gebunden. Gegenstände, die über diesen Bereich hinausgehen, kann der Mensch nicht erkennen. Überschreitet die Vernunft indes jene Grenze, dann gerät sie in einen Abgrund und verliert sich in phantastischen Spekulationen. Von Erkenntnis kann nur dann gespro[63]chen werden, wenn Anschauung und BegriffAnschauung und Begriffe zusammen kommen. Jene resultiert somit aus zwei Quellen (Zweiquellentheorie der ErkenntnisZweiquellentheorie der Erkenntnis). Mit seinem Verständnis von Erkenntnis nimmt KantKant, Immanuel eine VermittlungVermittlung der beiden philosophischen Hauptrichtungen des 18. Jahrhunderts – des RationalismusRationalismus und des EmpirismusEmpirismus – vor. Für den Rationalismus basiert alle Erkenntnis auf dem begrifflichen Denken. Durch die Zergliederung von Begriffen gelangt man zu begründetem Wissen. Dem widerspricht der Empirismus. Er behauptet, zur Erkenntnis kommt der Mensch nicht durch Begriffsanalyse, da sie sekundär ist, sondern durch Erfahrung. Kant hingegen kritisiert beide Positionen: Erkenntnis kommt weder nur durch Begriffsanalyse noch allein durch Erfahrung zustande, sie verdankt sich dem Zusammenwirken von Anschauung und Begriff.
Wenn der Mensch etwas erkennt, dann verbindet er Begriffe mit Anschauungen. Die für die ErkenntnisErkenntnis notwendigen Begriffe werden im menschlichen Geist nach bestimmten Regeln (KategorienKategorien (Philosophie)) geformt und auf Anschauungen angewandt. Dadurch entsteht für jeden Menschen erst die objektive Welt der Gegenstände. Das erkennende SubjektSubjekt bildet also in seiner Erkenntnis die Wirklichkeit nicht ab, es schafft vielmehr selbst durch die in ihm liegenden Kategorien erst diejenigen objektiven Gegenstände, die es erkennt. KantKant, Immanuel nimmt in seiner ErkenntnistheorieErkenntnistheorie gewissermaßen eine Wendung des Gesichtspunktes vor, die auf den ersten Blick schwer nachzuvollziehen ist. Die objektive Gegenstandswelt und ihre Einheit werden durch den subjektiven Erkenntnismechanismus erzeugt. Das ist freilich allein unter der Voraussetzung möglich, dass in jedem Subjekt derselbe allgemeine Erkenntnisapparat angelegt ist. Das erkennende Subjekt – Kant nennt es transzendentalestranszendental – ist folglich selbst schon ein allgemeines beziehungsweise ein objektives.
Der Mensch kann damit nur das erkennen, was er nach Regeln konstituiert, die er im Erkenntnisprozess bereits mitbringtErscheinungen und Dinge an sich. Die Gegenstände der Erkenntnis in ihrer TotalitätTotalität sind die Welt der Erscheinungen. Von ihr unterscheidet KantKant, Immanuel die Dinge an sich. Sie können nicht erkannt werden, da der Mensch lediglich Erscheinungen erkennen kann. Die zuletzt genannte Unterscheidung zwischen ErscheinungErscheinung und Dingen an sich steht im Interesse der MoralphilosophiePhilosophieMoral-. Der Gedanke der FreiheitFreiheit ist für den Königsberger Philosophen nur dann widerspruchsfrei zu denken, wenn zwi[64]schen der phänomenalen und der intelligiblen Welt strikt unterschieden wird.
Mit KantsKant, ImmanuelVernunftkritikVernunftkritik sowie dem eben angedeuteten Verständnis von objektiver Erkenntnis ist eine wichtige Konsequenz verbunden. Sie besteht in der bereits erwähnten Beschränkung der geltenden Erkenntnis auf den Bereich der Erfahrung. Alles, was über die Erfahrung hinausgeht, kann damit nicht erkannt werden. Nun gehört jedoch der GottesgedankeGottesgedankeGottesgedanke zu den Gegenständen, die per definitionem nicht zur Erfahrung gehören. Von Gott hat der Mensch zwar einen Begriff, so dass er ihn denken kann, aber eben keine Anschauung. Wo diese fehlt, da kann man auch nichts erkennen, da jede objektive ErkenntnisErkenntnis, objektive aus dem Zusammenspiel von Begriff und Anschauung resultiert. Mit Kants Zweiquellentheorie der ErkenntnisZweiquellentheorie der Erkenntnis ist folglich die Konsequenz verbunden, dass der Gottesgedanke aus dem Bereich der objektiven Erkenntnisgegenstände ausscheidet. Gott wird für die Vernunftkritik zu einem völlig unerkennbaren Gegenstand, dessen ExistenzExistenz sich überdies mit Gründen weder behaupten noch bestreiten lässt.
