Pathologe runzelte die Stirn. „Dieser Stich hat Holler in der Tat getötet. Ich habe jedoch keine Ahnung, welche Waffe dafür verantwortlich war. Ich würde sagen, es war eine Art langer Dolch mit einer zweischneidigen Klinge, die von der Spitze zum Schaft hin rasch breiter wurde. Ich habe schon einige Stichwunden gesehen, aber eine solche noch nie.“
„Sie meinen, es war eine eher exotische Waffe?“
Brock dachte sofort an die Sammlung seltener und antiker Waffen, die er bei Anton Holler gesehen hatte. Er konnte sich jedoch nicht erinnern, etwas gesehen zu haben, das der Beschreibung des Pathologen ähnelte. Er musste unbedingt einen zweiten Blick auf die Sammlung werfen.
„Wenn Sie mir das Ding zeigen, kann ich Ihnen sagen, ob es die Mordwaffe war. In meinem Bericht wird die Rede von einer unbekannten Stichwaffe sein. Außerdem kann ich Ihnen sagen, dass es keine schwache Person war, die dem Opfer den Dolch in den Nacken gerammt hat. Die Wirbelsäule wurde durchstoßen, sodass unser Opfer sofort tot war. Dafür war ein ziemlicher Kraftaufwand nötig.“
„Wie sieht es mit dem Todeszeitpunkt aus?“
„Das hängt von vielen Faktoren ab. Ich würde mich auf die Nacht vom Freitag auf Samstag oder auf den frühen Samstagmorgen festlegen. Es sind noch nicht alle Tests abgeschlossen. Eines ist jedoch sicher. Der Mann war schon längere Zeit tot, als er an diesem Fenster befestigt wurde.“
„Ich warte auf Ihren Bericht und wünsche Ihnen eine erfolgreiche Golfpartie“, sagte Brock und wollte den Raum verlassen.
„Da wäre noch etwas.“
Brock drehte sich zu dem Pathologen um. „Ja?“
„Ich habe Spuren von Fesselungen an den Händen und Füßen entdeckt. Zwei frische Einstiche zeigen, dass man ihm etwas gespritzt hat, vielleicht Drogen oder Betäubungsmittel.“
„Das ist wohl nicht überraschend. Man hat ihn ruhig gestellt, bis man ihn getötet hat, um ihn an das Fenster zu kleben.“
Doktor Fischer schüttelte düster den Kopf. „Er wurde gefoltert. Ich habe Anzeichen entdeckt, dass man ihn einer Art Waterboarding unterzogen hat. Sie wissen schon, das ist …“
„Ich weiß, was das ist“, unterbrach ihn der Hauptkommissar. „Das gefällt mir überhaupt nicht. Es sieht danach aus, als hätte er etwas gewusst, was ein anderer unbedingt erfahren wollte. Unsere Rachehypothese müssen wir wohl noch mal überdenken.“
Brock verspürte allmählich ein leichtes Würgen und beeilte sich, aus dem Raum zu kommen. Draußen atmete er die frische Luft tief ein.
*
Zurück im Büro, wartete seine Vorgesetzte und zuständige Abteilungsleiterin bereits auf ihn: Erste Hauptkommissarin Birgit Kollmann. Sie war ebenso alt wie Brock, hatte ihre Karriere aber irgendwie an ihm vorbeigeführt. Sie besaß durchaus praktische Erfahrung, hatte ihre Ausbildung zur gleichen Zeit wie Brock gemacht und sich anschließend bei den hohen Tieren schnell beliebt gemacht. Nicht durch Speichelleckerei, wie es viele andere versuchten, sondern durch ihre Begabung, komplizierte Sachverhalte mittels PowerPoint-Software in anschauliche Grafiken, Tabellen und Übersichten zu verwandeln.
Ihre speziellen Präsentationen beschäftigten sich viel mit Effizienz, Kostenreduzierung und Personalplanung. Das kam oben gut an und war schon bis zum Präsidenten vorgedrungen.
In der Abteilung lautete ihr Spitzname PPK – so wie die Bezeichnung der Walther PPK, der früheren Dienstwaffe der Hamburger Polizei, die jetzt durch das moderne Modell Walther P99 ersetzt worden war.
Birgit Kollmann war der Spitzname natürlich zu Ohren gekommen, und sie vermutete, dass damit ihre Präzision, ihre Genauigkeit und ihre Zielsicherheit gemeint waren. In Wirklichkeit stand das Kürzel ganz simpel für PowerPoint Kollmann. Das jedoch wollte ihr niemand verraten.
