Ernst Langthaler

Agro-Food Studies


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für Lebensmittel. Gruppen von ProduzentInnen eines klar zu definierenden Produktionsgebiets, die einen Antrag auf Herkunftsschutz stellen, argumentieren für die herausragende Qualität ihres Produktes mit spezifischen Bodencharakteristika oder Klimabedingungen, mit regional angepassten Züchtungen und Sorten oder den hohen regionsspezifischen Produktionsstandards, den Fertigkeiten und dem traditionellen Wissen der regionalen ProduzentInnen und VerarbeiterInnen. Ist die geografische Bezeichnung einmal EU-rechtlich geschützt, darf sie nur noch für Produkte verwendet werden, die von in der ausgewiesenen Region angesiedelten zertifizierten und extern kontrollierten Betrieben unter Einhaltung der regionalen Qualitätsstandards produziert wurden.

      Das Register der EU-rechtlich geschützten Herkunftsangaben enthält Hunderte geschützte Ursprungsbezeichnungen (g. U.), d. h. Herkunftsangaben für Produkte, deren Produktionsschritte alle im abgegrenzten Gebiet erfolgen müssen, und ebenso Hunderte geschützte geografische Angaben (g. g. A.), die garantieren, dass einer der Produktionsschritte (meist die Verarbeitung) in der Herkunftsregion erfolgt. Bei der geografischen Angabe reicht es folglich aus, dass etwa Pökelware im ausgewiesenen Gebiet verarbeitet worden ist. Das Fleisch kommt daher oftmals aus einem ganz anderen Gebiet. Woher genau, bleibt den KonsumentInnen in der Regel verborgen.

      Abgesehen vom registrierungspflichtigen Herkunftsschutz einzelner geografischer Produktbezeichnungen sehen das europäische Recht und viele nationale Gesetze die verpflichtende Kennzeichnung für unverarbeitetes Obst und Gemüse, Eier, Fisch, Bioprodukte sowie für frisches, gekühltes oder gefrorenes Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelfleisch vor. Auf dem Etikett ist anzugeben, wo das Tier aufgezogen und wo es geschlachtet wurde. Darüber hinaus sind jene Fleischteile, die gleichzeitig verarbeitet wurden, mit einer Partienummer zu deklarieren, um den Konnex zwischen Fleisch und Tier zu wahren. Die Herkunftskennzeichnung stößt allerdings bei verarbeiteten Lebensmitteln oder bei Produkten, die aus mehreren Rohstoffen bestehen, sehr rasch an die Grenzen der Kommunizierbarkeit.

      Neben den registrierten Herkunftsbezeichnungen und den rechtlich geregelten und staatlich kontrollierten Herkunftsangaben am Etikett gibt es noch eine unüberschaubar große Anzahl von Regionalmarken und mehr oder weniger fantasievoll gestalteten Labels, die eine Verbindung des Produkts zu einem bestimmten Ort suggerieren. Bei den meisten dieser Labels gibt es aber weder externe Kontrollen noch transparente Qualitätsstandards.

      Auf persönlichen Beziehungen beruhendes Vertrauen und Kontrolle

      Erzeuger rechtlich geschützten Herkunftsangaben wie Rioja-Wein oder Darjeeling-Tee argumentieren, dass biophysikalische und klimatische Bedingungen, aber auch die Anbau- und Verarbeitungstradition der im Produktionsgebiet arbeitenden Betriebe ‚authentische‘, regionstypische Qualitäten hervorbringen Mit dem Kauf dieser Produkte wollen auch weit entfernte KonsumentInnen dazu beitragen, dass es sich für die regionalen Betriebe auch weiterhin lohnt, auf Qualität zu setzen.

      Bei rechtlich geschützten Herkunftsangaben definieren nicht Behörden oder multinational agierende Unternehmen die Qualitätsstandards, sondern selbstorganisierte Gruppen von ProduzentInnen in der Herkunftsregion (Quiñones-Ruiz et al. 2015). Diese gemeinschaftlich definierten Standards sollen dazu dienen, die Reputation des Produkts zu erhalten bzw. auszubauen. Externe Zertifizierungsorganisationen prüfen die Einhaltung der Standards. Somit verbindet dieses System langfristige Beziehungen zwischen Firmen in der Produktionsregion, die gemeinsame Lernprozesse und regionsspezifische Produktcharakteristika hervorbringen, mit staatlicher Registrierung, Zertifizierung und externen Kontrollen.

