target="_blank" rel="nofollow" href="#uc1a5f235-7e83-5d38-a0a3-5d846266a951">Kapitel 2) Betriebe spezifischer Regionen auf jene Produkte spezialisieren, die sie am besten und billigsten bereitstellen konnten (Weizenregion, Zuckerregion; siehe auch Abb. 3.2). Agrarbörsen und große Warenumschlagsplätze unterstützten diesen Spezialisierungsprozess, der auf der Nutzung von Standortvorteilen beruht, wie etwa für ein bestimmtes Produkt besonders günstige Kostenstrukturen, besonders geeignete Böden oder klimatische Bedingungen. Zudem erlaubte diese Spezialisierung die Nutzung von Skalenvorteilen. Je größer die produzierte Menge eines spezifischen Produktes, desto billiger wird die einzelne Einheit aufgrund der anteilsmäßig abnehmenden Fixkosten und desto eher können Betriebe in spezialisiertes Personal und neue Technologien investieren und ihren Wettbewerbsvorsprung ausbauen.
In der zweiten Phase der Globalisierung (etwa seit den 1950er Jahren) haben Entwicklungen in der EDV-gestützten Logistik und noch effizientere Transportsysteme die optimierte Erzielung von Kostenvorteilen in den einzelnen Schritten der Produktion, Verarbeitung, Lagerung und Paketierung ermöglicht. So können regionale Wettbewerbsvorteile – absolute oder auch relative (komparative) – für einzelne Schritte der Wertschöpfungskette genutzt werden, sodass eine Wertschöpfungskette Betriebe verschiedener Länder oder unterschiedlicher Kontinente verbinden kann. Regionen und ihre Betriebe spezialisieren sich auf bestimmte Funktionen und nicht mehr auf bestimmte Produkte (vgl. Box 3.1).
Box 3.1: Rind- und Kalbfleischproduktion als Beispiel für arbeitsteilige Wertschöpfungsketten in der zweiten Phase der Globalisierung
Ein Stierkalb einer bayerischen Milchkuh hat u. U. einen amerikanischen oder niederländischen Vater. Besamungszucht-Unternehmen in diesen Ländern sind spezialisiert auf den Export von Stiersamen, der die Aufzucht von Kühen mit einer hohen Milchleistung verspricht. Dieses männliche Kalb findet im spezialisierten bayerischen Milchbetrieb keine Verwendung und wird daher z. B. nach Frankreich exportiert, dort mit nährstoffreichem Milchaustauscher gemästet und schließlich als Kalbfleisch vermarktet. Dasselbe Kalb könnte aber auch nach Spanien exportiert und dort mit aus Südamerika importiertem, gentechnisch verändertem Sojaschrot gemästet, geschlachtet und zu Rindfleisch verarbeitet werden. Während die Edelteile in Spanien oder Frankreich bleiben, kommen weniger begehrte Teile nach Afrika, Osteuropa oder Asien, von wo allenfalls wieder Verarbeitungsprodukte wie Gelatine, Collagen oder Fleischextrakte nach Europa exportiert werden.
Außer durch neue Transporttechnologien wurde der Warenaustausch auch durch Innovationen der Lebensmitteltechnologie unterstützt. Neue Konservierungstechniken und Zusatzstoffe wie Stabilisatoren, Antioxidantien, Emulgatoren, Feuchthaltemittel oder Säureregulatoren ermöglichten den Austausch verderblicher Waren auch über längere Distanzen und Zeiträume unter weitgehender Beibehaltung der Konsistenz, des Geschmacks und Geruchs des Lebensmittels.
Van der Ploeg (2010) weist darauf hin, dass multinational agierende Agrarunternehmen über einen bevorzugten Zugang zu technologischen Innovationen verfügen, was einer Industrialisierung und Standardisierung der Lebensmittelproduktion sowie einer weiteren Machtverschiebung Vorschub leistet. Der Handlungsspielraum der bäuerlichen Betriebe verengt sich, da sie von beiden Seiten, durch mächtige und transkontinental agierende Zulieferunternehmen von Vorleistungen für die landwirtschaftliche Produktion (Saatgut, Dünger, Medikamente etc.) und durch den hoch konzentrierten Handel, unter Druck geraten. Kontextspezifisches, informelles Wissen der Bäuerinnen und Bauern wird entwertet und durch standardisierte Praktiken der Landnutzung und Tierhaltung ersetzt. Bäuerliche Betriebe finden sich in einem „technologischen Hamsterrad“ wieder (Levins und Cochrane 1996). Neue Technologien führen zu Überproduktion und fallenden Preisen. Landwirtschaftliche Betriebe müssen kontinuierlich investieren, um ihre Produktion weiter zu steigern, ohne je selbst ausreichend vom Produktivitätszuwachs zu profitieren (Morgan und Murdoch 2000). Der Anteil des Endverbraucherpreises, der der Landwirtschaft zufällt, sinkt so zugunsten der konzentrierten Zuliefer- und Handelsunternehmen (Foresight 2011).
