Alfred Bekker

Elbkiller: 7 Hamburg Krimis


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      „Er ist nicht freiwillig dort gewesen“, fuhr Brock fort und ermahnte sich dabei selber, nicht länger um den heißen Brei herumzureden. „Man hat ihn ermordet und dann dort abgelegt.“

      Holler saß stocksteif in seinem Sessel, die Hände um die Lehnen gekrampft. Seine Kiefer mahlten leicht.

      „Wie?“, fragte er schließlich mit dumpfer Stimme.

      Brock hatte schon vorher beschlossen, ihm nicht die ganze Wahrheit zu erzählen. „Er befand sich hinter einem Fenster mit Blick auf die Elbe. Die genaue Todesursache wird noch ermittelt.“

      Schweigen breitete sich im Raum aus. Nur eine alte Standuhr tickte. Aus dem Esszimmer drang der gedämpfte Lärm von Geschirr und Gesprächsfetzen.

      „Wer hat das getan?“

      „Das wissen wir noch nicht. Doch wir werden es herausfinden, das verspreche ich Ihnen.“

      Holler war in seinem Sessel zusammengesunken. Jetzt schimmerte eine Träne in seinem Auge.

      „Soll ich …?“, fragte Brock und deutete auf die Tür zum Esszimmer.

      Holler schüttelte den Kopf. „Das werde ich selbst übernehmen. Gehen Sie jetzt.“

      „Sie müssen morgen Ihren Sohn identifizieren. Oder jemand anders aus Ihrer Familie. Kommen Sie bitte am Nachmittag in die Rechtsmedizin. Die befindet sich im UKE, im Universitäts-Klinikum Eppendorf.“

      Ein langsames Nicken. „Ich werde dort sein.“

      *

      Horst Spengler machte an diesem Tag seinen zweiten Besuch bei der Wasserschutzpolizei, nachdem er noch einmal in der Elbphilharmonie gewesen war, um die Überwachungsaufnahmen abzuholen und den Abtransport der Leiche zu beaufsichtigen. Die Spurensicherung hatte den Tatort noch nicht freigegeben, was einen mittlerweile eingetroffenen Manager des Hauses ziemlich missmutig stimmte.

      Spengler hatte sich außerdem in der Garage umgesehen. Gleich hinter dem Eingang zum Foyer hatte er eine Sackkarre entdeckt, die dort bestimmt nicht hingehörte. Er vermutete sofort, welchem Zweck sie gedient haben mochte. Er ließ die Karre von der Spurensicherung einsammeln und bat um eine gründliche Überprüfung.

      Die Garage war zu dieser Stunde noch weitgehend leer. Nur einige Fahrzeuge befanden sich auf den Stellplätzen. Spengler notierte sich vorsichtshalber sämtliche Kennzeichen. Möglicherweise war der Tote mit einem dieser Fahrzeuge transportiert worden. Doch bevor sie sich damit näher befassen konnten, mussten sie zunächst die Besitzer ermitteln. Vielleicht ergab sich hierbei bereits eine Spur.

      Im Revier der Wasserschutzpolizei wurde er von Detlef Schwenke schon erwartet. Der junge Beamte hatte vor Eifer leicht gerötete Wangen. Die Vorstellung, an der Aufklärung eines wichtigen Mordfalles mitzuarbeiten, hatte seine Fantasie offenbar stark beflügelt.

      Spengler indessen spürte nur, dass er in seinem Magen ein deutliches Hungergefühl verspürte. Er hatte außer dem Frühstück im Stehen nichts weiter gegessen, und er hoffte, dass es hier in der Nähe eine geöffnete Imbissbude gab.

      „Was haben Sie ermittelt?“, fragte er.

      „Ich habe mit meinen Kollegen gesprochen, und wir waren uns einig, dass es sich bei dem fraglichen Boot heute Morgen um ein etwa fünf Meter langes Motorboot der Firma Quicksilver handelte. Es mochte sich aber niemand festlegen, welches Modell genau es war. Es waren sich alle einig, dass die Lackierung blau-weiß gewesen ist. Jedenfalls kommen laut dem Register drei Boote mit dieser Lackierung infrage. Eines – Anika – gehört einem Barkassenbesitzer im Hafen, ein anderes – Antje – hat einen Liegeplatz in Moorfleet. Das dritte Boot mit dem Namen Anna gehört einem Anwalt und liegt im Jachthafen bei Wedel.