Sie stand in der Tür ihres abgetrennten Büros mit den verglasten Wänden und winkte Brock heran.
„Hallo, Birgit!“
Sie kannten sich schon seit der Ausbildung und begannen sich zu duzen, als sie eine Zeit lang den gleichen Rang hatten.
„Hallo, Conny!“
„Du weißt, dass ich diese Abkürzung nicht mag.“
Sie hob nur die Schultern, und er folgte ihr. Sie nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz, der mit Aktenstapeln vollgestellt war, und deutete auf einen der unbequemen Stühle, die davor standen.
Birgit Kollmann war schlank und groß. Sie hatte ein offenes Gesicht, das Vertrauen ausstrahlte, grüne Augen, in denen Humor aufblitzte, und eine etwas zu groß geratene Nase über vollen Lippen. Eine aschblonde Kurzhaarfrisur krönte das Ganze. Heute war sie konservativ gekleidet: grauer Rock, weiße Bluse, darüber eine kurze Jacke.
„Ich habe die Fotos aus der Elbphilharmonie gesehen“, begann sie. „Das sieht nach einem interessanten Fall aus, und ich möchte gleich vorausschicken, dass uns hier allerhöchste Aufmerksamkeit zuteilwird.“
Sie hob einen Finger und deutete nach oben zur Decke. „Unser leitender Direktor ist offenbar ein guter Bekannter von Anton Holler.“
„Du hast dich ja schnell in die Akten vertieft!“, wunderte sich Brock.
„Nachdem ich vor einer Stunde den ersten Anruf bekommen habe, wie die Ermittlungen vorangehen. Ich habe zugesagt, dass wir gute Fortschritte machen. Stimmt das?“
„Der Flurfunk ist doch immer schneller als der offizielle Dienstweg“, stellte Brock fest.
„Also, was haben wir?“
Brock schilderte die bisherigen Erkenntnisse. Als er bei dem Zusammenprall der beiden Motorboote angekommen war, verfinsterte sich die Miene von Birgit Kollmann.
„Du willst im Gegensatz zu der damaligen Aufklärung des Falles behaupten, dass unser Opfer selbst ein Mörder ist?“
Brock nickte entschuldigend. Sie starrte ihn an.
„Wie sicher bist du?“
„Die Sachlage ist eindeutig. Sieh dir die Aufzeichnung an.“
Sie biss auf ihre Unterlippe, wie sie es immer machte, wenn ein Problem auftauchte, das nicht sofort lösbar war.
„Das wird Anton Holler nicht gefallen, und damit auch unserem Direktor nicht. Wir müssen uns sehr warm anziehen und dürfen keine Fehler machen.“
„Das ist mir schon klar“, bestätigte Cornelius Brock. „Ich werde als Nächstes prüfen, welche Beziehung zwischen Markus Holler und dem Opfer vom letzten Jahr bestand. Mit der Familie muss ich natürlich auch reden.“
„Aber bitte mit allergrößter Zurückhaltung!“
„Sicher. Du kennst mich doch.“
„Eben!“
*
Kommissaranwärter Horst Spengler gab die Kennzeichen der Fahrzeuge ein, die er in der Garage der Elbphilharmonie notiert hatte. Gleich beim zweiten Wagen gab sein Computer aufgeregte Zeichen von sich.
Der Passat war als gestohlen gemeldet worden!
Spengler vertiefte sich in die Angaben. Der Besitzer des PKWs, Dieter Schmitz, hatte sein Auto in der Nacht zum Samstag als gestohlen gemeldet. Er war der Besitzer einer Kneipe namens Elbklause. Sie befand sich in einer Seitenstraße der Elbchaussee in der Nähe des Fähranlegers Teufelsbrück. Er hatte seinen Laden gegen zwei Uhr geschlossen und da stand sein Wagen, der wie immer seitlich vom Haus geparkt war, nicht mehr an seinem Platz.
Spengler griff zum Telefon und rief die Spurensicherung an. Sie versprachen, sich sofort um den Wagen zu kümmern und gründlich zu untersuchen. Dann lehnte er sich zurück und dachte nach.
Falls es sich um das Fahrzeug handelte, mit dem die Leiche transportiert worden war, würden Spuren zu finden sein. Weiter ließ es