Udo Schnelle

Theologie des Neuen Testaments


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      32 Dieses Schweigen im Sinne einer historisch oder theologisch verifizierbaren Ankündigung/Voraussage schließt natürlich nicht ein vielgestaltiges Reden im Rückblick aus, wie wir es im Neuen Testament finden. Auch der Versuch von M. WITTE, Jesus Christus im Spiegel des Alten Testaments, in: J. Schröter (Hg.), Jesus Christus, Tübingen 2014, (13–70) 22, eine „christo-transparente“ Auslegung des Alten Testaments vorzunehmen, „und dabei exemplarisch auf strukturelle Entsprechungen, konzeptionelle und motivische Parallelen sowie traditionsgeschichtliche Verbindungen in der Rede von Gott im Alten und im Neuen Testament hinzuweisen“ (a.a.O., 21f), ist in Wahrheit eine neutestamentliche und nicht eine alttestamentliche Perspektive. Eine Biblische Theologie ist und bleibt im strikten Sinn ein neutestamentliches Phänomen, das aufzeigt, wie und in welchem Umfang ntl. Autoren das Alte Testament bei ihrer Interpretation des Christusgeschehens heranzogen.

      33 Eine Übersicht zum Für und Wider einer Biblischen Theologie bieten CHR.DOHMEN/TH. SÖDING (Hg.), Eine Bibel – zwei Testamente, Paderborn 1995.

      34 Hierin sehe ich das Problem der Darstellung von F.HAHN, der Vielfalt und Einheit gleich umfänglich behandelt, wodurch es zwangsläufig zu erheblichen Überschneidungen und Wiederholungen unter veränderten Vorzeichen kommt; vgl. z.B. zum Thema ‚Gesetz bei Paulus‘ DERS., Theologie I, 232–242; Theologie II, 348–355. F. J. MATERA, New Testament Theology, 478f, stellt die vier großen Überlieferungsströme des Neuen Testaments (Synoptiker/Paulus/Johannes/weitere Stimmen) unter die Leitfrage ‚humanity in need of salvation’, um dann unter dem Oberbegriff ‚the bringer of salvation‘ die Frage nach der Einheit zu beantworten: „Three elements account for the diverse unity of New Testament theology: (1) an experience of salvation in Jesus Christ, (2) an underlying narrative that recounts the story of salvation, and (3) the diverse starting points that the New Testament writers employ to express the salvation God has effected in Christ. The first two elements account for the unity of New Testament theology, the last for the diverse ways in which the New Testament writers communicate their understanding of what God has accomplished in Christ.“

      35 Anders F.HAHN, Theologie II, 2: „Die Darstellung der Vielfalt im Sinn einer Theologiegeschichte des Urchristentums ist ein notwendiges und unerläßliches Teilstück, ist für sich genommen jedoch nur ein Fragment. Erst in der Verbindung mit dem Bemühen, die verschiedenen theologischen Entwürfe des Urchristentums aufeinander zu beziehen und nach deren Einheit zu fragen, kann von einer ‚Theologie des Neuen Testaments‘ im strengen und eigentlichen Sinn gesprochen werden.“ Hahn nimmt mit dem Begriff der Einheit eine Abstraktion vor, die sich in den Texten so nicht findet und behauptet zugleich, damit den einzig möglichen Weg zu einer Theologie des Neuen Testaments im Singular beschreiten zu können.

      36 Zum Werden des Kanons vgl. TH. ZAHN, Geschichte des Neutestamentlichen Kanons I.II, Leipzig/Erlangen 1888.1892; J.LEIPOLDT, Geschichte des neutestamentlichen Kanons I.II, Leipzig 1907.1908; H. V. CAMPENHAUSEN, Die Entstehung der christlichen Bibel, BHTh 39, Tübingen 1968; B.M. METZGER, Der Kanon des Neuen Testaments, Düsseldorf 1993.

      37 TH. LUCKMANN, Kanon und Konversion, in: A./J.Assmann (Hg.), Kanon und Zensur, München 1987, (38–46) 38.

      38 Bei den Paulusbriefen ist dies offenkundig, wie z.B. 1Thess 2, 13; 2Kor 10, 10; Gal 1, 8f und die Deuteropaulinen zeigen. Aber auch die Evangelien (vgl. Mk 1, 1; Mt 1, 1–17; Lk 1, 1–4; Joh 1, 1–18), die Apostelgeschichte, die Johannesapokalypse und alle großen Briefe legitimieren sich durch ihren Inhalt und Anspruch; anders J.SCHRÖTER, Die Bedeutung des Kanons für eine Theologie des Neuen Testaments, in: C.Breytenbach/J.Frey (Hg.), Aufgabe und Durchführung einer Theologie des Neuen Testaments (s.o. 2), (135–158) 137f, der strikt zwischen dem historischen und kanonischen Status unterscheidet und den letzteren für entscheidend hält.

      39 Völlig anders J.SCHRÖTER, a.a.O., 154: „Die historische und theologische Bedeutung des Kanons ist vielmehr erst dann zur Geltung gebracht, wenn der Kanon als theologiegeschichtliches Dokument gewürdigt und die in ihm befindlichen Schriften auf dieser Grundlage in ihrem kanonischen Zusammenhang ausgelegt werden.“

      40 Diese Einsicht ist fundamental, denn: „Das Entscheidende ist nicht, aus dem Zirkel heraus-, sondern in ihn nach der rechten Weise hineinzukommen“ (M.HEIDEGGER, Sein und Zeit, Tübingen 141977, 153).