      Kritik an Herkunftsangaben

      Herkunftsbezeichnungen werden u. a. wegen ihrer heterogenen Qualitätsstandards kritisiert. Diese sind anders als bei international abgeglichenen Biostandards nicht generell gültig, sondern eigens für jedes Produkt in sehr unterschiedlich ausgestalteten Produktspezifikationen definiert, deren Zusammenfassung zwar auf einem EU-Web-portal publiziert, aber aufgrund ihrer Heterogenität für KonsumentInnen schwer zu durchschauen sind. Zumal sind auch diese Produktspezifikationen wie jegliche Information, die den KonsumentInnen über ein Essen, ein Lebensmittel oder ein Agrarerzeugnis vonseiten der HerstellerInnen zur Verfügung gestellt wird, „eine ‚Präsentation‘ von Herkunft, Qualität und/oder Produktionsweise […], die zwar nach bestimmten Regeln erfolgt, die aber niemals in der Lage sein kann, die Wirklichkeit vollständig und objektiv widerzuspiegeln“ (Ermann 2015, 78). Diese Heterogenität der Qualitätsstandards, welche von den regional organisierten ProduzentInnen selbst definiert werden, erschwert Kaufentscheidungen, aber auch die externe Zertifizierung und Kontrolle. Umgekehrt ermöglicht sie – anders als im Ökolandbau – ein gehöriges Maß an regionaler Selbstbestimmung und die Anpassung der Produktionsstandards an regionale Besonderheiten und Bedürfnisse, was zu vielfältigen Produktionskulturen beiträgt.

      Umweltstandards waren nicht Inhalt traditioneller Herkunftssysteme und sind auch im europäischen Herkunftssystem nicht zwingend vorgesehen. Untersuchungen zeigen, dass insgesamt nur sehr wenige Produktspezifikationen auf ökologische Aspekte der Produktion eingehen (Belletti et al. 2015).

      Regional stark eingebettete Lebensmittelsysteme werden in der Regel mit südeuropäischen Ländern wie Frankreich oder Italien assoziiert, wo die Produktqualität, etwa von Wein, schon in der Antike mit konkreten Regionen verknüpft wurde. Champagner, Parmaschinken oder Parmesan stehen für eine hohe Qualität und profitieren von ihrer Reputation. Hingegen hinterfragen FreihandelsverfechterInnen, ob Herkunft tatsächlich ein Qualitätsmerkmal ist oder lediglich dem Protektionismus (→ Liberalismus) und der Beeinflussung von KonsumentInnen dienen soll, um diese dazu zu bringen, heimische gegenüber ausländischen Firmen zu bevorzugen.

      Während Herkunftssysteme, die jenem der EU ähnlich sind, auch in Ländern Lateinamerikas und Asiens implementiert werden, lässt sich im angloamerikanischen Kulturraum eine grundsätzliche Skepsis gegenüber Herkunftsangaben ausmachen. Charakteristisch für die USA, Kanada, Australien oder Neuseeland sind vielerorts weniger weit zurückreichende Herstellungstraditionen, eine Skepsis gegenüber zusätzlichen staatlichen Regulierungen, eine höhere Mobilität der Firmen und vor allem eine starke Markentradition. Während Marken in der Regel im Eigentum eines einzelnen Unternehmens sind und auch an Firmen in anderen Ländern verkauft werden können, sind Herkunftsangaben unveräußerlich. Rechtsprobleme ergeben sich dort, wo geografische Namen in verschiedenen Ländern unterschiedlich geschützt sind. Wer in den USA „Budweiser“-Bier kauft, erhält ein in Amerika produziertes Lagerbier einer amerikanischen Firma, die diesen Namen bereits 1870 markenrechtlich geschützt hat. Wer in Deutschland „Budweiser“-Bier kauft, kann hingegen davon ausgehen, dass dieses Bier in der tschechischen Stadt Budweis gebraut wurde. Die Bezeichnung „Parmesan“, welche seit 2008 in der EU ausschließlich für ‚echten‘ Parmigiano Reggiano (g. U.) aus Parma verwendet werden darf, gilt in den USA als generischer Name für eine bestimmte Art der Käsezubereitung, der von unterschiedlichsten Firmen an verschiedensten Standorten verwendet wird.

      Die rechtlichen Divergenzen bezüglich der Bezeichnung von Lebensmitteln beeinträchtigten auch die Verhandlungen über bilaterale Handelsabkommen zwischen Nordamerika und der EU. In diesem Zusammenhang zeigen sich auch sehr unterschiedliche Paradigmen der Lebensmittelqualität. Überspitzt formuliert könnte man resümieren, dass nordamerikanische Regierungen auf Lebensmittelhygiene, standardisierte und kontrollierte Qualität setzen und krankmachende Keime auf ungechlorten Hühnern oder in Rohmilchkäse fürchten (Kontrolle der Endproduktqualität). Die Europäische Union legt hingegen besonderen Wert auf die Kontrolle der Herstellungsweise, auf Herkunftsinformation und ‚regionale‘, ‚authentische‘ Lebensmittel und europäische KonsumentInnen nehmen genetisch veränderte Organismen, Chlorhuhn- und Hormonfleischimporte tendenziell als Bedrohung wahr. Regionalisierte Lebensmittelsysteme können jeweils auf lokal vorherrschende Qualitätserwartungen eingehen; globalisierte Ketten sind mit unterschiedlichen Paradigmen und kontextbezogenen Qualitätsmaßstäben konfrontiert.

      Dieses Kapitel erläutert die Triebfedern, Charakteristika und Folgen der parallel ablaufenden, sich gegenseitig bedingenden Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der Lebensmittelversorgung. Die Polarität zwischen regional und global soll jedoch nicht