geben an, die regionale Landwirtschaft und das regionale Lebensmittelgewerbe unterstützen zu wollen, um zur oben erwähnten Landschafts- und Speisenvielfalt beizutragen. Manche erinnern sich aber auch an Lebensmittelskandale (siehe Abschnitt 5.6) oder kriegsbedingte Lebensmittelknappheiten. Sie hoffen, dass die Erhaltung der Produktionsflächen, -strukturen und -fertigkeiten die → Resilienz der Lebensmittelversorgung gegenüber Pandemien, Kriegen, Terroranschlägen oder internationalen Lebensmittelskandalen erhöht.
Regionale Lebensmittel werden oftmals direkt ab Hof, über Lebensmittelkooperativen, Selbsternteprojekte, Eigen- oder Gemeinschaftsgärten bezogen. Das verspricht andere Erlebnisse, andere Lerneffekte und eine andere Befriedigung als beim alltäglichen Einkauf im Supermarkt.
3.3.2 Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser
Alternative Formen der regionalen Lebensmittelversorgung, wie Lebensmittelkooperativen oder die solidarische Landwirtschaft, aber auch der traditionelle Ab-Hof-Verkauf, setzen stark auf Vertrauen. Vertrauensbasierte Transaktionen sind vor allem dort zu finden, wo Personen bereits wiederholte Male positive persönliche Austauscherfahrungen gemacht haben. RegionalisierungsverfechterInnen gehen davon aus, dass langfristige persönliche Beziehungen und ihnen inhärente gegenseitige Verpflichtungen und Abhängigkeiten opportunistisches Verhalten eindämmen.
Da der Qualitätsdruck durch die persönliche Bekanntheit der ProduzentInnen größer ist, wird gerade bei in kleinen Mengen produzierten regionalen Lebensmitteln ein Qualitätsvorsprung erwartet. Die Lebensmittelproduktion am Ort des Konsums ist durch „dichtere ökologische Rückkoppelungen“ charakterisiert und ermöglicht so raschere Anpassungsmaßnahmen bei unerwünschten ökologischen Effekten (Campbell 2009). Außerdem kennen KundInnen in der Regel eher die ökologischen und sozialen Standards, die im nationalen Umwelt-, Lebensmittel- und Arbeitsrecht definiert sind und von nationalen Behörden kontrolliert werden, als jene anderer Länder.
3.3.3 Kritik an der Regionalisierungsdiskussion
Die wenigsten Produkte aus der Region können all die vielfältigen Erwartungen einlösen, die in Tab. 3.1 aufgelistet sind. Nicht alle Betriebe, die Regionalprodukte vermarkten, arbeiten nach den Regeln des → Ökolandbaus oder erfüllen über das Tierschutzrecht hinausgehende Standards einer artgerechteren Tierhaltung. Manche bringen sogar qualitativ minderwertige oder nicht mehr frische Produkte in Umlauf. Auf Bauernmärkten finden sich teilweise auch zugekaufte, von weither importierte oder minderwertige Lebensmittel. Die „Wo-Frage“ gibt also keine verlässliche Antwort auf die „Wie-Frage“ nach den Produktions- und Handelsbedingungen (Ermann 2015).
Die Mitglieder von Lebensmittelkooperativen (Box 3.5) oder der solidarischen Landwirtschaft (Box 3.4) sind oftmals BesserverdienerInnen und (angehende) Akademiker-Innen. Personen mit Migrationshintergrund und sozial benachteiligte Gruppen haben oftmals keinen Zugang zu Qualitätsprodukten aus der Region. Somit bleibt regionale Ernährung das Privileg eines exklusiven Clubs der weißen Mittelklasse (DuPuis und Goodman 2005), die sich so von den anderen abgrenzt (siehe Kapitel 8).
Zudem wird mit dem Regionalisierungsprozess die Verantwortung von der Politik zu einzelnen KonsumentInnen und ihren Kauf- und Ernährungsentscheidungen verschoben, anstatt staatliche, gesamtgesellschaftliche Lösungen oder internationale ökologische und soziale Standards der Lebensmittelproduktion zu verankern (Hartwick 2000; van der Ploeg 2010; Sage 2012).