      41 Vgl. dazu H. WELZER, Das soziale Gedächtnis, in: ders. (Hg.), Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung, Hamburg 2001, 9–21.

      42 Vgl. K.-H.KOHLE, Ethnizität und Tradition aus ethnologischer Sicht, in: A.Assmann/H.Friese (Hg.), Identitäten (s.o. 1.2), 269–287.

      43 Dies wird auch in der Begrifflichkeit deutlich: Bultmann spricht von der ‚Verkündigung‘ Jesu, dem ‚Kerygma‘ der Urgemeinde und der hellenistischen Gemeinde, von ‚Theologie‘ aber nur bei Paulus und Johannes!

      44 R. BULTMANN, Theologie, 358.

      45 F. HAHN, Theologie II, 27.

      46 Überblicke vermitteln: M. BOCKMÜHL, Art. Offenbarung IV: Neues Testament, RGG4 6, Tübingen 2003, 470–473; F. HAHN, Theologie II, 148–151; M. KARRER, Art. Offenbarung, Theologisches Begriffslexikon, Wuppertal 2005, 1409–1439.

      47 F. HAHN, Theologie II, 109: „Die Offenbarungsgeschichte Gottes in Jesus Christus beruht auf einer weit zurückreichenden Erwählungs- und Verheißungsgeschichte.“

      48 Faktisch war der Terminus Theologie des Neuen Testaments schon immer ein Sammelbegriff, unter dem sehr verschiedenartige Entwürfe subsumiert wurden. Zwei bereits erwähnte Beispiele, die sich leicht vermehren ließen: R.Bultmann bietet eine Kombination von Theologiegeschichte und Theologie, indem er thematische Überblicke voranstellt (Das Kerygma der Urgemeinde/Das Kerygma der hellenistischen Gemeinde vor und neben Paulus), um sich dann zwei Autoren/Schriftengruppen zuzuwenden (Paulus und Johannes), die gewissermaßen die Theologie des Neuen Testaments repräsentieren. Schließlich wird wiederum überblicksmäßig die Entwicklung zur Alten Kirche dargestellt. F.Hahn unterscheidet unter dem Obertitel ‚Theologie des Neuen Testaments‘ zwischen einer Theologiegeschichte des Urchristentums (Band I: Die Vielfalt des Neuen Testaments) und einer thematischen Darstellung (Bd. II: Die Einheit des Neuen Testaments), wobei im 1. Band Autoren/Schriftengruppen im Vordergrund stehen, im 2. Band Themen, die jedoch vornehmlich anhand prominenter Autoren/Schriften entfaltet werden.

      49 Die grundlegende Sachentscheidung beim Aufbau einer Theologie des Neuen Testaments liegt darin, ob (in der Regel nach einleitenden Kapiteln) mit Jesus von Nazareth (so L.Goppelt, W.Thüsing, P.Stuhlmacher, U.Wilckens, F.Hahn) oder Paulus (so R.Bultmann, H.Conzelmann, G.Strecker, H.Hübner, J.Gnilka) eingesetzt wird.

      50 So ist es z.B. sinnvoll, die spät entstandenen Pastoralbriefe innerhalb der Deuteropaulinen und damit vor den zeitlich früher anzusetzenden Kirchenbriefen 1Petrus, Jakobus und Hebräer zu behandeln.

      51 Es handelt sich nicht um eine Gliederung nach ‚dogmatischen‘, sondern nach thematischen Topoi; um eine an den Inhalten der Texte orientierte didaktisch-methodische Entscheidung. Das Wort δόγμα heißt ‚Setzung/Satzung/Beschluss‘ und insofern ist jede Gliederung als formale und inhaltliche Setzung natürlich ‚dogmatisch‘. Das bedeutet aber nicht, dass damit die Topoi theologischer bzw. kirchlicher ‚Dogmatik‘ verbunden sind. Gegen O. WISCHMEYER, „Unsere Heimat ist im Himmel“. Die Grundlagen der Theologie des Paulus, Deutsches Pfarrerblatt (2010), (576–582) 577, die behauptet: „Udo Schnelle geht in seiner ‚Theologie des Neuen Testaments‘ für jeden einzelnen ntl. Schriftsteller strikt dogmatisch vor.“ Sind etwa Bultmanns Überhöhung von Paulus und Johannes oder Hahns Offenbarungsbegriff nicht ‚dogmatisch‘? Gliederungen sind immer heuristische Entscheidungen und danach zu beurteilen, inwiefern sie den Stoff erfassen und vermitteln können.

      R.BULTMANN, Jesus, Hamburg 41970 (= 1926); G.BORNKAMM, Jesus von Nazareth, Stuttgart 91971 (= 1956); H.CONZELMANN, Art. Jesus Christus, RGG3 III, Tübingen 1959, 619–653; H.RISTOW/K.MATTHIAE (Hg.), Der historische Jesus und der kerygmatische Christus, Berlin 1960; H. BRAUN, Jesus, Stuttgart 21969 (NA 1988);