      Schwenke reichte ihm ein Blatt Papier. „Hier habe ich die genauen Angaben aufgeschrieben.“

      Spengler nahm das Blatt gnädig entgegen. „Haben Sie sonst noch etwas herausgefunden?“

      Der Beamte nickte eifrig und deutete auf einen Aktenordner, der vor ihm auf dem Tisch lag. „Hier sind die Unterlagen von dem Unfall auf der Elbe im letzten Jahr. Es gibt sogar Videomaterial davon. Die Kollision der Boote wurde zufällig von einer Fernsehkamera aufgenommen. Man hat uns freundlicherweise damals eine Kopie überlassen, die Sie ebenfalls in den Unterlagen finden. Ich hoffe, das hilft Ihnen weiter. Sie müssen nur noch eine Quittung unterschreiben, dann können Sie alles mitnehmen.“

      „Das haben Sie gut gemacht“, lobte Spengler großzügig.

      Sein Handy klingelte. Brock. Wer sonst?

      „Ich bin auf dem Rückweg von der Elbchaussee und fahre jetzt ins Präsidium. Wir treffen uns dort.“

      Bevor Spengler antworten konnte, war die Verbindung bereits unterbrochen.

      „Bin auf dem Weg“, sagte er trotzdem ins Leere.

      *

      Das Büro, in dem an normalen Tagen rege Geschäftstätigkeit herrschte, war heute, am Sonntag, nahezu leer. Cornelius Brock saß vor seinem Computer und starrte lustlos auf den Bildschirm, auf dem das Logo der Polizei zu sehen war.

      Die Tür flog auf, und sein Assistent erschien, ein großes Sandwich in der Hand, von dem er genussvoll abbiss. Unter dem linken Arm trug er einen dicken Umschlag.

      „Entschuldigung, Chef, aber ich musste dringend in die Kantine, sonst wäre ich glatt verhungert.“

      „Ist sie heute geöffnet?“, fragte der Hauptkommissar erstaunt.

      „Nur die Automaten.“

      „Dann erzählen Sie mal. Was haben Sie herausgefunden?“

      Spengler setzte sich umständlich und zog aus dem Umschlag einen Aktenstapel. Obenauf lagen zwei Speichersticks.

      Einen reichte er Brock. „Das ist die Aufzeichnung der Garagenausfahrt der Elbphilharmonie. Bevor wir uns das ansehen, noch eine Bemerkung. Ich habe in der Garage eine Transportkarre entdeckt, die dazu gedient haben könnte, die Leiche in das Foyer zu schaffen. Die Spurensicherung untersucht die Karre gerade. Ich hoffe, dass wir daran Spuren entdecken. Es stehen noch Autos in der gleichen Etage, deren Kennzeichen ich notiert habe.“

      Brock nickte. „Sehr vernünftig!“

      „Wenn wir davon ausgehen, dass der Täter mit einem Fahrzeug gekommen ist, mit dem er den Toten transportiert hat, müsste er die Garage sehr früh am Morgen wieder verlassen haben, also noch bevor wir eingetroffen sind.“

      Brock schob den Stick in die Buchse seines Computers. „Dann sehen wir uns mal an, wer das Gebäude verlässt.“

      Als er die Datei startete, erkannten sie schemenhaft die Garagenausfahrt. Es war noch dunkel, und nur ein paar trübe Lampen erhellten das grau-schwarze Bild.

      Sie starrten gemeinsam auf den Monitor, doch es geschah absolut nichts.

      „Läuft die Datei?“, fragte Spengler schließlich.

      Brock funkelte ihn an. „Natürlich! Es passiert jedoch nichts.“

      Er wählte einen schnelleren Vorlauf, doch das Bild blieb wie es war, völlig unbeweglich. Nur die Helligkeit änderte sich, als der Tag begann. Das Bild wurde klarer und farbiger, doch kein Fahrzeug verließ die Garage oder fuhr hinein. Irgendwann verriet ihnen der Zeitstempel, dass die Aufnahme bei zehn Uhr endete.

      „Entweder hat er kein Auto benutzt, oder der Wagen ist noch drin“, stellte Brock fest. „Bevor wir überlegen, wie wir weitermachen, zeigen Sie mir, was Sie sonst noch haben.“

      Spengler zog eine Mappe von seinem Stapel. „Das ist die Liste mit den Namen der Hotelgäste. Es wird etwas dauern, alle zu überprüfen. Jedenfalls hat der Nachtportier berichtet, dass in der fraglichen Zeit keiner der Gäste gekommen oder gegangen ist. Das Hotel hat eine eigene Garage, aber von dort kann man durchaus in die öffentliche Garage gelangen. Trotzdem