Das Resultat der VernunftkritikVernunftkritik ist nun nicht ohne Folgen für die Philosophie und die Theologie. Die gesamte philosophische und theologische Tradition ging mehr oder weniger davon aus, dass Gott irgendwie zu erkennen sei. Diese Überzeugung hat KantKant, Immanuel kritisch aufgelöst. Gott kann von der menschlichen VernunftVernunft nicht erkannt werden. Trifft das aber zu, dann ist sowohl der Theologie als auch der MetaphysikMetaphysik ihr Gegenstand entzogen. Die negative Bilanz ist jedoch nicht Kants letztes Wort in Sachen Religion und Gott geblieben. Sie sind zwar keine Themen der theoretischen Philosophie mehr, wohl aber der praktischen. Der Königsberger Philosoph entwickelt sein Verständnis der Religion in der praktischen Philosophie. Theologie ist allein als EthikotheologieEthikotheologieEthikotheologie, also im Horizont der MoralMoral, möglich, und nicht als theoretische Gotteserkennnis. Was versteht er nun unter Religion, und wie ist sie dem sittlichen Bewusstsein zugeordnet?
Die Religion ist für ein Folgeproblem der MoralphilosophiePhilosophieMoral- zuständig. Diese Zuordnung von MoralMoral und Religion ist in der Kritik der praktischen VernunftVernunft (1788) und in einer eher religionsdogmatischen Weise in der Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft von 1793 ausgeführt. Zunächst: Es geht in KantsKant, Immanuel Religionsphilosophie nicht darum, die Moral durch die Reli[65]gion zu begründen oder zu legitimieren. Die Moral ist für ihn völlig autonom. Sie hat ihren Grund allein in der Vernunft des Menschen und fußt auf dem SittengesetzSittengesetz. Der Gottesgedanke spielt damit für die Begründung der Moral keine Rolle. Sodann: Der Übergang von der autonomen Vernunftmoral zur Religion ergibt sich für Kant daraus, dass der Mensch zwar ein Vernunftwesen ist, aber eben nicht nur. Der Mensch ist in seinem Handeln nicht allein durch allgemeine Vernunftgründe bestimmt, sondern stets auch durch sinnliche Handlungsantriebe und Neigungen. Sittlich handeln heißt nun aber für den Königsberger Philosophen, ausschließlich der Stimme der Vernunft, also dem moralischen GesetzGesetz ‚in mir‘, Folge zu leisten. Die sinnlichen Handlungsantriebe und Neigungen müssen durch die Vernunft unterdrückt und dem SittengesetzSittengesetz untergeordnet werden. Wenn ein Mensch seinen Willen dem allgemeinen Sittengesetz unterordnet und sich in seinem Handeln ausschließlich von allgemeinen Vernunftgründen bestimmen lässt, dann ist sein WilleWille ein guter Wille. Nur so ist er frei beziehungsweise autonom. Er unterstellt sich einem Gesetz, das er sich selbst gibt.
Mit der Verwirklichung der Sittlichkeit durch den Menschen ist allerdings ein Problem verbunden. Die sittlichen Handlungen des Menschen gehören für KantKant, Immanuel in die OrdnungOrdnung der FreiheitFreiheit. Von ihr unterscheidet er die NaturordnungNaturordnung. In ihr ist alles durch einen UrsacheUrsache (Philosophie)-Wirkungs-Mechanismus miteinander verbunden. Von Freiheit kann daher in der Naturordnung keine Rede sein. Die Natur folgt unabänderlich ihren Gesetzen. Bei den Handlungen des Menschen soll das anders sein. Vom ihm ist zu fordern, dass er sittlich handeln und nicht seinen natürlichen Neigungen und Trieben folgen soll.
Wenn aber die sittliche Welt der FreiheitFreiheit und die kausale der Natur sich geradezu ausschließen, der Mensch jedoch in seinem sittlichen Handeln auf die kausale OrdnungOrdnung der Natur einwirkt, dann ist nicht so ohne Weiteres klar, wie die beiden Welten – die der Freiheit und die der Naturnotwendigkeit – zusammenstimmen können. Ihre Verträglichkeit lässt sich weder von der Seite der Natur noch von der der Freiheit aus einsehen oder begründen. Gleichwohl muss der Mensch in jeder sittlichen Handlung bereits voraussetzen, dass beide Ordnungen kompatibel sind. Andernfalls wäre das sittliche Handeln sinnlos, es würde in der Natur nichts bewirken. Auf das eben genannte Problem der Zusammenstim[66]mung von Natur und Freiheit bezieht KantKant, Immanueldas Postulat Gottesdas Postulat Gottes. Gott repräsentiert dem Handelnden die für die Verwirklichung der Sittlichkeit unumgängliche Voraussetzung einer Übereinstimmung von FreiheitFreiheit und Natur. Ihm entspricht das höchste Guthöchstes Gut, summum bonum, der Endzweckgedanke der reinen praktischen VernunftVernunft.
Es ist wichtig zu sehen, dass in der Kantischen Religionsphilosophie der GottesgedankeGottesgedanke erst bei der Realisierung des sittlichen Handelns ins Spiel kommt, und eben nicht im Hinblick auf dessen Begründung. In ihm vergegenwärtigt der Mensch sich die Voraussetzungen seines sittlichen Handelns. Der Mensch muss sich Gott denken, wenn er seine sinnliche Existenzform mit der Moralität des SittengesetzesSittengesetz zusammenbringen will. Zugleich dient die GottesvorstellungGottesvorstellung dem sittlich Handelnden zur Vergewisserung der Realisierung seiner sittlichen Aufgabe, die Welt entsprechend des Sittengesetzes zu gestalten.
KantKant, Immanuel ordnet die Religion der Realisierung der MoralMoral zu. Insofern wird man sagen können, jene ist eine FormForm (Philosophie) der SelbstdeutungSelbstdeutung des sittlichen Bewusstseins. Religion ist die Weise, in