Friedrich Haberlandt in den 1870er Jahren, zunächst im Sand. Doch noch vor dem Ersten Weltkrieg begannen Handelsunternehmen, Sojabohnen(-produkte) aus der – zwischen Russland und Japan umkämpften – nordostchinesischen Mandschurei nach Westeuropa zu verschiffen. Dort diente das Öl als industrieller Rohstoff, etwa zur Seifenherstellung. Im US-zentrierten Nahrungsregime stiegen die USA im und nach dem Zweiten Weltkrieg zum führenden Sojaproduzenten und -exporteur auf. Dabei gewann zunehmend der bei der Ölgewinnung anfallende Ölkuchen als eiweißreiches Futtermittel für den US-amerikanischen, westeuropäischen und japanischen Viehkomplex an Gewicht. Im WTO-zentrierten Nahrungsregime machten Brasilien und andere Staaten Südamerikas den USA die Führungsrolle auf dem Weltmarkt für Sojaprodukte streitig. Als Hauptabnehmer trat neben Europa und Japan nun China, dessen urbane Mittelschichten zunehmend den Fleischkonsum – und damit den Futtermittelverbrauch – in die Höhe trieben. Im Lauf des 20. Jahrhunderts wurde die Sojabohne von einem fernöstlichen Gemüse für den menschlichen Verzehr zu einer ‚verwestlichten‘ Ölfrucht als Quelle für eine Fülle weiterer Produkte: als Pflanzenöl für die menschliche Ernährung, als Rohstoff für die Herstellung verschiedener Industrieprodukte (Farben, Kleber, Kosmetika usw.) und als Futtermittel für die wachsenden Nutzviehherden in Industrie- und Schwellenländern (Langthaler 2015).
Handelsströme von Sojaprodukten 2011
Die De- und Reregulierung im WTO-Regime spaltete den globalen Nahrungsmittelmarkt in ein Quantitäts- und ein Qualitätssegment: Das niedrigpreisige Quantitätssegment herrscht in den südlichen Schwellenländern und den östlichen Transformationsländern, aber auch unter einkommensschwachen Käuferschichten in westlichen Industrieländern vor. Es umfasst vor allem gentechnisch veränderte, agroindustriell verarbeitete und transkontinental gehandelte Waren von Supermärkten und fast-food-Ketten (food from nowhere; Campbell 2009). Das hochpreisige Qualitätssegment, das in den Industrieländern des Nordens eine wichtige Nische im Einzelhandel bildet, umfasst verschiedene Angebote: einerseits tropische Fisch-, Obst- und Gemüseprodukte, die saisonunabhängig über transnationale Vertriebswege in den Einzelhandel gelangen; andererseits saisonale, regionale und Bioprodukte für kaufkräftige und reflektierte KonsumentInnen (food from somewhere; Campbell 2009). Die marktmächtigen Supermärkte machen sich diese Zweiteilung zunutze, indem ihr Angebot beide Segmente zugleich bedient und derart die Kaufkraft der KonsumentInnen – vom exzessiven Fleischkonsum zum differenzierten Speisezettel – umfassender ausschöpft (Weis 2013).
Doch die lohnabhängigen KonsumentInnen von Handelswaren sind weniger zahlreich als die (klein)bäuerlichen, hungergefährdeten NahrungsproduzentInnen, denen das WTO-zentrierte Nahrungsregime die Lebensgrundlage zu rauben droht (siehe Kapitel 7; McMichael 2013, 47 ff.). Derartige Widersprüche, angeheizt durch die Welternährungskrisen von 2007/08 und 2010/11 (Rosin et al. 2012), treten zunehmend in das öffentliche Bewusstsein – etwa in der globalisierungskritischen Bewegung La Via Campesina (van der Ploeg 2008), die der neoliberalen Auffassung von Ernährungssicherheit die → Ernährungssouveränität als Menschenrecht entgegenhält (siehe Abb. 2.3; McMichael 2013, 57).
Abb. 2.3: Übersicht zum WTO-zentrierten Nahrungsregime (eigene Darstellung)
Der Weg von Landwirtschaft und Ernährung im Globalisierungszeitalter folgte keiner zielgerichteten „Modernisierung“ von einem Anfangs- zu einem Endzustand. Vielmehr führte er, mehrmals die Richtung wechselnd, durch unterschiedliche Nahrungsregime: das erste, UK-zentrierte, das zweite, US-zentrierte und das dritte, WTO-zentrierte. Entgegen dem neoliberalen TINA-Prinzip (there is no alternative) ist das gegenwärtig herrschende Nahrungsregime nicht alternativlos. Die neoliberale Strategie, die etwa die WTO vertritt, fordert entsprechend einer produktivistischen Logik den Ausbau des agroindustriellen Modells mittels wissenschaftlich-technischen Fortschritts (z. B. → Gentechnik). Dazu gibt es mehrere Alternativen: Die reformistische Strategie, die etwa viele Aktivitäten der FAO anleitet, sucht die Auswüchse des neoliberalen Regimes mittels Nahrungshilfsprogrammen und der Förderung nachhaltiger Landbewirtschaftung einzudämmen, ohne jedoch die Machtverhältnisse grundsätzlich umzuwälzen. Die progressive Strategie, der → alternative Lebensmittelnetzwerke (z. B. Fair Trade) folgen, sucht innerhalb des herrschenden Regimes Nischen eines gerechten und nachhaltigen Umgangs mit Nahrung auszubauen. Die radikale Strategie, die etwa La Via Campesina vertritt, zielt auf die Aushebelung agroindustrieller Geschäfts- und industriestaatlicher Machtinteressen mittels durchgreifender Ressourcenumverteilung und Demokratisierung. Diese alternativen Strategien unterscheiden sich nicht nur nach Nähe zum und Distanz vom WTO-zentrierten Nahrungsregime, sondern auch im Hinblick auf globale, nationale oder subnationale Denk- und Handlungsansätze (Young 2012, 342 ff.). Eine – wenn nicht die – Existenzfrage der gegenwärtigen Weltgesellschaft und ihrer Umwelt lautet, ob das neoliberale Regime mit seinen sozialen und ökologischen Folgekosten aus der aktuellen Krise gestärkt hervorgeht oder durch ein anderes, etwa der Ernährungssouveränität verpflichtetes Regime abgelöst wird. Darum geht es im Schlusskapitel dieses Buches (siehe Kapitel 9).
Kontrollfragen
Diskussionsfragen
3. Globalisierung und Regionalisierung
Globalisierte Wertschöpfungsketten verknüpfen arbeitsteilige Produktions- und Verarbeitungsschritte in verschiedenen Ländern und Kontinenten. Die Liberalisierung und Öffnung nationaler Märkte, technische Innovationen und die Nachfrage einer wachsenden Bevölkerung nach günstigen und vielfältigen Lebensmitteln haben zu immer längeren Wertschöpfungsketten geführt. Gleichzeitig bemühen sich immer mehr KonsumentInnen, Betriebe und Initiativen, aber auch ganze Regionen aus unterschiedlichsten Motiven um kurze, regionale Wertschöpfungsketten