Oliver Jens Schmitt

Kulturgeschichte der Überlieferung im Mittelalter


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dass diese Wiedergabe nur bei Wörtern zu finden ist, die das Albanische aus dem Altgriechischen, vor allem aber so zahlreich aus dem Lateinischen entlehnt hat. In den Wörtern, die das Albanische direkt aus seiner Vorstufe, dem Urindogermanischen, als Erbwörter fortgeführt hat, ist die Lautverbindung sk hingegen ganz anders entwickelt worden, nämlich zum Laut h, so z. B. in dem Verbum mih „graben, umgraben“, das mit dem deutschen Verbum mischen verwandt ist und die beide auf einer rekonstruierten urindogermanischen Vorform *misḱe/o- „mischen“ beruhen (Rekonstruierte [<<76] sowie unbelegte bzw. nur hypothetisch gebildete Vorformen werden in der Linguistik mit einem hochgestellten Sternchen gekennzeichnet).

      Beim Ortsnamen alban. Shkodra muss auch sein Vokal o einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Die Entsprechung des alban. o mit dem o der antiken Namensform ist gleichfalls ein Phänomen, das so nur bei Wörtern beobachtet werden kann, die das Albanische entlehnt hat, vgl. alban. korb „Rabe“, das vom gleichbedeutenden lateinischen corvus abstammt. In albanischen Erbwörtern wiederum hat man es dagegen mit einer völlig anderen Entwicklung des urindogermanischen Vokals o zu tun, der, wie aus der relativen Chronologie klar hervorgeht, sehr frühzeitig schon zu einem a geworden ist, wie in dem Beispiel von natë „Nacht“ aus urindogermanisch *nokwt- (von dem auch gleichbedeutend lateinisch nox, Genetiv noctis herstammt).

      Das bedeutet, dass eine ältere Sprachform des Albanischen, Uralbanisch genannt, somit keinen Vokal o mehr gekannt hat. Erst in einer späteren Periode seiner Sprachentwicklung ist dann sekundär wieder ein Vokal o entstanden, der sich aus den urindogermanischen Langvokalen ā und ē entwickelt hat (beide wurden zunächst zu uralban. ā, ehe dieses später zu o verändert wurde, vgl. z. B. alban. motër „Schwester“ aus urindogermanisch *māter- „Mutter“ gegenüber lateinisch māter). Dieses (ca. zwischen dem 1. und 2. nachchristlichen Jahrhundert) erst sekundär entstandene o wurde dann als geeigneter Ersatzvokal verwendet, um das o in den lateinischen Lehnwörtern wiederzugeben.

      Aus diesen Befunden geht daher klar hervor, dass die albanische Namensform Shkodra typische Merkmale aufweist, die nicht die ererbten Wörter des Albanischen kennzeichnen, sondern nur seine Lehnwörter. Im Rahmen der Hypothese einer linearen illyrisch-albanischen Sprachkontinuität sollte aber auch der antike Ortsname Scodra, der seit ca. dem 4. vorchristlichen Jahrhundert inschriftlich auf Münzen bezeugt ist, ebenfalls linear im Albanischen fortgeführt worden sein, und mithin sollte er nach dem eben Gesagten die lautlichen Merkmale eines albanischen Erbwortes aufweisen (hierbei wäre eine hypothetische Namensform *Hadra zu erwarten gewesen).

      Die sorgfältige Untersuchung der Fortführung antiker Ortsnamen im Albanischen lässt somit gesicherte Rückschlüsse auf die Lautsysteme des Illyrischen und des zeitgleichen Uralbanischen zu: während [<<77] das Illyrische, wie es der Ortsname Scodra zeigt, einen Vokal o sowie eine Lautverbindung sk aufwies, waren diese dem Uralbanischen unbekannt (urindogermanisches o war bereits zu a geworden und sk hatte sich zu h entwickelt). Diese entsprechend den linguistischen Grundprinzipien unüberwindbaren lautlichen Diskrepanzen offenbaren, dass es sich hier um zwei unterschiedliche Lautsysteme und damit auch um zwei verschiedene Sprachen handelt. Das Albanische kann deshalb weder mit dem Illyrischen gleichgesetzt, noch direkt von ihm hergeleitet werden. Durch seine lautliche Wiedergabe im Albanischen verrät der Ortsname Shkodra somit, dass er erst in einer späteren Periode des Uralbanischen von dessen Sprechern aufgenommen wurde, wobei fremdes o durch erst neu entwickeltes o und die Lautgruppe sk mit shk ersetzt wurde. Einer Kontinuität bzw. Autochthonie von Albanern in diesem Raum widerspricht dieser sprachliche Befund. So verhält es sich aber nicht nur bei der Lautgeschichte von Shkodra, auch alle anderen Orts-, und ebenso die Flussnamen, die auf dem antiken Gebiet des heutigen Albaniens bezeugt sind, zeigen bei ihrer Erhaltung gleichfalls nur solche Lautersetzungen, die für Lehnwörter im Albanischen charakteristisch sind. In diesem Zusammenhang darf auch nicht übersehen werden, dass ein großer Teil der heute in Albanien zu findenden geographischen Namensgebung ohne Zweifel sogar erst aus den südslawischen Sprachen übernommen worden ist. Dieser Befund widerspricht somit ganz deutlich der Annahme, wonach die Albaner als vermeintlich Autochthone die heutigen Nachkommen der antiken Illyrer sein sollen und legt zugleich nahe, dass die Albaner in ihren bekannten Siedlungsraum erst zugewandert sein müssen.

