Norbert Schütte

Grundwissen Sportmanagement


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im Lauf der europäischen Geschichte entwickelte. Dabei stellte er fest, dass es einen Prozess gab, in dem die Honoratiorenverwaltung sich zur modernen Bürokratie wandelte. Honoratioren sind ehrenamtEhrenamtliche Verwalter. Es waren Leute, die für die Politik leben, ohne von ihr leben zu müssen. Meist waren es Adlige, die nebenher einen Bezirk verwalteten. Diese wurden nach und nach von bürokratischen Modellen abgelöst. Weber sah als Ursache die Überlegenheit der bürokratischen gegenüber der Honoratiorenverwaltung:

       Kontinuität der Geschäftsführung: Honoratioren leben nicht von ihrem Amt, daher fällt es leicht, es aufzugeben. Daher kam es immer zu Diskontinuitäten im Dienstgeschäft. Dagegen wird in bürokratischen Organisationen die Kontinuität der Geschäftsführung garantiert. Das Ausscheiden eines Mitarbeiters ist aufgrund der HauptamtlichkeitHauptamtlichkeit unwahrscheinlicher als bei den ehrenamtlichen Honoratioren. Zudem sind Nachfolge und Vertretung geregelt.

       Amtsführung nach festen Regeln: Der Unterschied zwischen Vorgänger und Nachfolger (bzw. Vertreter) ist in der Bürokratie kaum spürbar, da beide an feste Regeln gebunden sind. Die Amtsführung ist unpersönlich. Bei gleicher Sachlage wird immer gleich entschieden, unabhängig von der Person des Amtsinhabers oder seiner aktuellen Laune. Honoratioren agierten dagegen oft nach eigenem Gusto und entschieden sich nach ihrer jeweiligen Stimmungslage und oft auch nach eigenen Interessen. Dabei war oft nicht klar, welche Entscheidungsbefugnisse sie haben. In der Bürokratie sind dagegen die Grenzen und die Rechte der Amtsinhaber klar geklärt.

       Hierarchie der Befehlsgewalten: In Bürokratien wird genau festgelegt, wer wessen Vorgesetzter für welche Aufgaben ist und was der Vorgesetzte dem Untergebenen befehlen darf.

       Strikte Trennung von Amt und Person: Die Ressourcen des Amts entziehen sich dem privaten Zugriff durch die Mitarbeiter. In der Honoratiorenverwaltung gab es keine Trennung von eigenem und staatlichem Besitz durch die Honoratioren. So war nicht nur Willkür an der Tagesordnung, sondern auch die eigene Bereicherung auf Kosten der Allgemeinheit.

       Keine Ämterweitergabe durch Amtsinhaber: Die Rekrutierung eines Nachfolgers war in der Honoratiorenzeit nicht geregelt, aber das Amt wurde oft vom Amtsinhaber selber nach Gutdünken weitergegeben. Dabei flossen Privatinteressen, aber keinerlei Qualitätskontrollen mit ein. In der Bürokratie gibt es feste Regeln zur Qualifikation von Amtsinhabern, die durch staatlich gesicherte bzw. überprüfte Ausbildungen erlangt werden können. Der aktuelle Amtsinhaber ist bei der Besetzung seiner Nachfolge nicht beteiligt. So wird auch verhindert, dass Fehler oder Vergehen des alten Amtsinhabers vertuscht werden können, weil sein Nachfolger in diese Vergehen miteinbezogen war.

       Schriftlichkeit der Kommunikation: Das Prinzip der Schriftlichkeit in den Amtsgeschäften ermöglicht die akkurate Umsetzung von Regeln nachträglich nachzuvollziehen. Sie ermöglicht auch ggf. einem Nachfolger die bisher geübte Praxis nachzuvollziehen und anhand der Präzedenzfälle kontinuierlich weiterzuarbeiten. In der Honoratiorenzeit gab es oft Probleme, da mündliche Vereinbarungen bei einem Wechsel des Amtsinhabers nicht mehr einklagbar waren.

      Weber kam durch seine historischen Studien zu seiner Bürokratietheorie. Die historisch früheren Herrschaftsformen erweisen sich dabei der modernen Bürokratie als unterlegen. Die Bürokratie ist schneller, verlässlicher, präziser und diskreter. Insgesamt führt sie zu einer Verlässlichkeit und Berechenbarkeit, die historisch ihresgleichen sucht. Weber nannte sie die „formal rationalste Form der Herrschaftsausübung“ (Weber 1980, 128). Sie ist universalistisch einsetzbar und technisch effizient. Sie bietet Schutz vor Willkür (ebenda).

