich habe über die professionellen Fensterheber und über Bergsteigerseile nachgedacht.“

      Brock hob den Blick zur Decke. „Sie auch?“

      Spengler nickte eifrig. „Ja. Wer braucht so etwas in einer Stadt, in der es keine Berge gibt? Dann habe ich mir gesagt, dass niemand solche Fensterheber schnell besorgen konnte, um Markus Holler damit an ein Fenster zu kleben. Also besaß er sie schon vorher, und zwar in größerer Stückzahl. Ich habe dann einige Firmen angerufen, die solche Saugheber vertreiben, und schon bei der dritten bin ich fündig geworden. Innerhalb der letzten zwei Monate hat nur eine einzige Hamburger Firma ein Dutzend dieser Geräte gekauft.“

      Brock beugte sich vor. „Sie machen mich wirklich neugierig.“

      „Es handelt sich um eine Firma für Gebäudereinigung.“

      Brock lehnte sich wieder zurück. „Stimmt, die brauchen so etwas. Aber das ist noch kein Beweis. Und die Bergsteigerausrüstung, wie passt die ins Bild?“

      „Die Firma beschäftigt auch Industriekletterer für Spezialarbeiten an Hochhäusern.“

      „Spengler, Sie haben mein Interesse!“

      Sein Assistent grinste wie ein Honigkuchenpferd. „Das Beste kommt noch. Die Firma, um die es sich handelt, gehört einem gewissen Igor Jennisew, ein gebürtiger Russe.“

      Brock schwieg eine ganze Weile.

      „Ein Russe!“, sagte er schließlich. „Wir sollten unbedingt mit ihm reden. Mal sehen, wie er uns das erklärt. Haben Sie die Adresse?“

      Spengler klopfte auf den Ordner. „Ist hier drin.“

      „Doch vorher sehen wir uns die Wohnung von Holler an.“

      *

      In der Osterstraße war wie üblich viel Betrieb. Der Stadtteil Eimsbüttel war in den letzten Jahren immer beliebter geworden – und die Mieten höher. Viele jüngere Leute belebten die Straße. Die Cafés und Eisdielen waren gut besucht.

      „Dort ist es!“

      Brock entdeckte das Haus, das noch aus der Kaiserzeit stammte, als Erster. Es machte einen gepflegten Eindruck und schien in jüngerer Zeit renoviert worden zu sein. Die Fassade strahlte in einem matten Weiß, die Fensterumrahmungen waren farblich abgesetzt.

      Spengler parkte den Wagen in einem Halteverbot vor dem Haus und klappte die Sonnenblende herunter. Darauf befand sich der Hinweis, dass es sich um einen Wagen im Einsatz handelte. Sie stiegen aus und gingen über den breiten Bürgersteig zu einem offen stehenden halbhohen Gitter, das die Straße von einem winzigen Vorgarten trennte. Einige Stufen führten zur Haustür.

      Nach der Anordnung der Klingeln zu schließen, wohnte Holler in der ersten Etage. Brock drückte den Klingelknopf, doch erwartungsgemäß geschah nichts.

      Spengler beugte sich zu dem Türschloss hinunter. „Das ist ein Sicherheitsschloss. Wie kommen wir da rein?“

      Brock ließ einen Schlüsselbund vor seinen Augen baumeln. „Damit!“

      Sie betraten das Haus. Die Anordnung im Inneren entsprach der üblichen Architektur der Stadthäuser dieser Zeit. Ein Flur, unterbrochen von drei Stufen, geradeaus das Treppenhaus. Rechts und links die Wohnungen des Erdgeschosses. Es roch nach frischer Farbe. Stille umgab sie.

      Sie stiegen hintereinander die Treppe empor. In der ersten Etage gab es wieder zwei Wohnungen. Die linke gehörte Markus Holler.

      Brock steckte seinen Schlüssel ins Schloss und wollte ihn gerade herumdrehen, als er stutzte. Die Tür war nicht abgeschlossen, noch nicht einmal zugezogen worden. Er drückte sie vorsichtig auf, bis ein kleiner Spalt entstand.

