testimonium spiritus sancti internum). Unterstellt werden ein bestimmter Sinn des biblischen Wortlautes sowie ein und derselbe Inhalt im Alten und im Neuen Testament. Für die altprotestantischen [50]Theologen gibt es nämlich nur einen Verfasser des Textes, den Heiligen Geist. Und der kann sich aufgrund seiner Vollkommenheit nicht widersprechen. Spannungen und Widersprüche in den biblischen Texten werden durch eine Anpassung des Heiligen Geistes an die Verstehensbedingungen der biblischen Zeugen erklärt (*AkkommodationAkkommodation). Das reicht in dieser Zeit noch aus, um Widersprüche im Text zu bewältigen.
Die theologischen Systeme des alten Protestantismus entstanden vor dem Hintergrund relativ geschlossener konfessioneller Milieus. Für sie konstruiert die Dogmatik ein umfassendes normatives Leitbild des gesellschaftlichen Ganzen. Der Gottesbegriff und die Möglichkeit seiner Erkenntnis sind noch nicht zum Problem geworden. Aufgrund der Voraussetzung einer von der Offenbarung unterschiedenen natürlichen GotteserkenntnisGotteserkenntnisnatürliche ist die ExistenzExistenz Gottes dem Menschen evident. Strittig ist zwischen den Konfessionen dessen wahres Verständnis. Das Nebeneinander und die damit verbundene Konkurrenz zu anderen Konfessionskulturen beschleunigen allerdings auch Rationalisierungsprozesse. Sie schlagen sich in der Theologie durch die Herausbildung von einzelnen Disziplinen mit eigenen methodischen Instrumentarien nieder. Die KonfessionalisierungKonfessionalisierung des Christentums in der frühen Neuzeit führt zur Entstehung von theologischen Disziplinen wie der PolemikPolemik, welche diese Pluralität reflektieren. Daneben formieren sich die KirchengeschichteKirchengeschichte, Dogmatik und EthikEthik als eigene Disziplinen.
Literatur
Emanuel Hirsch: Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik. Die Dogmatik der Reformatoren und der altevangelischen Lehrer quellenmäßig belegt und verdeutscht, Berlin/Leipzig 1937, S. 272–374 (lutherische DogmatikDogmatiklutherische). 374–441 (reformierte DogmatikDogmatikreformierte).
Sven Grosse: Philipp Melanchton, Loci communes, in: Christian Danz (Hrsg.): Kanon der Theologie. 45 Schlüsseltexte im Portrait, Darmstadt 32012, S. 212–218.
Philipp Melanchthon: Loci Communes 1521. Lateinisch-Deutsch, hrsg. v. Horst Georg Pöhlmann, Gütersloh 21997.
Carl Heinz Ratschow: Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und AufklärungAufklärung, 2 Teile, Gütersloh 1964/1966.
Johann AnselmAnselm von Canterbury Steiger: Leonhart Hütter, Compendium Locorum Theologicorum, in: Christian Danz (Hrsg.): Kanon der Theologie. 45 Schlüsseltexte im Portrait, Darmstadt 32012, S. 231–238.
[51]Aufgaben
1 Informieren Sie sich in dem Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik von Emanuel Hirsch über grundlegende Lehrdifferenzen zwischen Lutheranern und Reformierten.
2 Lesen Sie den Artikel von Sven Große über Melanchthons Loci communes, und vergleichen Sie deren Aufbau mit dem Compendium Locorum Theologicorum von Leonhart Hütter.