      Der Ansatz von Weber ist im Kern also eine historische Arbeit, die zu einer wichtigen Organisationstheorie führte. Er propagiert dabei die Bürokratie nicht als einfaches Erfolgskonzept. Man kann sagen, dass Weber nicht nur die Bürokratie als Herrschaftsform (bzw. implizit als Managementform) identifiziert hat, sondern auch gleichzeitig ein bedeutsamer Kritiker des Ansatzes ist. Er spricht von dem „stahlharten Gehäuse“ der Bürokratie. Ihr fehle es an Flexibilität und sie neige zur Überexaktheit (Weber 1980, 835). Robert K. Merton hat für die wortwörtliche Überexaktheit einer Bürokratie ein prägnantes Beispiel genannt. In den USA musste man für den Erhalt der Staatsbürgerschaft früher fünf Jahre auf dem Boden der USA eine Tätigkeit nachweisen, die zum Lebensunterhalt reichte. Ein Antragsteller wurde abgelehnt, weil er als Mitglied einer Antarktis-Expedition den Boden der USA verließ. Obwohl das Schiff, auf dem er unterwegs war, unter amerikanischer Flagge fuhr und er sich zudem in einem Gebiet in der Antarktis aufhielt, das von den USA beansprucht wurde. Man wollte schon das Schiff nicht als amerikanischen Boden betrachten, obwohl es formal rechtlich amerikanischen Gesetzen unterworfen war (Merton 1971, 269).

      Oft sind die Stärken auch die Schwächen einer Lösung. Die Bürokratie beendet Willkürherrschaft und Unsicherheit durch das Einführen von expliziten, also schriftlich niedergelegten und jedem zugänglichen Regeln. Sie sind Sonderformen von sozialen Normen und entsprechend kann auf sie übertragen werden, was Ralf Dahrendorf über die doppelte Eigenschaft von Normen feststellte: Sie sind sowohl ein Halt als auch eine Fessel. Sie geben Handlungssicherheit und Berechenbarkeit, gleichzeitig schränken sie die Freiheit ein (Dahrendorf 1986a, 141).

      3.3.1 Bürokratie und erwerbswirtschaftliche Betriebe

      Die Bürokratie wird meist mit staatlichen Organisationen assoziiert. Tatsächlich ist sie auch typisch für erwerbswirtschaftliche Betriebe. Gerade in großen Unternehmen hat sie sich durchgesetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich der Begriff IndustriebürokratieIndustriebürokratie (Bahrdt 1958) hierfür durch. Die Ähnlichkeiten von Max Webers Theorie und den tayloristischen Prinzipien (Hierarchie), Zuständigkeiten als ArbeitsteilungArbeitsteilung, liegen auf der Hand. Dennoch unterscheiden sich die Ansätze stark. Während Taylor ein präskriptives Handbuch verfasst hat, also eine Anweisung wie man managen muss, damit man erfolgreich ist, hat Weber auf der Grundlage ausführlicher Deskriptionen eine Theorie entwickelt.

      Der große Unterschied der Industriebürokratie zum Staat liegt darin, dass die Bürokratie in erwerbswirtschaftlichen Betrieben nur so weit anwachsen kann, bis das Unternehmen unrentabel wird. Dann entsteht entweder ein Wandlungsdruck zur Reduzierung der Regeln oder aber es geht direkt in die Insolvenz. Der Markt wirkt hier als Regulativ der Bürokratie. Tatsächlich gibt und gab es immer wieder Ansätze, die versuchten, den bürokratischen Anteil zurückzufahren. So ist der Ansatz des Lean Managements (siehe Kapitel 5.3) auch der Versuch, Regelungen zu entfernen und Hierarchien abzubauen. Da es einen Zusammenhang zwischen Größe der Organisation und der Anzahl formeller Regeln gibt (Child 1972), ist der Versuch, klein zu bleiben und trotzdem viel zu produzieren, sinnvoll. Typisch ist hier das sogenannte Outsourcing. Die Frage, ob man etwas besser einkauft oder selbst macht, wird hier programmatisch mit Einkaufen beantwortet. So ist es z.B. eine Strategie des Sportartikelherstellers Nike, Sportartikel nur zu konzipieren und zu verkaufen, aber nicht zu produzieren. Nike besitzt und besaß keine Fabriken (Kurbjuweit 2003). Solche Organisationen werden nach Jonas (1986) als hollow corporationhollow corporation (leere Organisation) bezeichnet. Im deutschen Sprachraum hat sich dagegen die Bezeichnung SchaltbrettunternehmungSchaltbrettunternehmung (Sydow 1992) durchgesetzt.

      Es gibt aber auch Managementansätze, die in mehr Bürokratie enden, wie etwa das QualitätsmanagementQualitätsmanagement (siehe Kapitel 5.2).

      3.3.2 Bürokratie und Sportverwaltung

      Bürokratie wird typsicherweise mit staatlichen Organisationen verbunden. Ist dies aber in der Sportverwaltung auch der Fall? Natürlich finden sich klare Regelungen, etwa bei der Vergabe von Ressourcen, die in der Regel als Sportförderungsrichtlinien niedergelegt sind. Anders als viele andere Verwaltungen des Staates fußt die Sportverwaltung nicht auf einer Pflichtaufgabe, sondern ist eine freiwillige Aufgabe des Staates. Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung, den Sport zu fördern so wie es Pflicht einer jeden Kommune ist, Personalausweise auszustellen. Dies ist einer der Gründe dafür, dass Sportverwaltungen in Deutschland sehr heterogen sind. Es gibt keine bundesweiten Gesetze, die zu einer Standardisierung führen würden. Im Gegenteil, da der Sport genau wie die Bildung Länder- und Kommunenaufgabe ist, wird von deren Seite her sehr auf Autonomie und Selbstgestaltung