Liberalisierung des Handels
Multinational agierende Unternehmen der Agrar- und Lebensmittelindustrie und Verfechter des Freihandels haben über international abgestimmte Verfahren der Welthandelsorganisation (WTO) den Abbau von Handelshemmnissen und die Liberalisierung bzw. Neuregulierung (supra)nationaler Agrarpolitiken vorangetrieben. Im Zuge dessen wurden in der EU produktbezogene Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe schrittweise durch flächenbezogene Zahlungen und Agrarumweltzahlungen abgelöst, Preisinterventionen reduziert und Marktordnungen liberalisiert (z. B. Abschaffung der Milchkontingentierung, welche vorher die Milchabsatzmenge regelte).
Zusätzlich zu multilateralen Abkommen über die WTO verfolgte die EU – getrieben von europäischen Unternehmen, die Zugang für ihre Güter und Dienstleistungen auf internationalen Märkten suchten, und den ins Stocken geratenen WTO-Verhandlungen – auch bilaterale Handelsabkommen mit zahlreichen Ländern in der ganzen Welt (z. B. CETA mit Kanada). Standen bis in die 1970er Jahre der Abbau von Zöllen (englisch: tariffs) im Vordergrund, so ging es in den letzten Jahrzehnten vorwiegend um den Abbau nichttarifärer Handels- und Investitionshindernisse. Zu diesen zählen Importquoten und -lizenzen, Verpackungs- und Kennzeichnungsvorschriften, Beeinflussung der KonsumentInnen zum Kauf einheimischer Produkte, unterschiedliche technische Normen, Sozial- und Umweltstandards, Ausschreibungsmodalitäten öffentlicher Aufträge, Zulassungen für ausländische Dienstleistungsanbieter oder andere marktbezogene Regulative. Insbesondere gerieten auch die Regeln für die öffentliche Beschaffung, wie etwa für Großküchen in Krankenhäusern, Altersheimen, Schulen und Kindergärten, für die Katastrophen-, Flüchtlings- und Entwicklungshilfe oder öffentliche Dienstleistungen wie die Trinkwasserversorgung ins Visier der Verhandlungspartner.
Diese von Freihandelsvertretern als nichttarifäre Handelshemmnisse qualifizierten Regeln sind jedoch nicht unbedingt auf die Beschränkung des Wettbewerbs ausgerichtet. Sie können auch primär zum Schutz von VerbraucherInnen vor schlechter Ware oder minderwertigen Dienstleistungen sowie von ArbeitnehmerInnen und der Umwelt dienen. Da es bei der Harmonisierung von Standards häufig um eine Nivellierung nach unten und nicht um eine Angleichung nach oben geht, bedeutet der Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse in der Regel eine Beschneidung des Umwelt-, Sozial- und Verbraucherschutzes. Dieses race to the bottom kann auch die öffentliche Ausschreibung von Großaufträgen und Dienstleistungen betreffen und damit die Qualität öffentlicher Dienstleistungen beeinträchtigen (Billigstbieter- versus Bestbieterprinzip).
Nachfrage einer wachsenden Bevölkerung
Der zunehmende Güter- und Leistungsaustausch im internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr und die voranschreitende internationale Arbeitsteilung führten gemeinsam mit der Technisierung zu enormen Produktivitätszuwächsen. So konnten mehr und kostengünstigere Lebensmittel für eine in fast allen Teilen der Welt wachsende Bevölkerung produziert werden. Die Bekämpfung von Hunger und Unterernährung ist daher ein wesentliches Argument der GlobalisierungsbefürworterInnen und zentrales Ziel der Vereinten Nationen. In den letzten Jahrzehnten, die durch starke Globalisierungsprozesse gekennzeichnet waren, konnte zwar der Anteil der unterernährten Menschen weltweit reduziert werden; in absoluten Zahlen hat sich aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung aber wenig an der Dramatik der Situation geändert (siehe Abb. 3.3).
Abb. 3.3: Anzahl und Anteil unterernährter Personen weltweit (basierend auf Daten der FAO 2015)
Fluktuierende Lebensmittelpreise, die in liberalisierten, deregulierten Lebensmittelmärkten von einzelnen Nationalstaaten kaum beeinflusst werden können, treffen Haushalte im → Globalen Süden weit stärker als im Globalen Norden, weil Erstere einen höheren Anteil des Haushaltseinkommens für Lebensmittel aufwenden (siehe Abb. 3.4).
Der Anteil der Haushaltsausgaben für Lebensmittel ist insbesondere in den Ländern des Globalen Nordens in