      Alteingesessene oder Zuwanderer?

      In der Tat wurde in der Forschung schon frühzeitig als Gegenentwurf zur Autochthoniehypothese der Albaner die Hypothese ihrer Zuwanderung aufgestellt. Diese sogenannte Admigrationshypothese widerspricht aber nicht nur einer illyrischen Herkunft der Albaner und des Albanischen, sondern versucht gleichzeitig auch, die Frage der Herkunft mit der Behauptung zu beantworten, dass das Albanische vom Thrakischen herzuleiten sei. Dieser vermeintlich thrakischen Herkunft (im Besonderen vom thrakischen Stamm der Bessen) kann wegen der eingeschränkten Beleglage des Thrakischen wiederum nur durch eine Konfrontation der Lautsysteme der beiden Sprachen [<<78] nachgegangen werden. Jedoch ergeben sich auch bei diesem Vergleich klare Diskrepanzen, die deutlich machen, dass die Lautsysteme des Thrakischen und Uralbanischen nicht deckungsgleich sind und somit zwei verschiedene Sprachen vorliegen müssen.

      Ist das Albanische aber weder illyrischer noch thrakischer Herkunft, so bleibt nur der Schluss, dass es vielmehr eine andere altbalkanische Sprache fortsetzt, die unabhängig neben dem Illyrischen und Thrakischen gesprochen und trotz der intensiven Sprachkontakte mit dem Lateinischen sowie später auch dem Slawischen weder romanisiert noch slawisiert wurde, ähnlich wie das keltische Walisische (bzw. Kymrische) überlebte, das im Rückzugsgebiet walisischer Höhenlagen trotz eines ebenso intensiven Sprachkontakts mit dem Lateinischen weder romanisiert wurde, noch im Folgenden dem Angelsächsischen (Altenglischen) unterlegen ist.

      Intensiver Sprachkontakt zwischen verschiedenen Sprachen und daraus resultierende Vielsprachigkeit ist im Übrigen ein Charakteristikum auch des nachantiken Südosteuropa, denn die hier gesprochenen Sprachen haben in jeweils mehr oder weniger hohem Grad spezifische Übereinstimmungen in Grammatik, Satzbau, Wortschatz und Redewendungen ausgebildet, die sogenannten Balkanismen, die besonders zahlreich im Albanischen, Mazedonischen und Aromunischen verbreitet sind. Als Benennung dieser sprachlichen Übereinstimmungen hat sich der Terminus Balkansprachbund eingebürgert, die Disziplin, die diese Phänomene untersucht, ist die Balkanlinguistik.

      Führt die sprachwissenschaftliche Analyse zu der Erkenntnis, dass das Albanische weder illyrisch noch thrakisch ist und die Albaner nach Ausweis der lautlichen Entwicklung der Orts- und Flussnamen erst zugewandert sein müssen, stellt sich sofort die Frage, woher diese Zuwanderung erfolgt ist und ob die Sprachwissenschaft auch hierauf eine Antwort geben kann. In der Tat gibt es indirekte Hinweise, dass diese Zuwanderung aus den inneren Regionen Südosteuropas erfolgt sein muss. Einer dieser Hinweise besteht darin, dass das Albanische mit dem Rumänischen eine Reihe von Wörtern gemeinsam hat, besonders in der Domäne der Kleinviehhaltung. Dabei handelt es sich einerseits um Wörter, die exklusiv nur diesen beiden Sprachen gemeinsam sind und den Charakter von Erbwörtern aufweisen, sowie andererseits um lateinische Lehnwörter, die gleichfalls nur im Albanischen und [<<79] Rumänischen in dieser Form erhalten sind. Diese Gemeinsamkeiten können aus einem direkten Sprachkontakt auf einer früheren Zeitstufe erklärt werden, d. h. die heute geographisch weit voneinander getrennt lebenden Sprecher des Albanischen und des Rumänischen müssen sich zwischen nachantiker und frühmittelalterlicher Zeit in einer geographisch unmittelbaren soziokulturellen Symbiose und in engem Sprachkontakt befunden haben.

      Da aus sprachwissenschaftlicher Sicht auch der nahezu von der gesamten rumänischen Linguistik vertretenen Hypothese einer Entstehung des Rumänischen nördlich der Donau mit gewichtigen Argumenten zu widersprechen ist, ergibt sich so ein weiterer Hinweis darauf, dass das albanisch-rumänische Kontaktgebiet einst im Inneren Südosteuropas gelegen haben muss. Speziell für die Gruppe der gemeinsamen Wörter, die sich auf die Kleinviehhaltung beziehen und die nicht gemeinsamer lateinischer Herkunft sind (z. B. albanisch thark, rumänisch ţarc „(geflochtene Kleinviehhürde“), hat sich die Ansicht eingebürgert, dass diese gleichfalls Lehnwörter (sog. Substratwörter) sein sollen, und zwar aus einer altbalkanischen Sprache, die meist mit der Sprache der Daker identifiziert wird. Aber dieser Substrathypothese wurde auch schon früh von Teilen der Sprachwissenschaft widersprochen, die in vielen dieser Wörter uralbanische Lehnwörter erkennt, die ins Urrumänische aufgenommen wurden. Dass diese Auffassung zutrifft, kann in einer Reihe von