3 Informieren Sie sich über das Schriftprinzip der altprotestantischen Theologie, und beschreiben Sie dessen Grundzüge.
2.4 Theologie im Zeichen der Aufklärung
Das 18. Jahrhundert war nicht nur das Zeitalter von Vernunft und AufklärungVernunftVernunft und AufklärungAufklärung, es führte auch zu einer grundlegenden Umformung der überlieferten Theologie des Protestantismus. Verantwortlich hierfür waren mehrere Umstände. Die Konfessionskulturen verloren vor dem Hintergrund des einsetzenden gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses an Prägekraft. Sodann traten Glaube und GeschichteGlaube und Geschichte in dem Jahrhundert zunehmend in einen Gegensatz, der eine neue Bearbeitung verlangte. Schließlich ersetzten nun die Vernunft und das eigene Verständnis die Orientierung an einer als autoritär und bevormundend verstandenen Tradition. Die Denker der Aufklärung unterschieden zwischen der ewigen WahrheitWahrheitewige der Vernunft und den kontingenten GeschichtswahrheitenGeschichtswahrheiten. Der Umgang mit dem neuen Problemhorizont gestaltet sich in Theologie und Philosophie unterschiedlich. In der protestantischen TheologieTheologieevangelische, protestantische stehen sich um 1800 zwei Richtungen einander gegenüber: auf der einen Seite der theologische RationalismusRationalismus und auf der anderen der SupranaturalismusSupranaturalismus. An diesem innertheologischen Gegensatz werden sich die Theologen noch bis weit in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts abarbeiten. In der Philosophie, die sich in den theologischen Debatten auswirkt, bilden sich im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts der philosophische Rationalismus, deren Hauptvertreter Gottfried Wilhelm LeibnizLeibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716) und Christian WolffWolff, Christian (1679–1754) sind, und der EmpirismusEmpirismus heraus, vertreten durch den schottischen Philosophen David HumeHume, David (1711–1776), der einen starken Einfluss auf den philosophischen Schriftsteller Friedrich Heinrich JacobiJacobi, Friedrich Heinrich (1743–1819) hatte. Im sogenannten *PantheismusstreitPantheismusstreit[52]zwischen Jacobi und Moses MendelssohnMendelssohn, Moses (1729–1786) prallten die beiden philosophischen Strömungen aufeinander. Auslöser des Streits war eine Indiskretion Jacobis. Er hatte in seinem im September 1785 publizierten Buch Über die Lehre des SpinozaSpinoza, Baruch de in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn den Inhalt eines Gesprächs mit Gotthold Ephraim LessingLessing, Gotthold Ephraim (1729–1781) vom Sommer 1780 mitgeteilt, in dem dieser sich als Spinozist zu erkennen gegeben hatte. Im Zentrum der Streitsache stand ein Thema, welches auch für die Theologie und deren weitere Geschichte von grundlegender Bedeutung ist, nämlich die Frage, ob Gott durch das menschliche Denken erfasst werden könne. Jacobi bestritt das vehement, während der Rationalist Mendelssohn die Denkbarkeit Gottes verteidigte.
Das 18. Jahrhundert war nicht arm an Streitsachen. Der literarische Fehde-Handschuh wurde sowohl in der Theologie als auch in der Philosophie hingeworfen. Den problemgeschichtlichen Hintergrund der Kontroversen bilden die sich im Zusammenhang mit der europäischen AufklärungAufklärung vollziehenden geistesgeschichtlichen sowie gesellschaftlichen Umbrüche. Was war in diesem Jahrhundert geschehen?
a. Die AufklärungsphilosophiePhilosophieAufklärungs-
Die deutsche Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts ist vor allem geprägt durch den Leibnizschen und Wolffschen RationalismusRationalismus. Bei ihm handelt es sich um eine Richtung, für die wahre Erkenntnis allein durch das begriffliche Denken möglich ist. Der neuzeitliche Rationalismus, der auf René DescartesDescartes, René (1596–1650) zurückgeht, erhielt seine grundlegende Ausprägung durch die Philosophie von Gottfried Wilhelm LeibnizGottfried Wilhelm LeibnizLeibniz, Gottfried Wilhelm. Wichtige Schriften von ihm sind die Monadologie von 1714 und vor allem sein Buch Versuche in der Theodicée über die Güte Gottes, die FreiheitFreiheit des Menschen und den Ursprung des ÜbelsÜbel von 1710. Leibniz unternimmt in diesem Buch den Versuch, die Güte Gottes angesichts der Übel in der Welt dadurch zu rechtfertigen, dass er zeigt, Gott habe die beste aller möglichen Welten geschaffen, aber zu dieser gehören notwendigerweise Übel hinzu. Er begründet seinen Versuch mit rein logisch-begrifflichen Mitteln. Gott ist ihm das ens summe perfectum (vollkommenste Wesen), er ist vollkommene Güte, Weisheit und allmächtig im Unterschied zur geschaffenen Welt, die end[53]lich und damit notwendig unvollkommen sein muss. Andernfalls wäre sie von Gott nicht unterschieden.
LeibnizLeibniz, Gottfried Wilhelm unterscheidet streng zwischen den Vernunft- und GeschichtswahrheitenGeschichtswahrheitenWahrheiten der VernunftVernunft und denen der Geschichte. Während jene ewig und unveränderlich sind, kommt diesen ein anderer Status zu. Sie sind kontingent, das heißt veränderlich, und können auch nicht sein. Die Aussage ‚Morgen geht die Sonne auf‘ bezieht sich auf eine Tatsache, von der man allein dann wissen kann, wenn sie eingetreten ist, aber ‚zwei mal zwei ist vier‘ ist unabhängig von aller Erfahrung immer und überall wahr. Geltende WahrheitWahrheit lässt sich folglich nicht durch Tatsachen begründen. Wirksam wurde der Leibnizsche RationalismusRationalismus insbesondere durch den Hallenser Philosophen Christian WolffWolff, Christian. Er baute die PhilosophiePhilosophie zur methodischen Leitwissenschaft aller akademischen Disziplinen aus. Dabei bediente er sich der mathematischen MethodeMethodemathematische des mos geometricus (EuklidEuklid [3. Jahrhundert