Die Unterstützung lokaler Firmen kann rasch in Skepsis und Angst gegenüber allem „Nicht-Regionalen“ umschlagen (Winter 2003; DuPuis und Goodman 2005). Auch zu hinterfragen ist, wieso heimische Bauernfamilien schutzbedürftiger sein sollen als solche in Südosteuropa oder im Globalen Süden. Zum Beispiel schützt auch die reformierte Zuckermarktordnung die europäische Zuckerproduktion, womit weitgehend verhindert wird, dass wesentlich preisgünstigerer Zucker aus dem Globalen Süden importiert und damit dort Einkommen geschaffen wird. Unter dem Motto trade not aid beanstanden NGOs und die Fair-Trade-Bewegung die Abschottung europäischer Märkte von Importen aus Entwicklungsländern. Morgan und Sonnino (2010) plädieren daher für einen cosmopolitan localism, bei dem sich Regionalität als Teil einer nationalen oder internationalen Gemeinschaft regionaler LebensmittelaktivistInnen versteht.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass – wie bereits oben dargelegt – heimische Lagerware oder Produkte aus Glashauskultur bezüglich Klima und Energie negativere Umwelteffekte aufweisen können als Importware aus Übersee. Aus der engen Perspektive des Energieverbrauchs und des Klimaschutzes ist wohl auch im Supermarkt angebotene Massenware in der Regel Produkten aus dezentralen, kleinstrukturierten und ineffizienten Produktions- und Logistiksystemen überlegen.
Die Präferenz für Lebensmittel aus der Region ist bei jenen Produkten am stärksten, bei denen die Kaufentscheidung von Frische, Vertrauen und Sicherheit abhängt. Das sind u. a. Fleischwaren, Brot und Gebäck sowie Obst und Gemüse. Je höher der Verarbeitungsgrad eines Lebensmittels, desto niedriger werten VerbraucherInnen die Bedeutung der Herkunft des Produkts (Sauter und Meyer 2003). Nur eine kleine Minderheit folgt Ernährungstrends wie z. B. jenem der Lokavoren oder der 100-Meilen-Diät, die beide auf eine Ernährung mit Lebensmitteln abzielen, die ausschließlich im nahen Umkreis produziert und verarbeitet wurden. Eine solche zwangsweise saisonal ausgerichtete Ernährung kann in Gebieten mit einer kurzen Vegetationszeit und einem langen Winter sehr eintönig werden. Außerdem braucht es viel Zeit, spezifische Kenntnisse und weitreichendes Wissen, um regionale Saisonware, die oftmals nicht im Supermarkt als hoch verarbeitetes → Convenience-Produkt zu finden ist, zu besorgen, zu verarbeiten, zu lagern und zuzubereiten. Darüber hinaus legen die wenigsten Kantinen, Gastbetriebe oder Hotels die Herkunft ihrer Zutaten offen. Angesichts knapper Zeitressourcen und steigender Außer-Haus-Verpflegung ist für viele Haushalte der Wunsch nach Regionalität in der Praxis daher nur bedingt realisierbar.
3.4 Kontinuum statt Dichotomie
3.4.1 Stärker und schwächer eingebettete Lebensmittelsysteme
Die beiden vorangehenden Abschnitte haben globale und regionale Lebensmittelsysteme aufgrund ihrer unterschiedlich intensiven Einbettung in soziale Beziehungen kontrastiert. Global gehandelte Massenware mit geringer sozialer Einbettung ist gekennzeichnet durch frei zirkulierende standardisierte und somit vorwiegend über den Preis vergleichbare Güter, welche VerkäuferInnen und KäuferInnen in kurzfristigen und flexiblen Transaktionen austauschen. KonsumentInnen können die geografische Herkunft der Produkte und die am Produktionsort geltenden sozialen und ökologischen Standards in der Regel nicht in Erfahrung bringen. Regionale kurze Wertschöpfungsketten fußen hingegen oft auf sozialer und geografischer Nähe, Reputation, lokalen Traditionen und einer Vielfalt von regional differenzierten Qualitäten und Produktionsstilen. VerbraucherInnen können durch direkte Interaktion mit regionalen Betrieben Einblick in die Herkunft und die konkreten Bedingungen der Lebensmittelproduktion erlangen.
Sowohl in globalen als auch in regionalen Lebensmittelsystemen gibt es Fehlverhalten und Betrug. Der Umgang damit ist jedoch unterschiedlich. Während in der Logik der globalisierten Märkte auf formalisierte Regeln, einheitliche Standards, Dokumentationspflichten, Zertifizierungen und externe Kontrollen gesetzt wird, geht es bei regionalen Lebensmittelsystemen um Vertrauen, gegenseitige Verpflichtungen, soziale Kontrolle und Reputation, die durch wiederholte persönliche Beziehungen gewachsen sind.
Sowohl in globalen als auch in regionalen Systemen gibt es eine kleine, aber wachsende Gruppe von AkteurInnen, die sich um eine ökologisch und sozial nachhaltigere Lebensmittelversorgung bemühen; allerdings verfolgen sie Nachhaltigkeitsziele mit unterschiedlichen Instrumenten. Globale Systeme setzen auf extern kontrollierte Zertifizierungssysteme wie Bio oder Fair Trade und damit auf weltweit sehr ähnlich implementierte ökologische und soziale Standards. Regionale Lebensmittel punkten mit kurzen Transportwegen, Erhaltung der Biodiversität und der kulturellen Vielfalt sowie Transparenz und Mitbestimmung bei sozialen und ökologischen Standards.
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