Alfred Bekker

Elbkiller: 7 Hamburg Krimis


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an der Stelle, auf die der Tote geblickt hat.“

      „Spannen Sie mich nicht auf die Folter.“

      Brock starrte auf die Reste des Sandwiches, das Spengler in der Hand hielt. Er spürte allmählich selbst ein ziemliches Hungergefühl. Doch er wollte sich nicht die Blöße geben, jetzt ebenfalls zur Kantine zu laufen, um sich dort etwas zu holen. Außerdem war ihm nicht nach einem Essen aus dem Automaten. Alle Arten von Fastfood waren ihm verhasst.

      „Es hat letztes Jahr während des Hafengeburtstages an dieser Stelle ein Unglück gegeben. Eine Motorjacht hat ein kleines Motorboot gerammt und versenkt. Dabei ist ein Mann gestorben. Die Wasserschutzpolizei hat ermittelt, wenig später jedoch die Ermittlungen eingestellt und den Fall zu den Akten gelegt, da es sich um einen Unfall handelte. Ich habe hier die komplette Akte.“

      Spengler reichte ihm den ersten Ordner, und der Hauptkommissar schlug ihn auf. Schon nach einer knappen Minute hob er den Kopf und sah seinen Assistenten ungläubig an.

      „Wissen Sie, wer die Motorjacht gesteuert hat?“

      Spengler schüttelte den Kopf. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, mir die Unterlagen anzusehen.“

      „Das war ein gewisser Markus Holler!“

      Jetzt sah Spengler ungläubig drein. „Unser Opfer?“

      „Ja. Der Mann in dem kleinen Boot, der ums Leben gekommen ist, hieß Frank Altmann, wohnhaft in Altona. Er wurde zweiunddreißig Jahre alt. Holler wurde erst mal festgenommen, aber ein teurer Anwalt holte ihn gleich wieder aus der Haft. Zeugen beschrieben, dass er das kleine Boot einfach übersehen haben musste, als er in Richtung Landungsbrücken fahren wollte. Immerhin hat man ihm den Bootsführerschein für eine gewisse Zeit abgenommen. Da ist mit Sicherheit irgendein Deal gelaufen.“

      Spengler überlegte kurz. „Dann ist das Motiv für den Mord wohl klar. Es handelt sich um einen Racheakt.“

      „Sieht so aus, doch wir sollten keine vorschnellen Schlüsse ziehen.“

      „Dann sehen wir uns das Ganze doch an!“ Triumphierend hielt Spengler den zweiten Stick hoch. „Eine Fernsehkamera hat den Vorfall gefilmt.“

      Brock tauschte die Speichermedien aus, und sie blickten gespannt auf den Monitor. Sie sahen über die ganze Breite der Elbe. Im Vordergrund war ein Teil des Museumsschiffs Cap San Diego zu sehen, dann glitt der Blick über den City Sporthafen auf die andere Seite der Elbe, wo sich ein Theater befand. Die Elbphilharmonie war knapp außerhalb des Kamerawinkels. Auf dem Fluss waren viele unterschiedliche Boote zu sehen, wie es bei jedem Hafengeburtstag der Fall war.

      Plötzlich schwenkte die Kamera ein Stück herum. Der Kameramann musste etwas gesehen haben. Und dann sahen sie es auch!

      Aus der Norderelbe kam mit hoher Geschwindigkeit eine Motorjacht geschossen, pflügte durch das leicht kabbelige Wasser auf ein kleines Boot zu und rammte es schräg von hinten. Das größere Boot schob sich halb über das kleinere, das in zwei Hälften auseinanderbrach.

      Inzwischen hatte der Kameramann das Zoom eingeschaltet, und die Szene rückte schlagartig näher heran. Der Mann, der am Steuer des kleinen Bootes gestanden hatte, verschwand unter dem Rumpf des anderen.

      Die Motorjacht hatte die Maschine gestoppt und fuhr rückwärts. An der Unfallstelle trieben Trümmerteile. Von dem Mann war nichts mehr zu sehen.

      „Noch mal von vorn“, murmelte Brock und drückte die entsprechenden Tasten. Beim nächsten Mal sahen sie sich das Band zu Ende an. Als ein Boot der Wasserschutzpolizei heranrauschte, schwenkte die Kamera in eine andere Richtung. Noch vier Mal ließ Brock das Video laufen.

      Plötzlich stoppte er. „Das war kein Unfall!“

      „Was haben Sie gesehen?“

      Brock deutete auf den Bildschirm. „Hier! Sehen Sie die Bugwelle. Ich spiele den Film in Zeitlupe ab.“

      „Die Bugwelle ändert ganz leicht ihre Richtung“, stellte Spengler verblüfft fest.