      In der Wohnung war es dunkel. Brock schob die Tür weiter auf, und sie betraten den Vorraum, von dem mehrere Türen in verschiedene Zimmer führten. Alle waren geöffnet.

      Auf der rechten Seite zur Straße hin war ein großer Wohnraum zu sehen, der durch eine Schiebetür mit einem weiteren großen Raum verbunden war, der hier als Speisezimmer genutzt wurde. Die Häuser aus dieser Zeit besaßen alle einen ähnlichen Grundriss: an der Straßenseite die öffentlichen Räume, in die man Besucher führen konnte, zur Rückseite gab es einen langen Flur, von dem die privaten Räume abgingen.

      „Da ist uns jemand zuvorgekommen“, stellte Brock leise fest.

      Die Bücher aus dem Bücherregal lagen in einem Haufen auf dem Boden, dazwischen Zeitschriften und einzelne Blätter. Die Türen und Schubladen einer Anrichte waren geöffnet, Gegenstände herausgerissen worden. Bilder hingen schief oder lagen ebenfalls auf dem Boden. Hier hatte jemand alles gründlich durchsucht.

      Der Rest der Wohnung sah ähnlich aus. Im Schlafzimmer war das Doppelbett auseinandergenommen worden, die Matratze stand hochkant an der Wand, Bezüge und Kissen lagen in einem wirren Haufen daneben. Die Küche sah besonders schlimm aus. Auf den Bodenkacheln lagen zerbrochene Gläser und Geschirr.

      „Das muss sich die Spurensicherung ansehen“, sagte Brock und deutete auf einen gerade noch zu erkennenden Schuhabdruck. Da war jemand in die Pfütze einer halb ausgelaufenen Rotweinflasche getreten, die vor der Spüle lag.

      „Was hoffen wir hier zu finden?“, fragte Spengler.

      „Jetzt nichts mehr“, entgegnete der Hauptkommissar und drehte sich um seine Achse. „Ich frage mich allerdings, was sie gesucht haben.“

      „Die Russen?“

      Brock wiegte den Kopf. „Vielleicht.“

      6. Kapitel

      „Biegen Sie da vorn mal rechts ab“, befahl Hauptkommissar Brock. „Da war ein Hinweisschild.“

      Sie waren ein ganzes Stück auf dem Veddeler Damm gefahren, an dem zahlreiche Firmen ihre Lagerhäuser besaßen. Auch die Reederei Holler hatte sich hier angesiedelt. Sie fuhren direkt auf das Firmenschild an einer fensterlosen Halle zu, vor der ein großer Parkplatz lag, auf dem einige Container abgestellt waren. Ein einsamer Lastzug stand auf der betonierten Fläche. Sie parkten ein Stück daneben.

      „Es wird Zeit, dass wir mit Tim reden, dem Neffen von Anton Holler. Bis jetzt hatte ich noch keine Gelegenheit dazu. Ich hoffe, dass wir die offene Planstelle in unserer Abteilung bald besetzen können, damit es nicht solche Verzögerungen gibt, die wir uns eigentlich nicht erlauben können.

      Kommissaranwärter Spengler sagte dazu nichts. Vermutlich malte er sich aus, dass er einen weiteren Vorgesetzten bekommen würde, der nichts Besseres zu tun hatte, als ihm Anweisungen zu erteilen.

      Brock warf seinem Assistenten einen schrägen Blick zu und deutete den missmutigen Gesichtsausdruck richtig. „Keine Sorge, Sie bleiben weiter direkt mir unterstellt.“

      Spengler lächelte, und sie stiegen aus. Sofort umfingen sie die Geräusche und die typischen Gerüche des Hafens. Das Gekreische der Möwen erfüllte die Luft. Aus der Ferne drang der Lärm von zusammenprallendem Metall zu ihnen durch.

      Ohne zu zögern marschierten sie auf das breite Doppeltor der Halle zu, dessen sehr viel kleinerer Personendurchgang geöffnet war. Sie standen in einem riesigen Raum, der weitgehend