      Brock nickte. „Die große Jacht hat den Kurs geändert. Ihr Steuermann wollte das kleine Boot mit voller Absicht treffen. Es war also kein Unfall, sondern …“

      „… Mord“, ergänzte Spengler.

      Sie sahen sich an.

      „Das Motiv Rache wird damit immer wahrscheinlicher“, gab der Hauptkommissar zu. „Allerdings frage ich mich, warum der Mörder fast ein Jahr gewartet hat.“

      Er sah auf seine Uhr. „Heute können wir nicht mehr viel erreichen. Ich bin morgen früh in der Gerichtsmedizin, anschließend muss ich unsere Chefin ins Bild setzen. Sobald Anton Holler seinen Sohn identifiziert hat, werde ich mich mit seiner Familie ausführlich unterhalten. Sie kümmern sich um die infrage kommenden Boote. Überprüfen Sie die Besitzer. Denn ich möchte so schnell wie möglich wissen, wer heute Morgen so viel Interesse an unserem Toten gezeigt hat.“

      „Soll ich die Wasserschutzpolizei über unsere neuen Erkenntnisse informieren“, fragte Spengler.

      Brock hob die Hand. „Damit warten wir noch. Zunächst brauchen wir noch mehr Informationen. Selbst wenn wir jetzt den vermutlichen Grund für den Mord an Markus Holler kennen, sollten wir auch wissen, aus welchem Grund er im letzten Jahr diesen … diesen …“

      „Frank Altmann“, sekundierte Spengler eifrig.

      „Genau. Also aus welchem Grund hat Holler diesen Altmann umgebracht? Wir sollten mehr über seinen Hintergrund rauskriegen.“

      „Sie meinen, ich sollte …?“

      Brock grinste. „Sie haben es wieder mal erfasst!“

      3. Kapitel

      In den Kellern der Gerichtsmedizin herrschte nach der bereits gestiegenen Außentemperatur eine angenehme Kühle. Cornelius Brock wusste jedoch, dass es nicht lange dauern würde, bis daraus Frösteln werden würde. Der Aufenthalt in diesen Räumen gehörte nicht gerade zu seinen angenehmsten Pflichten. Doch sie ließ sich leider nicht umgehen.

      Doktor Bernd Fischer, der Pathologe, stand bereits am Seziertisch. Brock blieb in einigem Abstand stehen. Er hielt sich ein Taschentuch vor die Nase, denn die Lüftung konnte den Geruch nicht vollständig verdrängen.

      „Sie können ruhig näherkommen, der tut Ihnen nichts mehr!“, rief Fischer ihm zu.

      „Danke, doch ich kann von hier aus genügend sehen.“

      Brock versuchte, sich nur auf den Pathologen zu konzentrieren und die Leiche aus seinem Gesichtsfeld auszublenden. Fischer trug einen langen weißen Kittel mit einigen Flecken, deren Herkunft Brock lieber nicht wissen wollte. Unter dem Kittel war eine merkwürdig karierte Hose zu sehen. Die Füße des Arztes steckten in durchsichtigen Plastiküberzügen.

      „Sind das Golfschuhe?“, fragte Brock verwundert.

      Fischer sah an sich hinunter und grinste. „Wenn ich mit diesem Patienten fertig bin, fahre ich auf den Golfplatz. Das ist der Ersatz für den halben Sonntag, den ich gestern in Ihrer Gesellschaft verbracht habe. Außerdem ist am Montag nicht viel auf dem Platz los. Ich stehe mit meinem Spiel noch am Anfang, und es ist frustrierend, wenn man ständig von Golfern überholt wird, die einem mitleidig zulächeln.“

      Brock nickte verständnisvoll und wandte rasch den Blick ab, als Fischer irgendetwas Glitschiges aus dem Körper hob und auf eine Waage legte.

      „Können Sie mir schon etwas Hilfreiches über den Toten sagen?“

      „Ich habe mir als Erstes das Hämatom angesehen. Er ist von dem berühmten stumpfen Gegenstand getroffen worden. Ich bin allerdings sicher, dass es sich um eine Art Rohr von etwa fünf Zentimeter Durchmesser gehandelt hat. Der Hieb damit war kräftig, aber nicht tödlich. Immerhin hat er gereicht, eine tiefe Wunde zu verursachen und den Mann für einige Zeit ins Reich der Träume zu schicken. Ich habe allerdings